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Elisabeth Pähtz: »Sexistische Kommentare lächle ich weg«

Elisabeth Pähtz über Feminismus, Betrugsskandale und die Corona-Auswirkungen im Schachsport

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 8 Min.

In den vergangenen zwei Jahren haben weltweit viele Menschen das Schachspielen für sich entdeckt. Wie hat Corona den Schachsport verändert?

Als wir den Lockdown hatten, sind mehr oder weniger alle Turniere ausgefallen, und viele meiner Kollegen hatten natürlich Existenzängste. Sie wussten nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. In einigen Ländern bekamen sie Unterstützung, in anderen keine. Es war eine sehr harte Zeit, einige meiner Kollegen haben dann angefangen, andere Sachen zu machen, beispielsweise Unterricht zu geben, so wie ich es getan habe. Ich glaube, der eine oder andere hat immer noch mit dieser Vergangenheit zu kämpfen. Manchen geht es finanziell gerade nicht so gut.

Interview

Elisabeth Pähtz ist seit 2001 Schachgroßmeisterin. Vier Jahre später krönte sie sich als Juniorin sogar zur Weltmeisterin. Seit damals ist die gebürtige Erfurterin die beste deutsche Schachspielerin und bereist als Profi die Welt. In der Pandemie war aber auch sie gezwungen, sich als Schachlehrerin ein zweites Standbein aufzubauen. Mit 37 ist sie immer noch Weltranglisten-21.. Ihr letztes Ziel: das WM-Kandidatinnenturnier.

In Ihrem neuen Buch „Wer den vorletzten Fehler macht, gewinnt» kritisieren Sie, dass die Schachwelt während der Pandemie anstelle von globaler Solidarität eher von internationaler Ausgrenzung geprägt war. Was genau hat Sie geärgert?

Dass es die Politik vielen internationalen Kolleginnen und Kollegen schwer gemacht hat, in andere Länder einzureisen, um ihren Beruf auszuüben. Sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern galt die 2G-Regel. Aber diejenigen, die nicht mit dem richtigen Impfstoff behandelt worden waren, durften nicht spielen. Das fand ich schade, weil in ihren Heimatländern wissenschaftlich belegt war, dass die Impfstoffe helfen. Die Wissenschaft im Osten sagte so, die westliche Wissenschaft sagte so. Ich bin mir nicht sicher, ob man hier den östlichen Impfstoffen wirklich nicht vertraut hat oder ob das politische Entscheidungen waren. Ich hätte es gut gefunden, wenn es da Kompromisse gegeben hätte, um nicht zu riskieren, dass der Sport daran kaputtgeht.

Mittlerweile wird im Schach schon wieder über andere Dinge diskutiert. So auch, dass es eine männerdominierte Sportart ist. Es gibt zwar auch zahlreiche Frauenwettkämpfe, allerdings sind die Siegesprämien dort viel niedriger als bei Männerturnieren. Warum? Und kann man als Frau in Deutschland vom Schachspielen leben?

Siegesprämien waren auch in anderen Sportarten schon immer geringer. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Im Schach ist eine, dass viel mehr Männer Schach spielen. Das ist für mich aber nicht schlüssig. Die wohl geläufigste Erklärung ist: Männer spielen stärker. Deswegen sollen sie auch besser honoriert werden. Das kann ich an dieser Stelle nicht widerlegen. Andererseits ist es dennoch der gleiche Sport. Würde man die Gehälter bei den Frauen anziehen, dann würden wahrscheinlich auch mehr Frauen Schach spielen und davon leben können. Weil es für eine Frau aber noch unglaublich schwierig ist, Profi zu sein, haben wir auch relativ wenige Frauen, die überhaupt Schach spielen.

In Ihrem Buch beziehen Sie sich auch auf den US-Fußball. Dort erhalten die Fußballerinnen von ihrem Verband die gleichen Prämien und Bonuszahlungen wie die Männer. Wäre Equal Pay auch ein Modell für den Schachsport?

Das kann ich mir durchaus vorstellen. Ich glaube aber nicht, dass das in naher Zukunft eintreten wird. Für so einen Schritt müsste sich wohl unsere Gesellschaft insgesamt ändern. Nicht nur die deutsche, sondern die ganze Weltgesellschaft, könnte man meinen. Die »Equal Pay«-Debatte wird ja von vielen nur belächelt. Auch beim Fußball wird gesagt, eine gleiche Bezahlung sei nicht gerechtfertigt, weil die mediale Aufmerksamkeit für die Männer wesentlich höher ist. Beim Schach allerdings würde ich nicht behaupten, dass die Einschaltquoten so viel höher wären. Okay, Schach wird nicht so viel im Fernsehen übertragen, aber online gibt es durchaus sehr viele Fans, die auch bei Frauenturnieren mitfiebern. Diese Begründung funktioniert also im Schach nicht so wie beim Fußball. Es müsste also schon fairere Systeme geben, denn teilweise sind die Einnahmen der Männer ja drei- oder viermal so hoch wie die der Frauen.

Die Weltmeister Bobby Fischer und Garri Kasparow äußerten sich einst diskriminierend gegenüber Frauen, die Schach spielen. Zuletzt kommentierte der belarussisch-israelische Großmeister Ilja Smirin ein Frauenturnier und gab zu, in privaten Gesprächen schon mal zu sagen, dass Schach nichts für Frauen sei. Haben Sie persönlich Erfahrungen mit Sexismus in ihrem Sport gemacht?

