- Berlin
- Schulplatzmangel
In der Schlange am Klettergerüst
Elternvertreter schildern, welche Auswirkungen der Schulplatzmangel in Berlin nach sich zieht
Wären die Kinder so klein wie der namensgebende Vogel ihrer Grundschule, sähe die Sache vielleicht anders aus. Aber an der Kolibri-Grundschule in Marzahn-Hellersdorf geht es nicht um ein munteres Schwirren. Hier können Kinder ihre Schule nicht so nutzen, wie sie es brauchen. Das schildern Bianca Pflug, Juliane Müller und Janine Hessemüller, die Vorsitzenden der Gesamtelternvertretung der mittlerweile größten Grundschule im Bezirk in einem Bericht, der Anfang der Woche auf der Webseite des Landeselternausschusses veröffentlicht wurde.
»Wir werden im nächsten Schuljahr fast 900 Schüler an einer Grundschule sein«, erklären die Elternvertreterinnen auf der Webseite des Landeselternausschusses. Die Schüler*innenzahl habe sich damit in den letzten sechs Jahren fast verdoppelt. »Leider hat sich aber die Größe der Schule dazu nicht verdoppelt«.
So müssten Fach- und Teilungsräume in Klassenzimmer umgebaut werden. »Der Hortbereich platzt aus allen Nähten, und bei noch so viel Überlegung reicht der Platz hinten und vorne nicht«, berichten die Frauen. Ganze Jahrgänge seien für die Hortbetreuung zuletzt in andere Schulen ausgelagert worden und müssten mit Bussen über acht Kilometer im Berufsverkehr zum nächsten freien Containerbau gebracht werden.
»Anhand der Schüler*innenzahlen könnten es schon zwei Grundschulen sein.« Die Kolibri-Grundschule verfüge zwar mittlerweile über drei Standorte. Aber das heißt auch, dass immer wieder Klassen zwischen den Standorten umziehen müssen, unter anderem »sechs Klassen in zwei Jahren zwei Mal« wie es heißt. Es sei jeden Tag eine neue »logistische Herausforderung«, schreiben Pflug, Müller und Hessemüller. »Es muss nur mal ein Lehrer an einem Standort krank werden und schon wird es schwierig. Pausenzeiten können nicht als Pausenzeit genutzt werden, da die Schüler zum Mittagessen oder zum Sportunterricht den Standort wechseln müssen.«
So könne auch die individuelle Förderung von Schüler*inen kaum noch gewährleistet werden. Sportunterricht fände in der 0. Stunde statt. Das heißt, auch junge Grundschulkinder müssten im Winter um 7 Uhr in der Sporthalle sein – eine Herausforderung, vor allem im Winter. Zudem müssten teilweise drei Klassen gleichzeitig in der Sporthalle unterrichtet werden.
Eindringliche Schilderungen finden sich auch zur Situation der Sanitäreinrichtungen. Diese seien in den Pausen völlig überlastet. »Viele Kinder verbringen die Pause mit dem Warten auf eine freie Toilette. Wenn sie es dann doch mal in die Hofpause schaffen, können sie sich am Klettergerüst oder an der Rutsche in die nächste lange Schlange einreihen. Denn auch hier ist es einfach voll.« Die beengten Verhältnisse führten immer öfter auch zu Eskalationen unter den Schülern*innen. Das Mittagessen muss schnell eingenommen werden, damit die nächsten Kinder Platz zum Sitzen haben.
Christiane Brokmann, Elternvertreterin beim Bezirkselternausschuss Marzahn-Hellersdorf berichtet für die Grundschule unter dem Regenbogen ähnliches. Dort werden zur Zeit 780 Kinder beschult und betreut, der Schwerpunkt der Schule liegt in der Inklusion und Integration.
»Die Klassenstufen sind im Moment fünfzügig und die Räumlichkeiten stoßen bereits jetzt an ihre Grenzen, um die Kinder in einem pädagogischen und kindgerechten Umfeld zu unterrichten und zu betreuen. Hortplätze seien massiv ausgelastet. Um ein Umfeld zu haben, «in dem sich die Kinder wohlfühlen und gerne zur Schule gehen», bedürfe es dringend mehr Platz. «In den Treppenhäusern ist jetzt schon ein großes Drängeln, wenn es zur Pause oder zurück in die Klassen geht», erklärt Brokmann. Kleinere Kinder müssten sehr stark achtgeben, damit sie von größeren Schüler*innen nicht geschubst oder weggedrückt würden. «Auf den Pausenhöfen ist die Situation nicht anders, wenn die Kinder keinen Platz zum Spielen haben, dann schaffen sie sich einen, indem sie andere Kinder wegstoßen oder es zu aggressiveren Auseinandersetzungen kommt», so die Elternvertreterin.
Welche Dringlichkeit herrscht, Lösungen zu finden, damit Kinder wie die Schüler*innen der Kolibri-Grundschule und der Schule unter dem Regenbogen ein Lernen und ebenso Pausen erleben können, die sich auch so nennen dürfen, wird deutlich. Viele Eltern und auch Schulen befürchten, dass die neuere Investitionsplanung des Landes zulasten der Schulbauoffensive geht. Am 13. September soll demnach im Senat weiter darüber diskutiert werden.
Man rufe Elternvertretungen und Eltern aller Schulen auf, weitere Berichte zu senden, die dann ergänzend veröffentlicht werden, erklärt Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses. Die Schulbauoffensive dürfe nicht gestoppt werden, fordert auch eine Petition des Bezirkselternausschusses Steglitz-Zehlensdorf, die kürzlich gestartet wurde.
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