Parlamentswahl mit offenem Ausgang

Dänischer Wahlkampf wird sich vor allem um Energie, Inflation und Sicherheit drehen

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 4 Min.

Sieben Monate vor Ablauf der Legislaturperiode hat die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen vorzeitig Wahlen ausgeschrieben. Der jeweilige Regierungschef entscheidet innerhalb der Wahlperiode selbst, wann das geschieht, und üblicherweise sind günstige Wählerumfragen ausschlaggebend. Doch in diesem Fall hatte Frederiksen die Pistole vor der Brust – gehalten von einem ihrer parlamentarischen Unterstützer, der linksliberalen Radikalen Partei. Diese war unzufrieden mit der Arroganz, mit der Frederiksen die Schlussfolgerungen der sogenannten Nerz-Kommission abfertigte. Sie hatte der Regierung gravierende Fehler bei der befohlenen Abschlachtung aller Nerze in Dänemark vorgeworfen, um die Verbreitung einer neuen Covid-19-Mutation zu verhindern. Neuwahlen oder ein Misstrauensantrag waren Frederiksens Optionen – sie wählte die erste.

Offener Wahlausgang

Der Wahlausgang ist völlig offen, die Meinungsumfragen der letzten Monate liegen konstant bei 50:50 für die Mitte-links- beziehungsweise die bürgerlichen Parteien. Entscheidend wird letztlich sein, welcher Block die meisten Stimmen an die äußersten links-grünen beziehungsweise rechten Parteien abgeben muss. Die dänische Parteienlandschaft ist gegenwärtig geprägt von so vielen Abspaltungen und Neugründungen wie seit Jahrzehnten nicht. Trotz der niedrigen Sperrklausel von zwei Prozent riskieren zwei grüne Parteien, den Einzug ins Parlament zu verpassen. Im rechten Lager muss die einst allmächtige Dänische Volkspartei um ihren Wiedereinzug bangen. Ihre frühere Wählerbasis, insbesondere im ländlichen Jütland, hat neue Lieblinge gefunden.

Nach Meinungsumfragen steht die ehemalige Integrationsministerin Inger Støjberg mit ihrer neu gegründeten Partei Dänemarks Demokraten vor einem spektakulären Comeback. Im Dezember 2021 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und aus dem Parlament ausgeschlossen, sprechen Meinungsumfragen ihrer Partei etwa zehn Prozent der Stimmen zu. Ihre Partei lehnt sich stark an die rechten Schwedendemokraten an, deren Wahlerfolg im September den Machtwechsel zu einer bürgerlichen Mehrheit sicherte.

Mette Frederiksen hätte eine historisch starke Ministerpräsidentin werden können mit unangefochtener Autorität über mehrere Regierungsperioden hinaus. Doch diese Chance vergab sie mit ihrem eigensinnigen Führungsstil; zusehends stieß sie ihre Bündnispartner vor den Kopf. Die Agenda von 2019 – sehr kurz gefasst: Klima und Kinder – wurde nur unzureichend umgesetzt. Die grüne Umstellung geht nur schleppend voran. Ihre Unterstützer Einheitsliste, Volkssozialisten und Radikale Partei, die man in etwa mit den schwedischen Parteien Umweltpartei, Linkssozialisten und Zentrumspartei vergleichen kann, drängten zwar auf schnellere Schritte, aber die sozialdemokratischen Bedenken zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Dänemark wogen schließlich schwerer. In dieser Hinsicht war es einfacher für die sozialdemokratische Minderheitsregierung, zwischen den Flügeln zu manövrieren und sich Mehrheiten zu sichern.

Schwere Aufgaben für künftige Regierung

Frederiksen musste in den letzten Wochen einsehen, dass die stabile Regierungszeit während der Corona-Pandemie zu Ende ist. Sie reagierte bei der Ansetzung der Neuwahlen mit einer Einladung zur Bildung einer breiten Koalition nach den Wahlen am 1. November. Sowohl die Konservativen wie die Liberale Partei, die Volkssozialisten wie die Einheitsliste lehnten eine solche Konstellation in ersten Stellungnahmen ab. Das Zünglein an der Waage könnte die Moderate Partei bilden, die der ehemalige liberale Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen gründete. Ähnlich wie der schwedische Namensbruder hat Løkkes Partei das Ziel breiter parlamentarischer Zusammenarbeit.

Ungeachtet ihrer Zusammensetzung bekommt die neue Regierung schwere Aufgaben auf den Tisch. Die Inflation ist so hoch wie noch nie seit den 80er Jahren, es mangelt an Fachkräften, gleichgültig ob Krankenschwester oder Handwerker. Die angestrebte Wiederaufrüstung von Heer und Flotte soll vorangetrieben werden, um die Sicherheit in der Ostsee und in der Arktis zu gewährleisten, eine stabile Energieversorgung gesichert werden.

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