Burnout mit Anfang 20

Berlin soll Bundesratsinitiative zur Verbesserung der Situation von Pflegestudierenden beschließen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir setzen unsere körperliche und mentale Gesundheit aufs Spiel«, sagt die junge Frau, die am Montag im Wissenschaftsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses das Wort erhält. Die Studierende spricht im Namen von einer Gruppe Hochschüler*innen, deren Lage auch in der Hauptstadt über die Maßen prekär ist – dabei ruht auf ihnen die Hoffnung eines ganzen Berufsfeldes.

Es geht um Pflege-Studierende, die in Bachelor- und Masterstudiengängen einen Abschluss als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann anstreben. Manche von ihnen haben schon eine Ausbildung im Pflegebereich absolviert, andere steigen berufsbegleitend in das Studium ein, wieder andere kommen als interessierte Neulinge. Die Bedingungen, unter denen sie das bundesweit und auch in Berlin tun, sind allerdings alles andere als geeignet, den sich weiter vertiefenden Pflegemangel wirkungsvoll aufzuhalten. »Wir müssen 40 Stunden Praxis im Krankenhaus leisten, sollen nebenbei wissenschaftlich fundiert arbeiten, indem wir Hausarbeiten und Berichte abliefern, müssen aber dann auch noch diverse Nebenjobs machen, um unser Studium überhaupt finanzieren zu können«, erklärt die Pflegestudierende. Das Ganze dann sieben Semester, also dreieinhalb Jahre lang. »Viele landen schon zu Beginn ihres Studiums in einer Burnout-Situation«, schildert sie weiter. »Unstudierbar« sei Pflege auf diese Weise.

Aus diesen Gründen ist, wie auch in der Anhörung im Ausschuss zu vernehmen ist, die Abbruchquote mit zehn Prozent enorm hoch – für Expert*innen wie Johannes Gräske, der an der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin im Studiengang Pflege eine Professur für Pflegewissenschaft hält und Adelheid Kuhlmey, Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Berliner Charité, eine Katastrophe, die sich unter anderem in bundespolitischen Verfehlungen begründet. Fehlende Vergütung der Leistungen von Pflege-Studierenden sei da nur ein Problem.

»Der Wissenschaftsrat hat bereits vor zehn Jahren empfohlen, zehn Prozent des Pflegebereichs zu akademisieren«, erklärt Pflege-Expertin Kuhlmey. »2021 haben allerdings in der gesamten Bundesrepublik 508 Menschen ein Pflegestudium aufgenommen – wir liegen damit bei nicht mal einem Prozent.« So seien es zuletzt gerade mal 19 Studienanfänger*innen gewesen, die den Pflege-Bachelor an der Berliner Charité, der seit dem Wintersemester 2020/2021 angeboten wird, aufgenommen hätten. »Mit 19 Studierenden können Sie keinen Studiengang durchführen«, erklärt Kuhlmey.

Sie sagt zwar, dass »acht von zehn Studierenden das Studium wieder wählen würden«. Nur seien die Bedingungen eben über die Maßen schwierig – auch für die Hochschulen selbst. Zum einen bräuchten diese mehr Zeit, um die entsprechenden Studiengänge zu entwickeln. Zum anderen gebe es seitens pflegerischer Einrichtungen, auf die man für die praktische Ausbildung als Kooperationspartner angewiesen sei, Vorbehalte. Sie befürchteten etwa, dass Pflege-Absolvent*innen ohne Erfahrung »am Bett« dann direkt Leitungsfunktionen übernehmen sollten. »Nein, sie sollen zurück ans Bett und da ihre hochqualifizierten Aufgaben übernehmen«, widerspricht Kuhlmey. Gerade in der pflegerischen Langzeitversorgung brauche es hoch qualifizierte Kräfte. »Auf uns kommen 13 Millionen Babyboomer zu, die ab dem Zeitraum zwischen 2035 und 2050 Pflege brauchen«, gibt Kuhlmey noch einmal die Dringlichkeit vor. »Eine Zahl von acht Millionen Menschen wird hoch altern. Das schaffen wir ohne den Qualitätsschub nicht.«

Johannes Gräske erklärt, dass an der ASH die klinischen Fachgebiete im Bereich der Lehre nicht abgedeckt werden könnten. Überdies sei festgelegt, dass Lehrende auf dem Gebiet fast nur die Hälfte der in der Praxisbegleitung geleisteten Stunden bei der Abrechnung geltend machen können – potenziellen Bewerber*innen sei das nicht zu vermitteln. Auch drei Promotionsstellen habe man zuletzt zum vierten Mal ausschreiben müssen.

Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) bedankt sich bei den zur Anhörung Eingeladenen. Es sei wichtig, »dass es Schilderungen gibt, die ein Bild in unserem Kopf erzeugen«, so die Senatorin. Aber zu fordern, dass bei allen Problemen, auf die der Bund nicht schnell genug reagiere, Berlin einspringen müsse, sei in ihren Augen ein Fehler und führe »zu strukturellen Schieflagen«.

Nach der Anhörung wird im Ausschuss der Antrag auf Empfehlung einer Berliner Bundesratsinitiative für eine angemessene Vergütung von Pflegestudierenden mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Man könne einfach nicht mehr warten, dass Verbesserungen immer nur angekündigt werden, sagt dazu die Grünen-Abgeordnete Aferdita Suka.

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