Ich bin mit derlei niemals persönlich konfrontiert worden. Vielleicht hatte ich da Glück. Wenn jemand irgendeinen sexistischen Kommentar macht, dann gibt es ein kleines Lächeln von mir und es ist nicht so, dass ich daraus jetzt im Internet ein Drama machen müsste. Vielleicht bin ich da auch nicht feministisch genug. Dieser Fall mit Ilja Smirin passierte während des Grand Prix in Kasachstan, wo ich selbst mitgespielt habe. Meines Erachtens wurde das viel zu dramatisch behandelt, vor allem von den US-Spielerinnen. Ich denke: Vielleicht ist das eine Mentalitätssache, aber die meisten Teilnehmerinnen in Astana haben das gar nicht so schlimm wahrgenommen, um ehrlich zu sein.

Gegen viel stärkere Formen der Diskriminierung protestieren gerade Tausende Frauen im Iran. 2017 fand die Schach-WM der Frauen in Teheran statt. Die lokalen Veranstalter forderten von den Spielerinnen, mit Kopftuch zu spielen, was Sie aber ablehnten. Als Kompromiss haben Sie sich Ihre Lieblingsmütze aufgesetzt. Wie blicken Sie auf die aktuellen Proteste der Frauen im Iran?

Damals hatte man uns gesagt, wir könnten Hidschab oder eine Mütze tragen. Ich habe also nicht gegen die Regeln verstoßen. Ich habe kein Kopftuch getragen, weil ich nicht mit der Paranoia klarkam, dass mir das Tuch während der Partie runterrutschen könnte. Deswegen habe ich eine Mütze getragen. Viele hatten mir damals unterstellt, ich hätte kein Rückgrat gehabt oder hätte das boykottieren müssen. Dadurch, dass sehr viel Geld für Frauen im Schach im Iran ausgegeben wird, war aber meine Hoffnung, es könne vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung sein. Ich habe es also lieber als etwas Positives interpretiert, aber viele sahen das eben anders. Die aktuellen Proteste finde ich nicht überraschend, denn in Krisenzeiten steigt der Mut, gegen die Zustände zu rebellieren. Ich würde mich freuen, wenn die Frauen im Iran Erfolg haben, denn ich glaube einfach, Frauen sollten ein selbstbestimmtes Leben führen können. Es kann nicht sein, dass sie von Männern diktiert bekommen, was sie zu tragen haben oder ob sie ihre Haare verdecken sollen oder nicht.

Das zweite große Thema im Schach ist eine Betrugsdebatte: Weltmeister Magnus Carlsen verdächtigte öffentlich seinen Kontrahenten Hans Niemann, mehrfach geschummelt zu haben. Seitdem wird in der Szene viel über die Vorwürfe diskutiert. Gibt es ein generelles Betrugsproblem im Schach?

Das gibt es schon, seit es die Schach-Engines und Computerprogramme gibt, und man muss dagegen ankämpfen. Eine gute Möglichkeit ist es, Partien am Brett erst mit einer Verspätung online oder im Fernsehen zu übertragen, damit eine Hilfe von außen schwieriger wird. Das hat jetzt auch der Weltschachverband Fide endlich eingesehen, der sich jahrelang dagegen gesträubt hatte. Ich hoffe, dass das nun prinzipiell so gehandhabt wird. Aber Betrug komplett zu unterbinden ist schwierig. Vor ein paar Jahren gab es einen bulgarischen Spieler (Borislaw Iwanow, Anm. d. Red.), der hundertprozentig betrogen haben musste, auch bei Partien ohne Live-Übertragung. Das wussten alle, aber bis heute weiß niemand, wie er es gemacht hat. Dieses Beispiel zeigt, dass Betrug niemals komplett auszuschließen ist. Aber man kann ihn deutlich erschweren. 

Seit mehr als 20 Jahren tragen Sie den offiziellen Titel der Großmeisterin. Für den geschlechtsneutral geltenden Großmeister-Titel muss man drei höhere Normen erfüllen. Im November 2021 hatten Sie Ihre dritte und vermeintlich letzte dafür in Riga geschafft. Die Fide verkündete daraufhin, dass Ihnen der Titel verliehen würde. Doch als Sie ihn beantragten, lehnte der Verband ab, weil Ihre zweite Norm von 2016 angeblich ungültig gewesen sei. Wie sieht’s aus? Darf man Sie jetzt Großmeister nennen oder nicht?

Der Fall wird immer noch diskutiert und nimmt scheinbar kein Ende, weil sich die Fide-Funktionäre nicht einig sind. Einige wollen die Regeln ändern, andere wiederum nicht. Das ist ein so chaotisches Verfahren, dass ich aufgehört habe, mich damit zu beschäftigen. Mein Kenntnisstand ist, dass das klappen wird. Daran glaube ich aber erst, wenn es auf dem Papier steht. Bis dahin versuche ich, mich von dem Thema emotional fernzuhalten, weil es mir nicht hilft.

Sie sind die beste deutsche Schachspielerin. In der Weltrangliste sind Sie auf Platz 21 gelistet, und nur eine Frau vor Ihnen ist noch ein Jahr älter. Welche Ziele haben Sie mit 37 noch?

Ich wollte immer in die Top Ten. Und dieses persönliche Ziel habe ich 2018 auch erreicht. Jetzt bin ich gar nicht mehr so ambitioniert, um noch irgendein Ziel zu verfolgen. Ich würde mich gerne für das Kandidatinnenturnier für die Weltmeisterschaft der Frauen qualifizieren. Aber das würde mein Leben auch nicht drastisch ändern. Es ist kein so starker Wunsch, dass ich alles dafür tun würde. Ich nehme es locker: Es ist, was es ist, und es kommt, was kommt.

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