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  • Dokumentarfilm »Rise Up«

Befreiung als realistische Möglichkeit

Der Dokumentarfilm »Rise Up« will klarmachen, dass der weltzerstörende Kapitalismus der Menschheit keine lebenswerte Zukunft bieten kann

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
»Wo genau ist dieser Punkt, an dem Menschen beginnen, sich zu wehren?«, wird in dem Dokumentarfilm »Rise Up« gefragt.
»Wo genau ist dieser Punkt, an dem Menschen beginnen, sich zu wehren?«, wird in dem Dokumentarfilm »Rise Up« gefragt.

Nach »Der laute Frühling«, der im August in die deutschsprachigen Kinos kam, startet nun mit »Rise Up« erneut ein Dokumentarfilm, bei dem es den Filmemacher*innen darum geht, klarzumachen, dass der weltzerstörende Kapitalismus der Menschheit keine lebenswerte Zukunft bieten kann, beziehungsweise unfähig ist, die Lebensgrundlagen der Weltbevölkerung zu erhalten und dass er daher überwunden gehört.

Die Darstellung in »Rise Up« rückt zudem eine feministische Perspektive in den Mittelpunkt und bemüht sich herauszustellen, dass insbesondere patriarchale Verhältnisse stark mit kapitalistischen Strukturen vermittelt sind und deswegen die Kämpfe dagegen sich potenziell auch gegen das Mehrwertregime insgesamt richten. Überhaupt wird im Film versucht, die verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse und Diskriminierungen und die Aufstände dagegen auf das kapitalistische Weltsystem zu beziehen.

»Rise Up« besteht aus zwei Erzählsträngen: Konkreten Erfahrungsberichten verschiedener Aktivist*innen werden, unterlegt mit Bildern aus der glänzenden, glitzernden Welt der kapitalistischen Monaden, persönliche Räsonnements einer Ich-Erzählerin aus dem Off zur Seite gestellt, die die Formen der spätkapitalistischen Zustände und die Funktionsweise des Ausbeutungsregimes problematisiert.

Diese Off-Stimme, die zunächst ihre eigenen Gefühle von Leere und Nutzlosigkeit formuliert, entwickelt im Laufe des Filmnarrativs, motiviert durch die Erzählungen der Aktivist*innen, zunehmend eine optimistischere, kämpferische Perspektive.

Statt einer Analyse liefert sie allerdings oft nur antikapitalistische Rhetorik. »Glaubt irgendwer ernsthaft an dieses grüne Wachstum?«, fragt sie etwa, und so sehr diese Frage aus Sicht der Filmemacher*innen lächerlich und absurd sein mag, ist genau diese bürgerliche Perspektive, wonach die Mehrwertproduktion, flankiert von einer technologisch herzustellenden CO2-Neutralität, durchaus fortgeführt werden kann, das einzige, wohinter sich derzeit überhaupt progressive Mehrheiten versammeln lassen, es ist gewissermaßen liberaler Mainstream. Wenn man das als verzweifelte Scharade des ideellen Gesamtkapitalisten vorführen will, sollte man sich zumindest die Mühe machen, hinreichend zu erklären, warum das nicht funktionieren kann. Ein anderes Beispiel: Wenn die Off-Stimme über »all die, die vor uns kamen«, also die Arbeiter*innengenerationen bis heute, sagt, »tagein, tagaus floss ihre Arbeit und ihre Zeit, floss ihr Leben auf die Konten der Fabrikbesitzer oder Kolonialherren, floss auf die Konten der Eigentümer. Woher sonst kommen all die unvorstellbaren Vermögen, wenn nicht aus der Lebenszeit der Angestellten?«, drängt sich die Frage auf, ob es nicht überzeugender gewesen wäre, statt solch bemühter Metaphorik ein einfaches Rechenbeispiel anzuführen, das zeigt, wie der kapitalistische Mehrwert aus nicht bezahlter realer Arbeit entsteht.

