Mit Coldplay- und Katar-Dollar gegen die Inflation

Argentinien versucht Peso-Abwertung mit Dschungel an Wechselkursen zu bekämpfen

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

Argentinien ist das Land mit den meisten Wechselkursen für den Dollar. Neben den offiziellen und klandestinen Wechselkursen gibt es für die US-Währung noch rund ein Dutzend mit unterschiedlichen Beinamen. Jetzt kommen mit dem Katar-Dollar und dem Coldplay-Dollar noch zwei weitere hinzu. Selbst die finanzgeschulten Argentinier*innen verlieren allmählich den Überblick.

Grund für die Unübersichtlichkeit ist der chronische Dollarmangel der Zentralbank. Trotz niedriger Devisenreserven stemmt sie sich gegen die Abwertung des Peso, versucht aber mit immer neuen Wechselkursvarianten die heimische Nachfrage nach der US-Währung einzudämmen. Dabei ist das Schema immer gleich: Auf den offiziellen Wechselkurs von aktuell 158 Peso pro Dollar werden mal mehr und mal weniger Steuern und Abgaben aufgeschlagen. Den Dollar zum offiziellen Kurs bekommen nur Einfuhrunternehmen. Damit sollen die Preise für Importe in dem von Inflation gebeutelten Land niedrig gehalten werden. Dennoch stiegen die Preise in den ersten neun Monaten des Jahres um 66,1 Prozent.

Sparen in Peso ist denn auch ein Verlustgeschäft, obgleich die Zentralbank den Leitzins Mitte September auf satte 75 Prozent anhob. Wer die Inflation umgehen will, kann den Spar-Dollar für 261 Peso kaufen, aber nur 200 Dollar pro Monat. Wer im Ausland mit Kreditkarte bezahlt, wird zu Hause mit 277 Peso pro Dollar belastet. Ähnliches gilt für den Netflix-Dollar, mit dem die internationalen Streamingabos bezahlt werden. Wer allerdings seine Kreditkarte mit mehr als 300 Dollar im Monat belastet, muss jetzt 316 Peso pro Dollar berappen. Damit sollen vor allem jene zur Kasse gebeten werden, die im November zur Fußball-WM nach Katar reisen, weshalb der aktuelle Spitzenreiter unter den Wechselkursen prompt den Beinamen Katar-Dollar bekam. Kritik an dem neuen Dollar weist die Regierung zurück. Der betreffe nur die wohlhabende Schicht. So hätten im August sieben Prozent der Bevölkerung 263 Millionen Dollar ausgegeben, was aber knapp über 80 Prozent der gesamten Dollarausgaben mit Kreditkarten entspreche.

Wer im Land bleibt und die Gastauftritte internationaler Künstler*innen genießt, muss zukünftig ebenfalls tiefer in die Tasche greifen. Schuld ist der Coldplay-Dollar für 206 Peso. Mit ihm soll die Gage der britischen Band Coldplay für ihre zehn Konzerte Ende Oktober gewechselt werden. Zukünftig soll er als Kultur-Dollar bei allen internationalen Gastauftritten gelten, wodurch die Peso-Ticketpreise um einiges anziehen werden.

Wichtigster Dollarlieferant der Zentralbank ist die Agrarwirtschaft. Sämtliche Exporterlöse müssen bei ihr zum offiziellen Ankaufskurs umgetauscht werden. Dabei werden von den 150 Peso praktischerweise gleich die unterschiedlich hohen Exportsteuern auf Soja, Mais und Weizen abgezogen. Was von den 150 Peso dann jeweils noch bleibt, ist der Soja-Dollar, der Mais-Dollar und der Weizen-Dollar. Als die Agrarindustrie in Erwartung einer Abwertung nur noch das absolut Notwendigste verkaufte, schrumpften die Dollarzuflüsse der Zentralbank bedenklich zusammen. Prompt gewährte sie für Sojaexporte einen drei Monate währenden Wechselkurs von 200 Peso pro Dollar.

Gleich zwei Kurse gibt es für Transaktionen an der Börse. Dabei werden mit auf Peso nominierten Wertpapieren Aktien gekauft, die auf Dollar nominiert sind und nach einer mehrtägigen Wartezeit an der Börse in Buenos Aires oder an der New Yorker Börse verkauft. Daraus errechnen sich die beiden Umtauschkurse von aktuell 294 Peso beziehungsweise 306 Peso für einen Dollar. Letzterer wird von Unternehmen für den Dollartransfer ins Ausland verwendet, mehr als 100 Millionen Dollar werden dabei börsentäglich umsetzt. Etwas komplizierter zu erklären ist der Techno-Dollar, zu dem Technologieunternehmen ihre Produkte im Ausland verkaufen.

Am einfachsten geht es in den klandestinen Wechselstuben zu, in denen der blaue oder informelle Dollar gehandelt wird. Seit die Einkünfte bei immer mehr Argentinier*innen nicht mehr bis zum Monatsende reichen und sie auf ihre Dollarreserven unter den Matratzen zugreifen müssen, agieren die zahlreichen Tauschbüros in einer von der Regierung geduldeten Grauzone. Hier gibt es für den Dollar aktuell 286 Peso. Wer kaufen will, zahlt 290 Peso.

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