Unbequeme Mahnerin

Vandana Shiva, die wichtige globalisierungskritische Stimme aus Indien, wird 70

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.
Vandana Shiva im September 2022
Vandana Shiva im September 2022

Unlängst musste sie ganz schön einstecken, es wurde medial regelrecht auf sie eingeprügelt. »Hat Öko-Aktivistin Vandana Shiva Sri Lankas Landwirtschaft ruiniert?«, fragte beispielsweise am 13. Juli das Portal UNB aus Bangladesch. Hierzulande titelte die Zeitschrift »Cicero«: »Sri Lankas grüner Irrweg: Wenn die Bio-Revolution krachend scheitert«. Selbst in der Sonntagsausgabe des seriösen »Guardian« hieß es anklagend: »Wenn grüne Fanatiker ernst genommen werden«; und auch der ebenfalls britische »Telegraph« verstieg sich zu der Aussage: »Öko-Extremismus hat Sri Lanka in die Knie gezwungen«. 

Was all das mit der Jubilarin zu tun hat? Es soll auf ausdrücklichen Rat Vandana Shivas geschehen sein, dass Sri Lankas Ex-Präsident Gotabaya Rajapaksa im April 2021 alle Düngerexporte verbot und erklärte, den Inselstaat zum ersten Land mit 100 Prozent organischer Landwirtschaft zu machen. Das überhastete Experiment konnte nicht gut gehen – einige Monate später musste er seine Entscheidung revidieren. Da war der Schaden bereits enorm: Allein Sri Lankas Reisproduktion brach im Vorjahr um 20 Prozent ein, auch der für den Export so wichtige Teeanbau litt. Kaum jemand der zwei Millionen Bauern und Bäuerinnen hatte mit der unverhofften Wendung ohne das notwendige Rüstzeug umgehen können. Welchen konkreten Anteil Vandana Shiva an Rajapaksas Entscheidung hatte, ist unklar. Belegen lässt sich nur, dass sie den umstrittenen Schritt anfangs sehr begrüßt hatte.

Der mediale Nachhall ein Jahr später illustrierte aber erneut, dass sie für viele immer noch als Feindbild taugt und man ihr an diesem Beispiel das scheinbare Scheitern ihrer »Fantastereien« um die Ohren schlägt. Dabei hat sich die streitbare Aktivistin nie für ein Vorgehen mit der Brechstange ausgesprochen. Nicht die Dauer eines Wandels sei entscheidend, betonte sie wiederholt, sondern dass man sich in der Abkehr von einer zerstörerischen Wirtschaftsweise überhaupt zu neuen Wegen aufmache. Besonders in ihrem Fokus: Eine Nahrungsmittelproduktion im Einklang mit der Natur, ohne gefährlichen Pestizideinsatz, grüne Gentechnik, in Rückbesinnung auf jahrtausendealte Artenvielfalt, im fürsorglichen Bündnis mit Bestäuberinsekten und anderen Tieren, lernend gerade von indigenen Völkern.

Dafür steht sie seit vielen Jahren. Greifbares Beispiel ist ihre Biodiversitäts-Farm Navdanya im nordindischen Dehradun. Von dem 20 Hektar großen Öko-Paradies, einst eine Eukalyptus- und Zuckerrohrplantage, zeigte sich auch Vasudha Rai beeindruckt. Die Journalistin der Tageszeitung »The Hindu« verbrachte dort ein ganzes Wochenende und gab in ihrem Beitrag vom August 2021 eine sehr detaillierte Beschreibung dieses grünen Lernortes, wo allein 650 einheimische Reis-Variationen wachsen und 100 weitere Sorten dieses Hauptnahrungsmittels in der Samenbank gehütet werden. Generell gedeihen um die 7000 verschiedene Kulturen auf dem Areal.

Es ist vor allem die Eintönigkeit und Chemieabhängigkeit der Agrarwirtschaft, die Vandana Shiva umtreibt. Sie kämpft seit Jahrzehnten gegen Monokulturen und grüne Gentechnik, die unrühmliche Rolle und politische Lobbyarbeit von globalen Saatgut- und Pestizidgiganten wie Monsanto. Welche Auswirkungen deren Treiben hat, lässt sich in ihrer Heimat Indien noch klarer als anderswo besichtigen. So haben dort allein seit 1995 (nach den vermeintlichen Segnungen der »Grünen Revolution« ein Vierteljahrhundert zuvor) wenigstens 200 000 Landwirte wegen Überschuldung und Ausweglosigkeit Selbstmord begangen.

Aber auch Zoonosen, das Übergreifen von Krankheitserregern aus der Tierwelt auf den Menschen mit seiner ebenfalls industriellen Viehwirtschaft, war schon lange vor der seit drei Jahren die Welt in Atem haltenden Corona-Pandemie ein Thema, auf das sie wiederholt warnend hingewiesen hat. Äußerst kritisch sieht sie zudem den Einfluss der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung auf globale Entscheidungen.

Am Südrand des Himalaya, wo noch heute ihr Lebensmittelpunkt ist, kam sie am 5. November 1952 zur Welt. Schon ihre Eltern – ein Akademikerpaar – lehrten sie die Liebe zur Natur; von ihrer Mutter stammten erste Denkansätze für ihr öko-feministisches Engagement. Der Erstausbildung zur Physikerin ließ sie ein zweites Studium in Wissenschaftsphilosophie folgen.

Ihr vielleicht wichtigster Mentor war der am 21. Mai 2021 verstorbene Sunderlal Bahuguna, mit dem sie sich in den 70er Jahren in der von ihm gegründeten Chipko-Bewegung zur Baumrettung engagierte. In einem berührenden Nachruf auf ihren langjährigen Weggefährten erinnerte sie daran, dass Bahuguna in den gleichen Wäldern wirkte, in denen ihr Vater dereinst als Ranger gearbeitet hatte. Sie selbst wurde 1993 mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. In den Folgejahren entwickelte sie sich zu einer der namhaftesten Stimmen im globalisierungskritischen Diskurs. Pünktlich zu ihrem 70. Geburtstag ist soeben ihre Autobiografie »Terra viva – Mein Leben für eine lebendige Erde« in deutscher Sprache erschienen.

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