Stark ist der Film indes immer dann, wenn er die selbst aufgeworfenen Fragen ernst nimmt. »Wo genau ist dieser Punkt, an dem Menschen beginnen, sich zu wehren?«, fragt die Off-Stimme, und die Antworten darauf sind durchaus erhellend. So berichtet die südafrikanische Anti-Apartheit-Kämpferin Shahida Issel von einem »life changing moment«, als sie beobachtete, wie ihre Mutter sich bei einem jungen Polizisten entschuldigen musste, weil sie auf dem Bürgersteig gelaufen war. Der spätere Gewerkschaftsaktivist Kali erzählt, wie im Vorfeld der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles der jahrelange Drogenkrieg in der Stadt von den Repressionsbehörden zügig beendet wurde und wie ihm daran die Willkür politischer Entscheidungen klar wurde.

Überhaupt sind die persönlichen Schilderungen von Shahida, Kali, der DDR-Bürgerrechtlerin Judith, der Chilenin Camila und der Frankfurterin Marlene, die sich den Kämpfenden in Rojava angeschlossen hatte, aufschlussreich, allerdings zunächst weniger wegen ihrer vermeintlich antikapitalistischen Stoßrichtung, als vielmehr hinsichtlich der darin sich zeigenden Ambivalenzen. Etwa wenn Judith von ihrem Leben in der DDR erzählt, das sich hinsichtlich der Pflicht, einen »sinnlosen«, jedenfalls monotonen und belastenden Job machen zu müssen, wenig von der kapitalistischen BRD unterschied. Diesen Ambivalenzen wird im Film aber kaum nachgegangen, wohl vor allem deshalb, weil sie das übergeordnete antikapitalistische Narrativ nicht bedienen. Daraus ergeben sich einige argumentative Probleme, denn genau in diesen Ambivalenzen dürften die Antworten auf einige der im Film gestellten Fragen zu finden sein, etwa lässt die blanke Tatsache, dass sich an vielen Orten der Welt Menschen gegen Unterdrückung auflehnen und organisieren, keineswegs einen Rückschluss auf eine übergeordnete Klassensolidarität zu.

Im letzten Drittel des Films gelingt es den vier Regisseur*innen Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard und Luca Vogel, die vorgebrachten Geschichten und Gedanken zu einem konsistenten Schluss zu bringen, indem sowohl darauf hingewiesen wird, dass die heutigen gesellschaftlichen Zustände, in denen die Sklaverei abgeschafft und Frauenwahlrecht und »Gesundheitsversorgung für alle« verwirklicht sind, von vorangegangenen Generationen bereits erkämpft werden mussten. »Leben wir am Ende nicht in einer Zeit voller verwirklichter Utopien?«, fragt die Off-Stimme, und dieser Gedanke trägt den Film letztlich zu einer Perspektive, die Befreiung als realistische Möglichkeit auffassen kann und die persönlichen Erfahrungsberichte mit der kapitalistischen Manöverkritik vermittelt.

»Rise Up« ist als Hybrid aus antikapitalistischer Reflexion einerseits und beeindruckenden anekdotischen Kampfgeschichten andererseits, erzählt von »echten« Revolutionär*innen, ein kluger und sympathischer Film, dem ein großes Publikum zu wünschen ist. Und dass nach »Der laute Frühling« nun bereits eine zweite Filmproduktion nicht bei Appellen an die Mächtigen stehen bleibt, sondern so weit geht, das kapitalistische Ausbeutungsprinzip als den zentralen Antrieb von Klimakatastrophe und unterdrückerischen Verhältnissen zu verstehen, ist überaus lobenswert. Der Film zeigt aber auch einige der problematischeren Merkmale linker Debatten, und es hätte ihm gut gestanden, sich etwas weniger in Metaphern und Rhetorik zu ergehen.

»Rise Up«: Deutschland 2022. Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel. 89 Minuten. Start: 27. Oktober.

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