Ich bin Ire

Zum Tod der Queen würden ein Satz und eine Frage reichen, findet Christoph Ruf

Es ist ziemlich genau 35 Jahre her, dass die aus dem nordenglischen Hull stammende Band Housemartins ihr zweites Album mit dem Titel »The people who grinned themselves to death« herausbrachte. In dem Titeltrack sang sie über Leute, die »so viel lächelten, dass sie es versäumten zu atmen. Und selbst wenn ihre Kinder am Verhungern waren, fanden sie, dass die Königin charmant ist.« Das war 1987, der Song ist heute aktueller denn je. Die Queen ist jetzt zwar als Tote ähnlich charmant wie vor ein paar Dekaden, doch acht Kilometer lange Schlangen vor ihrem aufgebahrten Sarg zeugen davon, was wirklich wichtig ist.

Wobei: Immerhin das mit dem Grinsen hat sich 2022 geändert. Man grinst sich heute nicht mehr einfach so im stillen Kämmerlein zu Tode. Vom Einkauf einer Coladose bis zur größtmöglichen Selbsterniedrigung muss alles »geteilt« werden. Weshalb dank Instagram und Botox hunderte Millionen Teenager anlass- und pausenlos in die eigene Kameralinse grinsen. In Hull, am Grand Canyon, vor dem Taj Mahal, in Rosenheim. Und an der Themse vor Westminster Hull. The »Jester Race«, ebenfalls von einer sehr interessanten Band besungen, verlangt nicht mehr vom Leben. Nur ein paar Prominente. Und ein bisschen Strom. Sonst geht der Akku leer.

Zugegeben, sich über Teenager aller Altersklassen zu erheben, ist arrogant und hyänengleich. Und die etwas mittelalterlich anmutenden Szenen aus London wären auch keine Erwähnung wert, wenn nach dem Ableben der Monarchin nicht ein Phänomen zu beobachten gewesen wäre, das sich selbst Menschen mit ähnlich negativem Menschenbild wie die Housemartins noch vor zehn Jahren nicht hätten vorstellen können. Denn nach dem Tod der Queen fanden in diesem September nicht nur die einschlägigen Dumm-Medien, dass das nun das beherrschende Thema der nächsten Wochen zu sein habe. Nein, auch die meisten Zeitungen und Online-Seiten, die sich auf das Label »seriös« etwas einbilden, veröffentlichten dutzende Texte über die unfassbare Tragödie, dass eine 96-jährige Frau gestorben ist.

Als die Fassungslosigkeit über die unbegreiflichen Launen der Natur nach ein paar Tagen abzuebben versprachen, die Tränen der Kinder, Enkel und Hof-Metzger ausreichend thematisiert waren, folgten die Geschichten über den Thronfolger. Dass Charles seinen Pferden Globuli verabreicht, könnte sich kein Kabarettist der Welt ausdenken. Gelesen habe ich davon weder bei t-online.de noch in der »Bunten«. Dabei gäbe es aus journalistischer Sicht nicht mehr als einen Satz und eine Frage nach dem Tod von Elizabeth II. Die möglichst pietätsvolle Vermeldung ihres Todes, weil es für die Angehörigen eben immer traurig ist, wenn jemand stirbt. Und eine Frage, die nun wirklich alles überlagert: Die, ob man sich in Europa im Jahre 2022 tatsächlich noch so etwas Albernes wie eine Monarchie leisten will.

Zu den Leuten, die sich zu Tode lachen, gehören seit einigen Jahren derweil meist junge, immer sehr gut gelaunte Menschen, die in Fußgängerzonen oder an Bahnhöfen auf unschuldige Menschen zulaufen und sie in beträchtlicher Lautstärke gnadenlos volllabern. Mal soll man beim ADAC eintreten, mal in eine Gewerkschaft, mal eine Umweltschutzorganisation unterstützen. Ich bin wahrscheinlich nicht der Einzige, der bis vor ein paar Jahren dachte, dass es Greenpeace- oder Verdi-Mitglieder sind, die für ihre Organisation arbeiten, weil die vielleicht glaubwürdiger die entsprechenden Argumente parat haben. Stattdessen sind es Überzeugungssöldner, die heute vor Karstadt für Tierschutz werben und morgen vor Edeka für Tierversuche. Diese maximale inhaltliche Flexibilität ist keine schlechte Voraussetzung, um in God-save-the-queen-Zeiten irgendwas mit Medien zu machen. So wie der junge bärtige Mann, der mit einem Kamerateam durch die Straßen Londons zog und friedlich in Cafés und Bars sitzenden Menschen Teile der englischen Nationalhymne (»Send her victorious«) ins Gesicht sang, woraufhin die meisten der derart Angebrüllten tatsächlich weitersangen. Einer tat es nicht. Er schaute den Kasper kurz böse an und sagte dann, was zu sagen war: »Fuck off, mate, I’m an irishman.« Ich auch.

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