Opposition ist kein Mist

Linke erinnerte an »Friedliche Revolution« und fragte, wie es mit dem Osten weitergeht

Symbolfigur des demokratischen Aufbruchs in der DDR: Der Schriftsteller Stephan Heym auf der Demo am 4. November 1989 in Berlin
Symbolfigur des demokratischen Aufbruchs in der DDR: Der Schriftsteller Stephan Heym auf der Demo am 4. November 1989 in Berlin

Drei Musiker um Sänger Dirk Zöllner stimmten die zahlreich erschienenen Gäste auf den Abend ein und evozierten die zum Thema 33 Jahre Ende der DDR passenden Emotionen. Zöllner und seine beiden Mitstreiter waren 1989 in der DDR etablierte Künstler und stehen für den »Wendeherbst«, in dem Kulturschaffende eine tragende Rolle spielten. Dazu gab es Filmsequenzen, unter anderem von der großen Demo für mehr Demokratie in Berlin am 4. November 1989, auf der der Schriftsteller Stephan Heym vom aufrechten Gang sprach, den man nun erlerne. Die Linke-Bundestagsfraktion hatte am Dienstagabend in das kathedralenhafte Foyer des Paul-Löbe-Hauses des Bundestages zu einer Debatte um die Lehren aus jener Zeit geladen und darüber, wie es »mit dem Osten« weitergehen soll.

Über die Ostdeutschen wird aktuell angesichts der Proteste gegen Sanktionen gegen Russland und damit verbunden gegen drohende extreme wirtschaftliche Verwerfungen im politischen Berlin wieder heftig debattiert. »Ostdeutsche müssen sich immer noch erklären lassen, wer sie sind, was sie denken und was sie denken sollten«, konstatierte die Journalistin Gisela Zimmer, die die Podiumsdiskussion nach Intro und Rede von Linksfraktionschef Dietmar Bartsch moderierte. Sie würden als »ungeläuterte Spezies« wahrgenommen und dargestellt.

In der Diskussion analysierten die Publizistin Daniela Dahn, die Linke-Politiker*innen Gesine Lötzsch und Jan Korte sowie Gerd-Rüdiger Stephan, stellvertretender Geschäftsführer der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Vorgänge im Herbst 1989 und in den Folgejahren ebenso wie die heutige Lage. Dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nur ein Grund für Energie- und Rohstoffknappheit und explodierende Preise ist, konstatierte Dietmar Bartsch. Seine Stellvertreterin Gesine Lötzsch betonte mit Blick auf das von Kanzler Olaf Scholz zur Charakterisierung der Zäsur des Angriffs auf die Ukraine verwendete Wort: »Die eigentliche Zeitenwende war 1990. Damals begann der Kampf um die Neuaufteilung der Welt.« Also mit der Niederlage der meisten realsozialistischen Staaten in der Systemauseinandersetzung mit dem westlichen Kapitalismus.

Antworten auf die Frage, ob und warum die aktuellen Proteste im Osten kritikwürdig sind, wurden in den Beiträgen des Abends vermieden. Fraktionschef Bartsch erinnerte jedoch daran, dass es die SED-Nachfolgepartei PDS gewesen ist, die die Empörung der Ostdeutschen über die brutale Wiedereinführung des Kapitalismus ab 1990 »in demokratische Bahnen gelenkt« hat.

Daniela Dahn, Autorin zahlreicher Bücher über die Folgen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, mahnte Die Linke indes: »Opposition ist heute dringender denn je. Opposition ist die Seele der Demokratie.« Sie wünsche sich von der Linken ein »stärkeres Kante-Zeigen«.

In diese Richtung gingen auch die Erörterungen des Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion, Jan Korte. Der aus Niedersachsen stammende Politiker ist in seinem Wahlkreis in Sachsen-Anhalt mittlerweile vollkommen akzeptiert. Wohl auch, weil er den Leuten »aufs Maul schaut« und für pointierte und auch mal drastische Statements bekannt ist. An die Adresse seiner Partei und die gesellschaftliche Linke gerichtet, sagte er, diese ersetze ökonomische und politische Analyse zunehmend »durch Moral«. Es seien aber handfeste ökonomische Gründe, die heute die Ostdeutschen auf die Straße trieben. Und nach 1990 seien nicht nur Betriebe verscherbelt und abgewickelt worden, sondern auch unzählige »Orte der Begegnung«, so Korte. Auch das habe »die Demokratie ins Rutschen gebracht«.

Die Ostdeutschen seien zudem von ständigen »kulturellen Ermahnungen« frustriert, zu denen auch die offizielle Geschichtsschreibung gehöre, in der noch immer absurde Vergleiche zwischen DDR und Naziregime Alltag seien. Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) spricht mit Blick auf ein vom Bund geplantes Archivzentrum zur DDR-Geschichte weiter von einem »Archivzentrum zur SED-Diktatur«. Das geht aus einer Antwort auf eine Linke-Anfrage zu dem Zentrum vom 30. September hervor.

Wie also geht es weiter, und was kann man vom Aufbruch 1989 lernen? Daniela Dahn erinnerte an Alternativen zum Privateigentum in Gesundheitswesen, Energieversorgung etc. Die Vergesellschaftungskonferenz in Berlin vor anderthalb Wochen habe gezeigt, dass das Interesse daran gerade unter jungen Menschen groß sei. Bemerkenswert sei, dass das Wissen über Räterepubliken, die stets nur wenige Wochen existierten, größer sei als jenes über Eigentumsformen im verpönten Realsozialismus. Auch die praktischen Erfahrungen damit könnten aber nützlich sein.

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