Mit den Waffen der Shrinkflation

Lieferketten und Energiepreise belasten die Ernährungsindustrie und deren Kunden

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei manchen Lebensmitteln steigen die Preise versteckt.
Bei manchen Lebensmitteln steigen die Preise versteckt.

Alles wird teurer. Doch es gibt noch eine Möglichkeit, welche es der Ernährungsindustrie erlaubt, den Preis von Gummibärchen, Frischkäse oder Erdbeerkonfitüre anzuheben, ohne dass es der Käufer gleich merkt: Die Hersteller lassen den Verkaufspreis gleich, reduzieren aber den Inhalt. Die Verbraucherzentrale Hamburg sammelt in einer ständig länger werdenden Mogelpackungsliste solche versteckten Preiserhöhungen, im Branchenjargon »Shrinkflation« genannt. »Seit Jahren beobachten wir eine Masche im Handel und bei den Herstellern von Lebensmitteln und anderen Produkten«, erklärt ein Sprecher der Verbraucherzentrale. »Wir nennen sie: weniger drin, Preis gleich.«

Dahinter verbirgt sich die Annahme von Marketingexperten, dass sich Kunden vor allem an den Preis eines Produktes gewöhnen. Statt sie jetzt durch eine nominale Preiserhöhung vom Kauf abzuhalten, wird diese verschleiert. Im Ergebnis, klagen Umweltverbände, wird dadurch auch noch mehr Verpackungsmüll produziert.

Doch die Ernährungsindustrie hat es derzeit nicht leicht. Sie produziert rund 170 000 Artikel, die den unterschiedlichsten Segmenten entstammen, von Fleisch- und Wurstwaren über Milchprodukte bis hin zu Fertigprodukten. Dies erfordert eine ebenso breite Palette an Rohstoffen: Fleisch, Fisch und Milch, Getreide, Gemüse und Obst, Ölsaaten, Zuckerrüben, Eier und viele weitere Produkte. Hinzu kommen Zusatzstoffe, etwa Vitamine, Probiotika wie Milchsäurebakterien oder Aromastoffe. Nur ein Teil der Rohstoffe und Zulieferprodukte können – zumindest in hinreichender Menge – aus inländischen Quellen gewonnen werden. »In der Summe werden rund 25 Prozent der Rohstoffe vor allem aus Europa und Asien importiert«, schreiben Analysten der Nord/LB in einer Studie. Benötigt werden zudem Massen an Verpackungsmaterial, Flaschen, Folien, Dosen, Tuben.

Das Geschäft wird in Krisenzeiten nicht einfacher. Der Krieg in der Ukraine hat die Weltmarktversorgung beispielsweise mit Getreide und Sonnenblumen eingeschränkt. Bremsend wirken auch Exportverbote von Ländern wie Russland oder Indien. Fehlende Transportkapazitäten führen ebenfalls zu Lieferengpässen. Diese werden von den Experten auf die Null-Covid-Strategie Chinas, auf Sanktionen des Westens, die russische Airlines aus dem Lufttransport ausschließen und auf fehlende Lkw-Fahrer zurückgeführt. Erschwerend kommen höhere Betriebskosten bei Treibstoffen hinzu.

Damit nicht genug: Die Ernährungsindustrie ist auch besonders energieintensiv und steht für rund sechs Prozent des gesamten Energieverbrauchs der deutschen Industrie. Dabei werden einige extrem energieintensive Zulieferprodukte importiert. So liefert die Ukraine viele Glasflaschen für Abfüllbetriebe. Beim Erdgas ist die Ernährungsindustrie nach der Chemie der zweitgrößte Verbraucher. So benötigen beispielsweise Fleischwarenproduzenten und Getränkehersteller spezielle Gase, die aus Erdgas hergestellt werden.

Die Industrie versucht, steigende Kosten an die Kunden weiterzugeben. Doch Verbraucher hierzulande gelten seit jeher in der Branche als »preissensitiv«. Der Anteil von Lebensmitteln an den Konsumausgaben lag zuletzt nur bei zwölf Prozent. Noch weniger gaben in der EU lediglich Irländer und Luxemburger aus. »Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass dem Preis in der aktuellen Situation erst recht eine hohe Bedeutung als Entscheidungsdeterminante zukommt«, lautet das Fazit der Nord/LB-Experten.

Verbraucher reagieren »stufenweise«, wie eine Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK ergab: Zunächst weichen sie von (teuren) Herstellermarken auf Premium-Handelsmarken und bei weiteren Preisanstiegen gegebenenfalls auch auf (billige) Discountmarken aus. Die Markenartikler versuchen, dieser Entwicklung durch häufigere Promotion-Angebote zu begegnen. Und sie versuchen, ihre Abgabepreise an den Einzelhandel zu erhöhen. Der hochkonzentrierte Lebensmitteleinzelhandel – auf die größten Vier entfallen drei Viertel des Umsatzes – lässt jedoch seine Muskeln spielen.

Im Streit zwischen Edeka und Coca-Cola um Einkaufspreise hat Deutschlands größter Lebensmittelhändler allerdings kürzlich den Kürzeren gezogen. Der Getränkehersteller hatte zuvor die Belieferung von Lebensmittelhändlern eingestellt, weil Edeka Forderungen des Brauseherstellers nach höheren Preisen zurückgewiesen hatte. Coca-Cola habe mit seiner Preisstrategie seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, so die Begründung von Edeka. Man stehe seit Monaten in harten Verhandlungen mit der Markenartikelindustrie und prüfe jede Preiserhöhung sehr genau. Das Ergebnis: Viele der vorgebrachten Forderungen beruhen nicht auf echten Kostensteigerungen. Stattdessen werde der Verweis auf die allgemeine Inflation als willkommenes Argument genutzt, um die eigene Gewinnmarge weiter zu verbessern. Das Landgericht Hamburg wies in seinem Urteil Ende September aber die Edeka-Forderung nach einem Lieferstopp-Verbot zurück. Das Handelsunternehmen habe nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die von Coca-Cola geforderten Preise erheblich von denjenigen abweichen, die sich bei einem wirksamen Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden.

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