Der Hausfrieden des Kohlekonzerns

Nach Protest in einem Tagebau stehen in Sachsen Klimaschützer, Abgeordnete und Journalisten vor Gericht

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum Abschluss hat der Anwalt von Sina Reisch zwei Fragen an den Zeugen. Dieser ist für die Sicherheit im Tagebau »Vereinigtes Schleenhain« zuständig, in dem südlich von Leipzig Braunkohle für die Stromerzeugung gewonnen wird und in dem die junge Frau, die nun als Angeklagte im stuckverzierten Verhandlungssaal des Amtsgerichts Borna sitzt, im November 2019 gemeinsam mit 1000 Klimaaktivisten gegen die umweltschädliche Kohleverstromung protestierte. Zunächst will der Anwalt wissen, wie viel Kohle die Bagger in der Grube fördern. Der Mitarbeiter der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag), die den Tagebau betreibt, antwortet prompt: 35 000 Tonnen am Tag. Reischs Verteidiger fragt nach, wie viel Kohlendioxid deren Verstromung verursache. Der Bergbauingenieur zuckt mit den Schultern: Das wisse er leider nicht.

Die Zahlen lassen sich nachlesen. Der Großteil der Kohle aus dem Tagebau landet im Kraftwerk Lippendorf, dessen Dampfsäulen im Leipziger Südraum weithin zu sehen sind. Es emittiert 11,1 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, also 30 410 Tonnen pro Tag. Der Ausstoß ist der neunthöchste aller europäischen Kraftwerke. Weil die Kohle der Mibrag damit maßgeblich zur Klimakatastrophe beiträgt, gab es wiederholt Protest gegen deren Abbau. In den Jahren 2018 und 2019 fanden bundesweit besuchte Klimacamps in dem Dorf Pödelwitz statt, dem damals noch die Abbaggerung drohte. Im November 2019 drangen Aktivisten dann in die Grube ein. Sie hätten »friedlich den Kohleabbau blockiert und anschließend freiwillig den Tagebau verlassen«, erklärt das Protestbündnis Ende Gelände.

Zwei Jahre später hat die Aktion indes juristische Folgen für einige der Beteiligten. Nachdem der Kohleförderer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet hatte, müssen sich einige von ihnen nun vor dem Amtsgericht in Borna verantworten. Bemerkenswert ist, dass neben einem Aktivisten auch zwei Landtagsabgeordnete, zwei Journalisten und eben Sina Reisch zu den Angeklagten gehören. Sie fungierte bei der Aktion als Pressesprecherin und werde, wie sie erklärt, augenscheinlich in dieser Funktion verfolgt: »Meine Personalien wurden in der Aktion nicht von der Polizei erfasst.«

Die Verhandlungen drehen sich vor allem um die Frage, wie gut und eindeutig das Gelände des Tagebaus gesichert und ob es mithin als »befriedetes Besitztum« zu erkennen war, dessen Verletzung der Staatsanwalt den Angeklagten zur Last legt. Die Protestierer hätten Erdwälle überwunden und einen gut 1,50 Meter hohen Wildschutzzaun niedergetreten, um in den Tagebau eindringen zu können. Ausgiebig studiert der Richter mit den Prozessbeteiligten eine Karte und lässt sich vom Zeugen erläutern, wo Schilder, Schlagbäume und Barrieren die Grube sichern. Derweil schüttelt im Saal Jens Hausner von der Bürgerinitiative Pro Pödelwitz den Kopf. An den Wochenenden, sagt er, gingen die Anwohner auf dem Grubengelände spazieren: »Daran stört sich die Mibrag nicht.«

Den Angeklagten helfen derlei Beobachtungen zunächst nicht. In einem ersten Prozess wurde Jule Nagel, Leipziger Landtagsabgeordnete der Linken, wegen Hausfriedensbruchs zu 15 Tagessätzen à 150 Euro verurteilt. Sie begleitete die Aktion als parlamentarische Beobachterin und Vermittlerin. Mittlerweile, sagte die am Dienstag dem »nd«, habe sie Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Vor diesem Hintergrund entschloss sich ihr ebenfalls angeklagter Fraktionskollege Marco Böhme zur freiwilligen Zahlung einer Geldbuße von 800 Euro. Seine Verhandlung, die am Dienstag hätte stattfinden sollen, erübrigte sich damit. Das sei »kein Schuldeingeständnis und auch kein Wegducken«, betonte er. Man strebe eine »Grundsatzentscheidung vor einem höheren Gericht an«, aber, fügte Böhme unter Hinweis auf Nagels Entscheidung an, eben nicht doppelt.

Generell stößt das Vorgehen der Mibrag bei den Betroffenen auf scharfe Kritik. Der Konzern wolle »ein Exempel statuieren und friedlichen Protest kriminalisieren«, sagte Böhme. Journalisten, die wegen ihrer Begleitung der Protestaktion verfolgt werden, kritisierten eine Behinderung und Delegitimierung ihrer Arbeit. Dass Medienschaffende von Energiekonzernen mit Klagen überzogen werden, zeuge »von einem antidemokratischen Verständnis«, erklärte der Leipziger Journalist Marco Bras dos Santos, dessen Verhandlung am 2. Dezember stattfinden soll. Zuvor wird am 18. November der Prozess gegen Sina Reisch fortgesetzt, der wegen Verhinderung von Zeugen vertagt werden musste. Reisch lässt durchblicken, dass sie sich dann ausführlicher zu den Beweggründen für den Protest äußern will – und auch zum Vorwurf des Kohlekonzerns und der Anklage. »Was für ein Hausfrieden soll das denn sein?«, fragt sie und erklärt ihren Protest: »Das Haus brennt, und wir halten fossile Brandstifter davon ab, weiter Öl ins Feuer zu gießen.«

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