Dichterfürsten

Jochen Hörischs neues Buch will Poesie und Politik trennen, wird aber beidem dabei nicht gerecht

  • Michael Bittner
  • Lesedauer: 4 Min.
Johann Wolfgang von Goethe war Dichter und bekleidete ein Amt in der Politik. Das politische Potenzial der Kunst liegt aber woanders.
Johann Wolfgang von Goethe war Dichter und bekleidete ein Amt in der Politik. Das politische Potenzial der Kunst liegt aber woanders.

Niemand in einer Gesellschaft, kann sich der Politik völlig entziehen. Dichtung ist, wie verfremdet und entfernt auch immer, stets auf das gesellschaftliche Leben bezogen. Daraus folgt: Jede Literatur ist in einem allgemeinen Sinn auch politische Literatur. Es ist nicht möglich, die Gesellschaft darzustellen, ohne eine Haltung zu ihr erkennen zu lassen. Doch es gibt Schriftsteller*innen, die in einem noch konkreteren Sinne politisch aktiv werden: Sie nutzen als »Intellektuelle« ihre Prominenz und ihr Prestige, um sich in den politischen Diskurs einzumischen. Oder sie wagen es sogar, ein politisches Amt zu übernehmen.

Politisches Engagement dieser Art hat es immer und aus allen möglichen weltanschaulichen Richtungen gegeben. Doch wechselt die Mode, was die Wertschätzung angeht. In den 60er und 70er Jahren war in der BRD politisches Engagement zumindest links der Mitte geradezu Pflicht, das Gegenteil als ästhetizistischer Eskapismus verschrien. In den 80ern und 90ern empfanden die Akteure der Neuen Subjektivität und der Pop-Literatur den politischen Aktivismus von Figuren wie Günter Grass dann als antiquiert und peinlich. Derzeit hat sich der Wind jedoch wieder gedreht: Eine Erfolgsschriftstellerin wie Juli Zeh sendet beinahe im Wochentakt politische Belehrungen hinaus in die Welt. Und das Publikum lacht nicht, sondern nimmt ernst.

Der Germanist Jochen Hörisch lässt in seinem neuen Buch »Poesie und Politik« erst einmal die Luft aus allzu aufgeblasenen Vorstellungen von politischem Dichtertum. An abschreckenden Beispielen wie der Hitler-Verehrung Knut Hamsuns oder der Stalin-Beschönigung Lion Feuchtwangers belegt der Autor, dass Dichtende sich politisch ebenso fürchterlich täuschen können wie alle anderen Menschen auch: »Wer sich in politischen Fragen großen Dichtern anvertraut, muss mit schweren Enttäuschungen rechnen.«

Literarisches Können und politische Vernunft seien zwei verschiedene Dinge. Die entgegengesetzte Annahme entspringe der unkritischen Übernahme des seit der Antike verbreiteten Klischees, das Schöne, das Wahre und das Gute seien im Grunde identisch. Tatsächlich aber gelte: »Dichter wie Intellektuelle sind per definitionem Dilettanten, wenn sie sich politisch äußern und engagieren.« Bemerkenswert ist Hörischs Gedanke, diese fühlten sich zur Politik wohl auch deswegen hingezogen, weil Politiker*innen selbst zumeist ja auch keine Fachleute seien.

Gibt es aber nicht auch Gegenbeispiele für gelungenes Engagement? Hörisch widmet auch diesen ein Kapitel. Der Dichter Goethe amtierte als Minister in Weimar solide und in Maßen erfolgreich. Doch gelang ihm dies gerade deswegen, weil er beide Rollen klar zu trennen wusste und keine poetischen Blütenträume zum Staatsziel erhob. Hörisch schildert auch die Geburt der Figur des »Intellektuellen« in der Dreyfus-Affäre, als der französische Romancier Émile Zola erfolgreich die Rehabilitierung des Opfers eines antisemitischen Justizverbrechens betrieb.

Im Allgemeinen aber, so der Autor, trübe der ausgeprägte Individualismus der Dichtenden die politische Vernunft. Stattdessen seien sie anfällig für die Verlockung, die in prachtvoller Macht liegt, denn »politische und ästhetische Despo(e)ten spüren häufig eine wahlverwandtschaftliche Nähe zueinander«.

Zu kurz kommt im Buch die subversive Kraft, die trotz alledem in der fiktionalen Literatur liegt. Immerhin spricht auch Hörisch die besonderen Möglichkeiten der Dichtung an, die einen »Umweg« geht, auf dem »Dissens und Dissonanz in reizvoller, in symptomatischer Weise zu Wort kommen« können. Ein Kunstwerk kann keine unmittelbaren Wirkungen entfalten, aber gerade dadurch, dass es allgemeine Probleme in fiktiven Gestalten individualisiert, das öffentliche Bewusstsein verändern. Dies ist nicht zuletzt den Neuen Rechten bewusst, die im Kampf um »kulturelle Hegemonie« derzeit eine eigene Literaturpolitik betreiben. Hörisch geht darauf aber nicht ein, wie überhaupt die gegenwärtige Debatte kaum eine Rolle spielt.

Insgesamt ist Jochen Hörischs Buch im Ton recht bieder geraten, und seine Scherze über »politische Korrektheit« ermüden durch Wiederholung. In der Auswahl seiner Beispiele bewegt sich der Autor auf der Paradestraße des Kanons, statt sich auf Seitenpfaden zu interessanten Außenseitern durchzuschlagen. Und auch in theoretischer Hinsicht ist Hörisch nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Kann man ein Buch über »Poesie und Politik« schreiben, ohne sich mit Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes auseinanderzusetzen?

Hörischs Essay ist eine anregende und gut lesbare Einführung ins Thema. Wer sich jedoch intensiver mit dem gesellschaftskritischen Potenzial von Literatur beschäftigen will, der ist andernorts – etwa bei Enno Stahl – besser aufgehoben.

Jochen Hörisch: Poesie und Politik. Szenen einer riskanten Beziehung. Hanser, 160 S., 24 €.

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