Am Kopftuch scheiden sich die Geister

Französische Linke tut sich schwer mit Solidarität für Irans Frauen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Demonstrierende in Paris solidarisieren sich mit der Frauenbewegung im Iran.
Demonstrierende in Paris solidarisieren sich mit der Frauenbewegung im Iran.

Sie solidarisieren sich mit den iranischen Frauen und protestieren gegen das brutale Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte: Rund 50 berühmte französische Schauspielerinnen und Sängerinnen haben zur Schere gegriffen und sich die Haare abgeschnitten. Auf einem am Mittwoch veröffentlichten Protestvideo blickt Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche in die Kamera, sagt »for freedom« (für die Freiheit), schneidet sich ein Haarbüschel ab und hält es in die Kamera. Beteiligt an dem Video, das mit dem italienischen Partisanenlied »Bella Ciao« unterlegt ist, waren auch Isabelle Huppert, Jane Birkin und Charlotte Gainsbourg.

In Frankreich, wo schätzungsweise rund 37 000 Menschen iranischer Herkunft leben, gibt es eine große Solidarisierungswelle mit den Demonstrierenden im Iran. Die energischsten Solidaritätsbekundungen hätte man von Linken erwartet, aber von dort kamen sie recht spärlich, und der Ton war alles andere als eindeutig. Die Erklärungen der Sozialisten, der Grünen, der Kommunisten und der Bewegung La France insoumise stimmten überein in der Verurteilung der Unterdrückung der iranischen Frauen, blieben jedoch durchweg allgemein und oberflächlich. Vor allem auf die vom iranischen Regime brutal durchgesetzte »Kleiderordnung« gingen sie kaum ein, und wenn, dann schieden sich daran die Geister, denn: Die Linke hat die Frage nach der Funktion des Kopftuchs muslimischer Frauen in westlichen Ländern nie erschöpfend und eindeutig ausdiskutiert.

Die Debatte brach 1989 los, im Jahr der Fatwa des Ajatollah Khomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, als sich im Pariser Vorort Creil drei muslimische Schülerinnen weigerten, in der Schule ihr Kopftuch abzulegen, und lieber den Schulverweis in Kauf nahmen. Diese offensichtlich durch islamistische Scharfmacher organisierte Provokation schlug Wellen in der französischen Gesellschaft und mündete in ein Gesetz, das unter Berufung auf die Trennung von Kirche und Staat »demonstrative Zeichen einer Religionszugehörigkeit« in allen öffentlichen Gebäuden und damit auch in den Schulen verbot. Das galt auch für das Kreuz und die Kippa, zielte aber eindeutig auf das Kopftuch. Seitdem schwelt der Streit darüber, ob und inwieweit das ein Eingriff in die Glaubensfreiheit ist und Muslime ausgrenzt.

Dass Mädchen und Frauen im Iran ihr Kopftuch als Symbol ihrer Unterdrückung demonstrativ ablegen und sogar öffentlich verbrennen, scheint nicht wenigen linken Politikern eher peinlich zu sein. Viele von ihnen vertreten den Standpunkt, dass das Kopftuch Privatsache und das Verbot Ausdruck der »Islamfeindlichkeit« des französischen Staates sei. So sagte Jean-Luc Mélenchon im vergangenen Februar in einer TV-Debatte: »Den Frauen vorschreiben zu wollen, wie sie sich anzuziehen haben, kann nur zu einem nicht enden wollenden Streit führen.« Das Kopftuch von Musliminnen als Instrument der Unterordnung unter die Männer und die Gesetze der Religion anzuerkennen, tat er ab und verglich es mit den »Kopftüchern katholischer Großmütter«, die »nie ein Problem waren«.

Diese Worte haben sich für Mélenchon ausgezahlt: Umfragen zufolge haben 69 Prozent der französischen Muslime bei den Präsidentschaftswahlen für ihn gestimmt. Ende September hat er in einem Tweet die Protestaktionen im Iran begrüßt, aber gleichzeitig angemerkt, dass »das Ablegen und Verbrennen von Kopftüchern noch kein Akt eines politischen Kampfes« sei. Die Sprecherin des feministischen Flügels der Grünen, Sandrine Rousseau, erklärte Ende 2021 in einem TV-Interview, es sei »unerträglich, dass der Körper der Frauen und die Art, wie sie sich kleiden, immer noch ein Thema öffentlicher Auseinandersetzung und Brandmarkung ist«. Sie behauptete, dass Frauen mit Kopftüchern kein Zeichen der »Politisierung des Islam« seien, sondern »einzig Ausdruck des Wunsches, sich schön zu machen«.

Dem hält der französisch-iranische Soziologe Farhad Khosrokhavar seine Analyse entgegen: »Die Frauen unter dem Kopftuch zu halten, bedeutet, die Gesellschaft unter dem Joch des traditionellen islamischen Rechts zu halten. Die korrupte und repressive Elite des iranischen Regimes, dem der Islam als Mittel zum Zweck dient, braucht diesen Schutzschild der Versklavung der Frauen, um ihre Macht zu erhalten.« So klare Worte hat man von Frankreichs Linken nicht gehört.

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