Gründerzeitstimmung in der Linken

Sahra Wagenknecht liebäugelt weiter mit einer eigenen Partei, während ein Vorstandsmitglied vorschlägt, ihre Gegner sollten aus der Fraktion austreten

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zwei Wochen war Sahra Wagenknecht zu Besuch in Zwickau. In der Aula des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums stellte die ehemalige Fraktionschefin der Linken ihr Buch »Die Selbstgerechten« vor. So gut wie alle Plätze waren besetzt, während die Bundestagsabgeordnete einmal mehr über ihre eigene Partei schimpfte. Dass ein Teil der Bevölkerung, der seiner Wut Ausdruck verleihen wolle, rechts wähle, liege an einer veränderten Programmatik der Linken, glaubt Wagenknecht: Was heute als links gelte, spreche eher »diese großstädtische akademische Mittelschicht« an – und »gar nicht so sehr diejenigen, die in dieser Gesellschaft die Verlierer sind und die im Grunde das härteste Leben haben«.

Das Buch löste in der Linken viel Kritik aus. Wagenknecht wird vorgeworfen, Menschen zu verunglimpfen, die sich für Klimaschutz oder Antirassismus einsetzen. In Zwickau erhielt sie viel Zuspruch, jedoch meldete sich auch eine junge Frau zu Wort, die für Fridays for Future und Black Lives Matter auf die Straße gegangen ist: »Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Sie so einen tiefen Graben ziehen müssen zwischen armen Personen und anders diskriminierten Personen.«

Längst ist es nicht nur dieses Buch, das verschiedene Milieus, die ursprünglich zum Lager der Linken gerechnet wurden, auseinandertreibt. Es sind unterschiedliche Haltungen in Fragen von Migration, Coronakrise und Krieg, die daran zweifeln lassen, ob das Wagenknecht-Lager noch mit dem Rest der Partei zusammenbleiben kann. Immer wieder kommen Gerüchte über eine Abspaltung dieses Lagers auf. Tatsächlich scheint Wagenknecht mit einer eigenen Partei durchaus zu liebäugeln: Sie wünsche sich, dass »eine Partei entsteht, die die Politik der Regierung verändern kann«, sagte sie zuletzt im Interview mit »Bild«. Aber es sei »halt nicht so einfach, eine Partei zu gründen«. Auf Nachfrage fügte sie dann noch hinzu: »Die Zukunft ist offen.«

Noch ist nicht klar, ob es tatsächlich zu einer Spaltung kommt. Wagenknecht dürfte noch gut in Erinnerung haben, dass sie mit ihrem Projekt »Aufstehen« schon einmal gescheitert ist. Im Sommer hatte sie angekündigt, dass im Herbst auf Basis des Aufrufs »Für eine populäre Linke« eine Konferenz stattfinden solle, davon hört man gar nichts mehr. Andererseits sind die Fliehkräfte in der Linken nicht mehr zu übersehen. Jüngst, als Wagenknecht auf Twitter die Grünen – und eben nicht die rechtsradikale AfD – als die »gefährlichste Partei im Bundestag« bezeichnete, bekam sie einerseits viel Kritik, aus ihrem eigenen Lager aber auch Zuspruch. So schrieb die Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić, die AfD sei die »abscheuchlichste« Partei, die gefährlichste aber seien die Grünen, die den Rechten »mit ihrer fatalen Regierungspolitik mächtig den Nährboden bereiten«. Parteichef Martin Schirdewan widersprach, man müsse »sehr sorgfältig sein, dass man nicht dazu beiträgt, dass ein Klima entsteht, in dem Politikerinnen und Politiker der Verächtlichmachung preisgegeben werden«.

Entsprechend wird auf Seiten der Wagenknecht-Kritiker*innen überlegt, was man tun könne. Eine besonders außergewöhnliche Idee kam von Luigi Pantisano, der dem Parteivorstand angehört und dem Lager der Bewegungslinken zugerechnet wird: Nicht Wagenknecht, sondern ihre Kontrahent*innen könnten die Bundestagsfraktion verlassen. Dann könnte der Vorstand diese Gruppe als parlamentarische Vertretung der Linken anerkennen. Es gibt also auch eine gewisse Gründerzeitstimmung auf der anderen Seite.

Die Reaktionen auf diesen Vorschlag sind jedoch zurückhaltend: »Ich erwarte vom Vorstand der Bundestagsfraktion, dass er innerhalb der Fraktion die notwendigen Klärungen vornimmt, damit die Linksfraktion wieder als Teil einer linken Partei erkennbar wird«, so die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert, Reformerin und ebenfalls Wagenknecht-Kritikerin, auf nd-Nachfrage. Die Abgeordnete Martina Renner wiederum sieht den Parteivorstand in der Pflicht: Dieser dürfe nicht mehr um Ruhe bitten, sondern müsse klarmachen, »dass man nicht mehr tatenlos zusieht, wie die Engagierten gehen und der Laden zerbröselt«. Eine Anti-Wagenknecht-Fraktion scheint also vorerst nicht in Sicht.

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