»Der Markt ist leer gefegt«

Zu Beginn des neuen Schuljahres wird offensichtlich, wie viele Lehrer an den Schulen fehlen

Angesichts des Lehrermangels ist die Unterrichtsplanung keine leichte Aufgabe.
Angesichts des Lehrermangels ist die Unterrichtsplanung keine leichte Aufgabe.

Alles wie gehabt, nur noch ein bisschen schlimmer – so lässt sich die Situation an den Schulen zu Beginn des neuen Unterrichtsjahrs beschreiben. »Ich habe kaum ein Schuljahr erlebt, das personell so schlecht beginnt wie dieses«, sagte die sächsische GEW-Vorsitzende Uschi Kruse vorige Woche in Dresden kurz vor dem Unterrichtsbeginn im Freistaat. In Sachsen hat sich die personelle Situation an den Schulen im Vergleich zum vergangenen Schuljahr, als rund 1000 Lehrkräfte fehlten, noch einmal verschlechtert. Jetzt fehlen bereits 3000 Lehrkräfte. Auch der sächsische Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärte zum Schuljahresbeginn der dpa: »Insgesamt bleibt die Lage bei der Unterrichtsversorgung angespannt.«

Sachsen ist kein Einzelfall. Der Deutsche Lehrerverband sieht nach eigenen Umfragen in allen Bundesländern eine Verschlechterung bei der Unterrichtsversorgung. »Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30 000, vielleicht sogar bis zu 40 000 unbesetzten Stellen aus«, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der dpa. Seit Monaten gibt es bereits Warnungen vor einer solchen Zuspitzung. Die Folgen sind schon jetzt zu Beginn des Schuljahres in elf Bundesländern zu bemerken. Es komme zu Unterrichtsausfall, größeren Lerngruppen, einem Zusammenstreichen von Förderangeboten oder einer Kürzung der Stundentafel, erklärte Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), der dpa.

Zwar gibt es viele Bemühungen, diesen sich zuspitzenden Lehrermangel abzumildern, doch fallen die Erfolge bislang mager aus. Schon seit Jahren erhöhen die Länder die Kapazitäten an den Universitäten, doch kommen noch immer nicht genügend ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen an. Zum Teil liege es daran, dass nicht bedarfsgerecht ausgebildet werde, hat Mark Rackles, ehemaliger Staatssekretär für Bildung in Berlin, in der Studie »Lehrkräftebildung 2021« herausgefunden. Denn tatsächlich ist der Mangel nicht überall gleich: An Gymnasien ist er weniger ausgeprägt als in Grundschulen, außerdem fehlen in Mathe und naturwissenschaftlichen Fächern mehr Lehrkräfte als in Deutsch oder Englisch.

Bundesweit ist die Zahl der Studienplätze tatsächlich beträchtlich gestiegen, aber viele Studierende brächen laut Rackles das Lehramtsstudium auch wieder ab und orientierten sich um, sodass die Zahl der Absolventen der ersten Phase der Lehrerausbildung sogar gesunken sei. An den Schulen fehlt also der Nachwuchs von den Universitäten. In der Not gibt es in den Ländern vermehrt Quereinsteigerprogramme für Akademiker ohne pädagogische Ausbildung, die dann berufsbegleitend nachgeholt wird. Doch zuletzt ist auch das Angebot an Quereinsteigern geschrumpft. »Der Arbeitsmarkt ist mittlerweile oft leer gefegt«, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern der dpa. Längst scheint es Verteilungskämpfe auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu geben. Davor hatte Kai Maaz, Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, im Juni noch gewarnt.

Der Engpass verschärft sich derzeit sogar noch, weil sich auffallend viele Lehrkräfte dazu entscheiden, die Stunden zu reduzieren. So arbeiteten im Schuljahr 2020/2021 laut Statistischem Bundesamt knapp 40 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit. Das ist die höchste Quote seit zehn Jahren. Viele Länder bemühen sich inzwischen, die Pädagogen zu einer Erhöhung der Stundenzahl zu bewegen. Mehr denn je werden sie gebraucht, weil nämlich auch die Schülerzahlen infolge von mehr Geburten und Zuwanderung ansteigen. Alleine in diesem Jahr sind bereits mehr als 160 000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine gekommen, die in Deutschland bereits zur Schule gehen. Zusätzlichen Personalbedarf wird es in den kommenden Jahren im Zuge der Ganztagsbetreuung an Grundschulen geben, die ab 2026 eingeführt wird.

Für den ehemaligen Staatssekretär Rackles ist klar, dass der Lehrkräftemangel sich angesichts vieler überlappender Probleme nur länderübergreifend lösen lässt. »Man kann nicht in der Ausbildung 16 Teilmärkte isoliert betrachten und sich dann wundern, dass der Gesamtmarkt nicht stimmig ist«, erläuterte er dem »Schulportal«. »Man bräuchte eine Instanz, die von außen drauf schaut, losgelöst von der Logik der Politik, die Defizite kleinzureden.« Eine solche Instanz gibt es inzwischen. Im Juni 2021 hat sich die »Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz« konstituiert, um den Bund und die Länder bei der Weiterentwicklung des Bildungswesens zu beraten. Durchschlagende Erfolge lassen noch auf sich warten.

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