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Sri Lanka droht Hungerkrise
Ernterückgänge verschärfen die sozialen Probleme in dem südasiatischen Land
6,2 Millionen Menschen, das sind 28 Prozent der Gesamtbevölkerung Sri Lankas, sind von Ernährungsunsicherheit bedroht – 66 000 von ihnen bereits in extremer Weise. Zu diesem Ergebnis kommen die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO und das Welternährungsprogramm (WFP) in einem kürzlich vorgelegten Bericht. Die Krise in dem südasiatischen Inselstaat, die sich über die vergangenen Monate stetig zugespitzt und auch den früheren Staatschef Gotabaya Rajapaksa sein Amt gekostet hat, setzt sich nun längerfristig fest.
Dass das Land, das im April die Zahlungsunfähigkeit gegenüber seinen Gläubigern erklärt hatte, kaum noch Devisen für dringend nötige Importe hat, löst, verbunden mit globalen Preissteigerungen, Kettenreaktionen aus. So konnte in der Landwirtschaft deutlich weniger Kunstdünger auf den Äckern ausgebracht werden, was starke Ernterückgänge zur Folge hat. Bei Reis, wie in weiten Teilen Asiens wichtigste Ernährungsgrundlage, wird 2022 nur noch eine Ernte von drei Millionen Tonnen erwartet, so die UN-Organisationen. Das ist eine Einbuße um 42 Prozent und dürfte der geringste Ertrag seit dem Dürrejahr 2017 sein. Und selbst bei guten Ernten muss Sri Lanka zusätzlich Reis importieren. Auch bei Gemüse wird weit weniger geerntet. Und da die Rückgänge zudem exportorientierte Agrarprodukte wie Tee, Gewürze und Kokosnüsse betreffen, fehlen nicht nur den Produzent*innen Einnahmen, sondern ebenso dem Staat. Gerade die Beschäftigten auf den Teeplantagen werden in dem Bericht neben alleinerziehenden Müttern oder jenen, die schon vorher auf staatliche Sozialprogramme angewiesen waren, als am stärksten gefährdet eingestuft.
Alarmsignale gibt es schon länger. So hatte bereits im August George Laryea-Adjei, Regionaldirektor des Kinderhilfswerks Unicef, gewarnt, dass sich immer weniger Familien in Sri Lanka ausreichend Essen leisten könnten – mit gravierenden Auswirkungen gerade für die Kinder. Die Unter- und Mangelernährung von Kindern in Sri Lanka, so die Bilanz der UN-Organisation, sei aktuell die zweithöchste in Südasien. In der Folge der anderen Probleme nähmen zudem Misshandlung, Ausbeutung und Gewalt gegen Kinder zu, so der Unicef-Regionaldirektor. Während Kinderarbeit zunimmt, werden laut Laryea-Adjei auch immer mehr Mädchen und Jungen in soziale Einrichtungen abgegeben, weil ihre Familien sie nicht mehr versorgen können.
All diese Warnungen stützt nun die Studie von FAO/WFP, die erstmals detailliert die Krise aus der Ernährungsperspektive beschreibt. Nicht nur haben die Experten der beiden UN-Organisationen Daten der im März eingefahrenen Ernte ausgewertet und die Erwartungen für die anlaufende Ernte in ihre Analysen eingerechnet. Gemeinsam mit Vertretern des Agrarministeriums waren sie im Juni auch zu direkten Gesprächen in fast 3000 Haushalten in allen Provinzen unterwegs.
Zu den Kernpunkten des fast 60-seitigen Reports gehört, dass die Fachleute für 2022 einen Bedarf von etwa 2,2 Millionen Tonnen Cerealien ermittelt haben, der zugekauft werden müsste. Daher wird dringend gefordert, die Bauern zu stärken. Je besser sie die Eigenversorgung der 22 Millionen Einwohner*innen des Landes sichern könnten, desto weniger an Grundnahrungsmitteln müsse ergänzend eingekauft werden, so die simple Logik dahinter.
FAO und WFP erinnern überdies daran, dass 30 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben und die akute Krise längeren Anlauf hatte. Bereits seit 2015 zeigten viele Indikatoren abwärts, 2020 gab es mit der Coronakrise als zusätzlichem Faktor einen Wirtschaftsrückgang um 3,6 Prozent. Der schon damals spürbare Engpass bei Devisen baute sich bis zum Offenbarungseid in diesem Frühjahr immer weiter auf. An diesem Freitag will Sri Lanka den internationalen Gläubigern Pläne für eine Umschuldung vorlegen. Dabei wolle die Regierung das ganze Ausmaß der wirtschaftlichen Probleme des Landes erläutern sowie Pläne für eine Umschuldung und eine milliardenschwere Rettungsaktion des Internationalen Währungsfonds (IWF) darlegen.
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