• Politik
  • Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Illegal, aber aktiv

Seit Einführung der Zwangsverschleierung im Iran sind feministische Netzwerke aktiv gegen Gewalt an Frauen. Jetzt stehen sie an der Spitze einer Revolution

  • Mina Khani
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit 70 Tagen protestieren die Menschen im Iran landesweit. Trotz der harten Repressionen kommen täglich zahlreiche Menschen auf die Straße, Frauen sind die Anführer*innen dieser Revolution. Laut der in Oslo ansässigen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights wurden seit dem Beginn der Proteste 416 Menschen von Polizei und Militär getötet, darunter 51 Kinder und 21 Frauen. Auch am heutigen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen werden die Menschen im Iran unter dem Motto »Frau, Leben, Freiheit« protestieren.

Initialzündung der größten und dauerhaftesten landesweiten Proteste in der Geschichte des Iran war der Mord an einer kurdischen jungen Frau: Mahsa Jina Amini wurde von der Polizei totgeschlagen. Es ist nicht das erste Mal, dass die iranische Gesellschaft mit so einem Fall konfrontiert ist. Doch mit Mahsa Jina Amini können sich sehr viele Menschen im Iran identifizieren. Sie ist Frau und Kurdin, sie kam aus armen Verhältnissen und aus einer Kleinstadt. Jede Person, ob Frau, trans Mann oder nicht-binäre Person, die den Zwang zur Verschleierung im Iran erlebt hat, weiß, wie es ist, wenn man auf der Straße von der Sittenpolizei angegangen oder festgenommen wird. Männer können sich mit ihrem Bruder identifizieren, der seit dem ersten Tag dafür gesorgt hat, dass der Version des Staates über den Tod seiner Schwester widersprochen wird. Jina ist Repräsentationsfigur für Kurd*innen und andere ethnische Minderheiten, die Unterdrückung erlebt haben. Alle Menschen im Iran, die staatliche Gewalt auf der Straße erlebt haben, können sich mit ihr identifizieren. Denn ihr Körper repräsentiert auch diese Gewalt. Zum ersten Mal bekommt die iranische feministische Bewegung, die an der Spitze dieser Proteste steht, weltweit Aufmerksamkeit. Doch sie war die ganze Zeit aktiv, wenn auch illegal.

Der iranische Staat hat seit der Islamischen Revolution die gesellschaftliche Ordnung des Landes durch repressive Maßnahmen gegen Frauen und Hinrichtungen politischer Gegner*innen verändert. Nachdem Ruhollah Khomeini nach der Islamischen Revolution 1979 an die Macht kam, erklärte er das Familienschutzgesetz für ungültig und rief zur Zwangsverschleierung im Iran auf. Frauen protestierten schon damals wochenlang dagegen. Ihre Hauptparole: »Freiheit ist weder östlich noch westlich. Freiheit ist international. Ohne die Freiheit der Frau gibt es keine Freiheit für die Gesellschaft.« Sie wurden von der Mehrheitsgesellschaft alleingelassen. Im Alltag wehrten sich Frauen trotzdem – soweit es ging.

1981 erteilte Khomeini den Befehl, dass Frauen in den Behörden künftig Hijab tragen müssen. In Audiodateien ist belegt, dass er die Anwesenheit von Frauen bei der Arbeit als »unrein« und »unmoralisch« bezeichnete. Auch dagegen gab es Protest. Frauen kleideten sich ganz in Schwarz und demonstrierten vor dem Arbeitsministerium. Noch nach der Niederschlagung der Proteste trugen diese Frauen noch Monate schwarz bei der Arbeit – viele von ihnen wurden festgenommen und entlassen, man weiß nicht genau, was mit ihnen passierte.

Nur ein Jahr später wurde die Zwangsverschleierung im gesamten öffentlichen Raum zum Gesetz. Gleichzeitig ging das iranische Regime schon damals gewaltsam gegen Kurd*innen vor, die sich lautstark gegen die Islamische Republik auflehnten, tausende Oppositionelle wurden festgenommen und ermordet. 1988 wurde das Massaker von Khawaran sinnbildlich für die Gewalt des Regimes, in Khawaran wurden zum großen Teil links orientierte politische Gefangene begraben, die vom Regime hingerichtet wurden. Die Initiative der Mütter von Khawaran hält dieses Ereignis bis heute im kollektiven Gedächtnis der Iraner*innen. Viele Recherchen großer Menschenrechtsorganisationen wären ohne diese Frauen nicht möglich gewesen.

Während der letzten Jahrzehnte gab es immer wieder zivilen Ungehorsam der iranischen Frauen und Feminist*innen gegen den Hijab und andere frauenfeindliche Gesetze im Iran. So hat sich etwa 1994 die Ärztin und Frauenrechtlerin Homa Darabi aus Protest gegen die Unterdrückung öffentlich selbst verbrannt. Die Regierung reagierte auf Widerstand mit Festnahmen und Gewalt. Etwa 20 Jahre nach der Einführung des Zwangs-Hijabs begann sich der Protest dagegen politisch zu formieren. Kampagnen wie »Meine versteckte Freiheit« und der »Weiße Mittwoch« haben viel dazu beigetragen, dass der zivile Ungehorsam der iranischen Frauen und später auch trans und nicht-binärer Personen mehr Sichtbarkeit bekommt. 2018 wurden die »Töchter der Revolutionsstraße« ein weit verbreitetes Phänomen. Angefangen mit Wida Mowahed legten Frauen aller Altersgruppen ihre Kopftücher ab und stellten sich auf Stromkästen und andere Erhebungen, oft, bis die Polizei sie festgenommen hat.

Bei den aktuellen Protesten sieht man alle sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren im Iran unsichtbar waren, vereint auf der Straße – und an der Spitze die feministische Bewegung. Am Anfang der Gewalt des Regimes stand die Zwangsverschleierung. Die Protestbewegung kehrt nun dahin zurück und rührt damit an den Kern der Islamischen Republik. Hier ist der Kampf gegen Gewalt an Frauen auch ein Kampf für die Freiheit aller Menschen.

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