Sunak legt los

Großbritannien hat einen neuen Regierungschef

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Regierungswechsel in Großbritannien lässt sich aus der Luft gut mitverfolgen. Am Dienstagmorgen schwebte ein Pressehelikopter über dem Londoner Regierungsviertel, während die BBC-Kommentatoren erläuterten: »Da ist der Wagen der abtretenden Premierministerin Liz Truss, die gerade beim Buckingham Palace vorfährt, um ihre letzte Audienz mit dem König zu halten.« Kurz danach tauchte das Auto von Rishi Sunak auf. Der angehende Regierungschef erschien zu seinem ersten Treffen mit dem Monarchen. Alles klappte wie am Schnürchen: Um 11.45 Uhr trat Sunak aus dem Palast, Charles III. hatte ihm den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Somit ist Sunak offiziell der neue Premierminister.

Am Amtssitz in der Downing Street hielt Sunak dann eine erste Rede. Er ließ keine Zweifel daran, dass er mit einem guten Teil der Politik seiner Vorgängerin brechen wird. Es seien Fehler gemacht worden, sagte Sunak. »Ich bin unter anderem zum Parteivorsitzenden und Premierminister gewählt worden, um diese Fehler zu beheben.« Er werde »wirtschaftliche Stabilität und Vertrauen« zum Herzstück seiner Regierung machen. Er warnte schon einmal, dass »schwierige Entscheidungen« kommen würden – eine Aussage, die in deutlichem Kontrast steht zum zwanghaften Optimismus, dem seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss anhingen. Die Warnung ist wohl ein Hinweis darauf, dass Einsparungen bei den Sozialausgaben zu erwarten sind. Details sind am Montag zu erwarten: Dann wird die Regierung ihren Haushaltsplan vorstellen.

In Ermangelung eines politischen Programms gab am Dienstag vor allem Sunaks äußerer Eindruck zu reden. Geschliffen, professionell, höflich: Der neue Regierungschef kam überzeugend rüber, so lautet der Konsens in Westminster. Schon das allein ist etwas, das man nach den jüngsten Chaoswochen überaus schätzt. Nach seinem Auftritt machte sich Sunak daran, ein Kabinett zusammenzustellen. Einzelheiten gab es bis am Dienstagnachmittag noch nicht, aber in der Tory-Partei hofft man, dass er sich nicht wie Johnson und Truss nur mit loyalen Anhängern umgibt, sondern auf Leute setzt, die ihren Job verstehen.

Die Tatsache, dass Sunak der erste nichtweiße Regierungschef ist, findet ebenfalls Beachtung. Trotz seines privilegierten Hintergrunds sei es bemerkenswert, dass Sunak es als indischstämmiger Mann ins höchste Regierungsamt im Land geschafft habe, schreibt der Autor Hashi Mohamed im »Guardian«. Aber er warnt auch: Für Sunak gelte dasselbe wie für andere Nachfahren von Migranten. »Er mag doppelt so hart gearbeitet haben, um nach oben zu kommen, doch seine Fehler müssen nur halb so schlimm sein, damit er wieder nach unten gerissen wird«, schreibt Mohamed.

Angesichts der Herausforderungen – hohe Inflation, steigende Zinsen und Energiepreise, wachsende Armut – dürfte es nicht leicht werden, Fehler zu vermeiden. Beobachter gehen davon aus, dass die »Flitterwochen« des neuen Premierministers kürzer sein werden als für seine Vorgänger. Die Oppositionsparteien verweisen darauf, dass Sunak trotz aller Professionalität und Nüchternheit demselben Flügel der Tory-Partei angehört wie Johnson und Truss. Er war bis Juli Finanzminister und trägt somit Verantwortung für die Probleme, vor denen das Land jetzt steht.

Auch in den Tory-Reihen gibt es Unmut. Dass Sunak in die Downing Street eingezogen ist, ohne dass die 160 000 Tory-Mitglieder konsultiert wurden, stößt an der Parteibasis sauer auf. Tamara Wood, Vorsitzende der konservativen Telford-Vereinigung, äußerte sich in der BBC ungehalten über die »Krönung« des neuen Premierministers: »Die Mitglieder und einige unserer Gemeinderäte sind sehr unglücklich.« Der Vorsitzende des rechten Thinktanks Bow Group, Ben Harris-Quinney, warnte, dass zehntausende Tory-Mitglieder die Partei verlassen könnten.

Die Anhänger Boris Johnsons, die auf eine Rückkehr ihres Idols gehofft hatten, sind ebenfalls frustriert. Nadine Dorries etwa, Kulturministerin unter Johnson, sagte, dass Sunak in einer »sehr schwierigen Lage« sei: »Er hat kein Mandat von der Öffentlichkeit, die Konservative Partei anzuführen.«

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