Gelesen - dabei gewesen

Neuerscheinungen, annotiert: Wu-Tang Clan, Vampire und Liebe

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wu-Tang is forever

Der Wu-Tang Clan aus Staten Island, New York City, war in den 1990er Jahren das wichtigste HipHop-Projekt weltweit. Seine Ästhetik beruhte auf brutalen Lyrics, asiatischen Kung-Fu-Filmen, genialen schleppenden Beats – und auf einer neuen Geschäftsidee: Als Kollektiv hatte der Wu-Tang Clan einen Plattenvertrag, aber jedes Mitglied konnte als Individualkünstler weitere Verträge seiner Wahl abschließen. Das hatte sich Produzent RZA für sich und seine Cousins so ausgedacht. Das epochale Debütalbum »Enter the Wu-Tang (36 Chambers)« verkaufte sich weltweit drei Millionen Mal. Es gab nur ein Problem: Es war äußerst schwierig, mit allen neun Mitgliedern gleichzeitig etwas anzufangen, um auf Tournee zu gehen oder ein Fotoshooting zu verabreden. Daran waren schon viele gescheitert, aber dann geriet der Clan durch Zufall an Eva Ries aus Mannheim, die sich gerade in den USA aufhielt. Sie wurde mit Anfang 30 dessen internationale Promotion-Managerin. Eine lange, spannende Beziehung voller Überraschungen. Es ging um Rassismus, Kulturbrüche und Rebellion. Über ihre Erlebnisse hat Ries nun das lesenswerte Buch »Wu-Tang is forever« veröffentlicht. Eigentlich wusste sie nicht viel von HipHop und stand mehr auf Rock. Vielleicht war dies das Geheimnis, um als weiße Frau mit dem Clan, der aus dem Ghetto der Sozialbauten kam, klarzukommen. Als sie anfing, erklärte Raekwon: »Wir lassen unsere Videos nicht zensieren, das funktioniert mit dem wirklichen Leben ja auch nicht. Wenn ein Kind sieht, wie auf der Straße jemand erschossen wird, kann es nicht einfach das Programm ändern. Ich kenne einen kleinen Jungen, drei Jahre alt, wenn er Schüsse hört, rennt er auf‹s Klo, weil er genau weiß, dass es dort keine Fenster gibt und er vor den Kugeln sicher ist. Das ist U-Gods Sohn.« Und GZA gab ihr zu verstehen, dass »nur Landpomeranzen und dumme Touristen« in New York die Wolkenkratzer bewunderten.

Eva Ries: Wu-Tang is Forever. Benevento, 252 S., geb., 28€.

Neue Vampire

In der neuen Ausgabe der Leipziger Literaturzeitschrift »Edit« wird das Vampir-Genre neu belebt: Es gibt einen Auszug aus »Sanguin«, einem Roman von Jasper Westhaus. Und siehe: Vampire fühlen sich oft subkulturell unverstanden: »In die Magnetschwebebahn einzusteigen bringt auch oft Verachtung. Zusammen einzusteigen bringt auch oft Verachtung, aber man fühlt sich sicherer. Es wird dann von der Gruppe weggerückt, als sei sie infektiös und nicht nur einer alleine. Wir wissen dann gemeinsam, wie wir in der Situation fühlen und wie wir zurückhassen und müssen nicht zu viel darüber denken.« Die neuen Vampire hören alten Techno und sorgen sich um die Regenwälder und Atommüll-Endlager. Und doch bleiben sie durstig: »Wir finden noch zusammen, das versprichst du mir. Das an deinen Händen ist Blut, ja. Das an meiner Oberlippe ist Schweiß, yo.« Nat Marcus schreibt anregend über Geschlechtidentität und »Lebenstechnik« (ein alter Begriff von Foucault). Hedonistische House-Music unterstützt die Transition, weil der Tanz ein »kinetisches Feld erzeugt, in dem es zu spüren und zu spielen gilt, mich selbst zu spüren und mich selbst zu spielen. In diesem Raum, schweißgebadet und mit dröhenden Ohren, äußert sich der Körper allzu wahrhaftig.«Auch sehr gut: Die Erzählung »Spyderling« von Sascha Macht über Politik und Gefühl bei der Produktion von Brettspielen.

Edit, Nr. 86., 128 S., 9 €

Liebe ist...

…wenn man ein Buch macht, das »Love is« heißt. Wie bestellt für die Rubrik »Heiter bis glücklich« im »Zeitmagazin«. Wohl eine Geschäftsidee aus der Corona-Pandemie: 300 Künstler*innen auf 600 Seiten mit Fotos, Gedichten, Scherzen und Sentenzen auf Deutsch und Englisch. Teilweise ganz gut: Ein von Eylou gezeichnetes Mädchen hält einem Jungen ein Herz hin und sagt: »Wenn du’s nicht willst, kannst du’s immer noch im Internet verkaufen«. Thomas Meyer dichtet über die Liebe: »1. populäre Ausrede, / um sich schlecht / behandeln zu lassen. / 2. populäre Ausrede, / um jemanden schlecht / zu behandeln.«

Roland Wittwer, Christian Wittwer & Martin Hacker (Hg): Love is. Eigenverlag. 600 S., geb., 62,90 CHf, www.love-is.ch

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