Die Frage nach der Solidarität

Ex-Offizier Daniel Lücking zur anstehenden Aufarbeitung des Afghanistankrieges

In dieser Woche beginnt die Aufarbeitung des deutschen Afghanistan-Engagements. Es wird sich nicht nur um das Militär drehen, sondern auch um Aspekte der wirtschaftlichen Kooperation und des versuchten Wiederaufbaus eines Landes, der mit der internationalen Kapitulation im vergangenen August wohl final gescheitert ist.

Als vor 21 Jahren die Bilder der Anschläge vom 11. September die westliche Welt traumatisierten, brach eine Welle der Solidarität los. Zum ersten Mal rief die Nato den Bündnisfall aus, weil eines ihrer Mitglieder angegriffen wurde und sich verteidigen wollte. Die Rollen, Sympathien und die Solidarität waren – insbesondere in den ersten Monaten nach den Anschlägen – klar verteilt. Ebenso klar, wie es derzeit beim russischen Angriff auf die Ukraine scheint.

Der Einsatz deutscher Truppen schien so angemessen und notwendig wie jetzt die Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch was zu Beginn klarer nicht sein konnte, kippte Monat um Monat, Jahr um Jahr, die der Krieg dauerte. Ein Krieg, der für deutsche Soldat*innen angeblich kein Krieg war und nur aus Schulenbau und Brunnenbohrungen zu bestehen schien.
Wahr ist das nur in den Darstellungen, die öffentlich gegeben werden. Über die Einsätze des Kommando Spezialkräfte (KSK) ist wenig bekannt. Vom Einsatz deutscher Spezialkräfte und den Auswirkungen erfährt die Öffentlichkeit maximal dann etwas, wenn es darum geht, Tote zu betrauern, deren Tod nicht zu viele Fragen aufwirft. Dass der Tod eines KSK-Soldaten, der 2013 in Kunduz starb, erstmals öffentlich wurde, war ein Novum für die Truppe aus Calw. Dass ausgerechnet sein Kommandoführer später im Rahmen rechtsradikaler Ermittlungen auffällt, seine Kompanie in der Folge letztlich aufgelöst werden musste, macht eigentlich klar, wo die Aufarbeitung im Bundestag beginnen sollte.
Dass die Enquete-Kommission derartig geheime Aspekte bearbeiten darf, um den Afghanistan-Einsatz auf Verfehlungen des KSK-Verbandes hin zu untersuchen, gegen den seit 2020 wegen Rechtsradikalismus ermittelt wird, ist nicht zu erwarten. Ein Verband, der an der Seite der Amerikaner ausschließlich Gefangennahmen, aber keine Tötungen begangen haben will, als Ort um Ort auch in deutschen Einsatzgebieten in nächtlichen Überfällen Listen von Terrorverdächtigen »abgearbeitet« wurden.

Auch politisch sind die Fragen groß. Wie konnte es passieren, dass das Verteidigungsbündnis in Solidarität mit den USA nicht mehr war als die Logistiktruppe für den us-amerikanischen Angriffskrieg in Afghanistan, im pakistanischen Grenzgebiet oder auch im Irak? Ein Krieg, an dem auch deutsche Soldaten mitwirkten, die in Kuwait stationiert waren und der letztlich durch den deutschen Auslandsgeheimdienst BND hätte verhindert werden müssen. Den erlogenen Kriegsgrund von angeblichen Massenvernichtungswaffen lieferte der BND quasi als Drehbuch und schwieg, als die Inszenierung vor den Augen der Vereinten Nationen zum realen Krieg wurde. Was damals schockierte, ist heute Stoff für bitter-ironische Verfilmungen.

Groß ist auch die Frage, zu welchen Kooperationen und welchem Ausmaß an Korruption sich deutsche Politiker*innen hinreißen ließen. Kooperationen, eingegangen in dem Wissen, dass deutsche Truppen geduldete Gäste waren und nicht nur von den Taliban jederzeit hätten angegriffen werden können. In Masar-e Sharif diente man sich einem Gouverneur an, der eigene Milizen unterhielt und während der deutschen Präsenz vom bärtigen Kriegsfürst zum Multimillionär wurde. Obgleich die Menschenrechtsverletzungen, die er verantwortete, der Nato spätestens seit 2011 bekannt waren, zeigten sich deutsche Spitzenpolitiker weiter mit dem gebürtigen Tadschiken. Nach der Machtübernahme der Taliban floh er sogleich nach Usbekistan.
Vieles ist so geheim eingestuft, dass die Enquete-Kommission selbst mit den weitreichenden Befugnissen nicht öffentlich aufarbeiten dürfen wird. Dabei geht es auch um die Frage, wann aus blinder, scheinbar alternativloser Solidarität Kadavergehorsam wird und Verantwortung für Verbrechen erwächst.

Daniel Lücking hat während seiner Bundeswehrzeit zwischen 2005 und 2008 insgesamt 11 Monate an Afghanistan-Einsätzen der Bundeswehr als Offizier teilgenommen.

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