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  • Fußball-WM 2022 in Katar

Reden um den heißen Ball

Innenministerin Faeser kehrt mit "Sicherheitsgarantie" aus Katar zurück

  • Ronny Blaschke, Doha
  • Lesedauer: 4 Min.

Die spektakuläre Konstruktion aus Beton, Stahl und Glas ist an der Promenade von Doha schon aus der Ferne zu erkennen. Das Nationalmuseum von Katar ist einer Sandrose nachempfunden. In den Innenräumen wird mit Artefakten und Kinosound der Aufstieg des Emirats romantisiert. Katar, das lange unter bahrainischer, osmanischer und britischer Fremdherrschaft stand, hat sich seit seiner Unabhängigkeit 1971 aus einer kleinen Gemeinde von Perlenfischern zu einer wohlhabenden Regionalmacht entwickelt. Der Herrscher des Landes, Emir Tamim bin Hamad al Thani, ist auf den Leinwänden des Museums allgegenwärtig. Mit ihm und Katar, so der Eindruck, der hier entstehen soll, sollte man sich besser nicht mehr anlegen. 

Was das im politischen Alltag bedeutet, bekamen nun hochrangige Vertreter der Bundesrepublik zu spüren. Die auch für Sport zuständige Innenministerin Nancy Faeser hatte kürzlich die Menschenrechtslage im Gastgeberland der am 20. November beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft kritisiert. »Für uns als Bundesregierung ist das eine total schwierige Vergabe«, sagte sie vergangene Woche dem ARD-Magazin Monitor. »Es wäre besser, dass das nicht in solche Staaten vergeben wird.« Daraufhin bestellte Katars Außenministerium den deutschen Botschafter für eine Protestnote ein. Zugleich wurde Faesers Kritik als »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« Katars zurückgewiesen.

So wurde der Kurztrip von Nancy Faeser nach Katar diese Woche zu einer diplomatischen Herausforderung. Am Montag ist die SPD-Politikerin mit einer Delegation nach Doha gereist, dazu gehören unter anderem der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes Bernd Neuendorf, die Sportpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen und Aktivisten der LGBTIQ-Gemeinschaft. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg von den Grünen, sagte ihre Mitreise nach Doha hingegen ab.

Der wachsende öffentliche Druck rund um die WM verlangt der Bundesregierung mit Blick auf Katar eine kritische Haltung ab. Erst recht, seitdem sich Meldungen erhärten, wonach Katars Behörden Tausende Arbeitsmigranten außer Landes drängen und offenbar Interviewmöglichkeiten von Journalisten während des Turniers stark einschränkt werden sollen.

Auch wenn das Innenministerium angekündigt hatte, dass Faeser die zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen der Arbeitsmigranten und die Verfolgung Homosexueller ansprechen wollte, die Human Rights Watch gerade erneut in sechs Fällen dokumentiert hatte, war nicht davon auszugehen, dass die Ministerin ihre deutliche Wortwahl in Doha wiederholen würde. Beim Rückflug präsentierte sie vielmehr als Erfolg eine Art Sicherheitsgarantie für Fans. „Alle Menschen, egal woher sie kommen, wen sie lieben und woran sie glauben, müssen bei der WM sicher sein. Diese Garantie hat mir der Premierminister gegeben«, sagte Faeser, nachdem sie mit Scheich Chalid bin Chalifa Al-Thani gesprochen hatte.

Dies gelte auch für die LGBTIQ-Community, obwohl Homosexualität dort unter Strafe steht. Nach diesem Bekenntnis will Faeser als Repräsentantin der Bundesregierung zum ersten deutschen WM-Spiel am 23. November gegen Japan erneut nach Katar reisen. Man wolle schließlich den Reformprozess in Katar weiter begleiten.

Diese sanfteren Worte sind kein Zufall. Nach dem kriegsbedingten Ausbleiben russischer Gaslieferungen ist die Bundesregierung auf der Suche nach neuen Rohstoffquellen. Katar verfügt über 12,5 Prozent der weltweit bekannten Gasreserven und ist zu einem der wichtigsten Exporteure von Flüssiggas aufgestiegen. Öffentliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen kam von der deutschen Bundesregierung in diesem Zusammenhang aber nicht. Erst im Mai war der Emir in Berlin zu Gast und Ende September reiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer Wirtschaftsdelegation nach Doha. Im Fokus: die neue potenzielle Energiepartnerschaft. Höchstens im Hintergrund: die Menschenrechte. Man kann die Kritik Faesers daher als innenpolitisches Zugeständnis an die Katar-Kritiker interpretieren. 

Über Katars Staatsfonds »Qatar Investment Authority« hat das Land mehr als 300 Milliarden Euro vor allem in westliche Märkte investiert, in Deutschland etwa in Volkswagen, die Deutsche Bank und die Großrederei Hapag-Lloyd. »2019 rangierte die Bundesrepublik als drittwichtigster katarischer Handelspartner hinter den USA und China«, schreibt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons in einem Dossier für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Die Deutsche Bahn und Siemens waren an Infrastrukturprojekten rund um die WM beteiligt. Auch nach Fertigstellung von Stadien und Metro-Linien stellt Doha weiter lukrative Aufträge in Aussicht, etwa bei erneuerbaren Energien oder im Abfallmanagement. Rund 150 deutsche Unternehmen sind jetzt schon in Katar aktiv. Gerade hat der Bundesverband mittelständische Wirtschaft in Doha eine Niederlassung eröffnet.

Damit wächst auch der politische Einfluss. »Die Bundesregierung betrachtet Katar als einen relevanten Vermittler bei regionalen Konflikten«, sagt Sons und verweist auf Syrien, Libyen und Jemen. Katar beherbergt zudem die größte US-Militärbasis im Nahen Osten und hält Verbindungen zum Iran sowie zur Hamas und der Muslimbruderschaft. Selbst wenn Regierungsmitglieder wie Nancy Faeser ihre Kritik noch mal wiederholen sollten – an einer Zusammenarbeit mit dem autoritär regierten Katar dürfte die Bundesrepublik vorerst nicht mehr vorbeikommen.

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