Punkrock war mal ein Versprechen

In der Unscheinbarkeit spektakulär: Vor 25 Jahren versuchte die Hamburger Band ROH bekannt zu werden

Eine Erinnerung an die Unangepasstheit: Das Debütalbum von ROH
Eine Erinnerung an die Unangepasstheit: Das Debütalbum von ROH

Punkrock hat – wie eigentlich jede linke Strömung – auch ein sehr bürgerliches Moment. In all dem Polemisieren gegen System, Herrschaft und Bullenschweine liegt nicht nur der Rausch des Sozialrebellentums, sondern auch das Versprechen des Nonkonformismus: frei und ohne Bedrängnis leben zu können. Deshalb ist es wohl auch so gekommen, dass die Tragik und auch Komik der Kämpfe um Unangepasstheit ihre eigenen Wege gegangen ist.

Einer dieser Wege wurde von der längst vergessenen Hamburger Band ROH beschritten. Vor 25 Jahren legten sie vom tragikomischen Moment des Punkrock ein unscheinbares Zeugnis ab: Mit ihrem Debütalbum »Wie krieg ich die Zeit bis zu meiner Beerdigung noch rum«, das sie 1996 veröffentlicht hatte, ging die Band im Herbst 1997 auf Tour – in klassischer Dreimannbesetzung bespielten sie kleinste Bühnen. Das dilettantisch anmutende Video-Tourtagebuch, das damals im Auftrag des NDR zusammengeschnitten wurde, erzählt, was zum Ende der Neunzigerjahre aus dem Versprechen des Punk geworden war: Es gibt durchaus die »Wir gegen die Welt«-Stimmung des Banddaseins, Exzesse und übertriebene Rebellengesten, aber auch die Traurigkeit leerer Bühnen ebenso wie den Rausch, wenn das Publikum die Texte mitsingen kann, die persönlichen Notlagen, die den banalsten Songs zugrunde liegen, die unerfüllten Träume und der Trotz, daran festzuhalten.

Den Film gibt es in widrigster VHS-Qualität auf Youtube zu sehen, die Band hat sich wenige Jahre später aufgelöst und könnte einfach so vergessen werden – wenn deren Geschichte in ihrer Unscheinbarkeit nicht so spektakulär wäre. Sie reicht von der Neuen Deutschen Welle bis nach Hollywood.

Nicht mit der Kelly-Familie verwechselt werden

Auf der Wikipediaseite der Band heißt es, ROHs Debut sei »ein recht typisches Album einer Rockband«, mit »Songs über Tod, Schokolade und die Kelly Family«. Tatsächlich beginnt es damit, dass Sänger Lukas Hilbert den spärlichen Erfolg der Band ironisch damit kommentiert, dass er »nicht mehr mit der Kelly Family verwechselt werden« möchte. Diese Absurdität und das Verspotten der Bürgerlichkeit zieht sich durch die Tour, in deren Mittelpunkt die beiden Frontmänner Hilbert und Carsten Pape stehen. Pape ist Exzentriker und ein alter Hase auf der Bühne, der hier seinen zweiten Frühling erlebt, für den er das bürgerliche Familienleben hinter sich lassen wollte. Später sieht man ihn seine Kinder besuchen, zu denen er nun eine viel bessere Beziehung habe, seitdem er nicht mehr zu Hause sei, wie er meint. Ein wenig väterlich betreut er auch Lukas Hilbert, der beständig über die Stränge schlägt und wieder in depressiven Episoden zu versinken scheint. Hilbert springt mit schriller Stimme wie ein Kobold von der Bühne, schreit das Publikum an und will sich prügeln. Oder er spielt fragil seine Liebeslieber wie »Du brennst immer noch in mir« am Klavier.

Die zahlreichen Konzertschnipsel des Tourtagebuchs vermitteln unfreiwillig etwas von der Katerstimmung des Punkrock, der eigentlich nur noch eine halbironische Anspielung auf sich selbst war. Aber immerhin eine, die ein bisschen gesellschaftlichen Freiraum versprach. Hilbert zerschlägt hier und da mal eine Gitarre, kreischt in die Menge und verharrt manchmal unangenehm lange in der Verkörperung des destruktiven Nihilisten. Beim damals großen Musikhandel World of Music macht die Band Radau, um auf ihre Platte aufmerksam zu machen, und zieht Passanten unfreiwillig mit ins Gespräch. Durch die U-Bahn laufen sie singend oder pöbeln Leute an. Die Bilder sind eine Erinnerung an eine Unangepasstheit, die heute nur noch als Übergriffigkeit oder im Wahnsinn existiert.

Wie ein kleines Licht, das man nie ganz auskriegt

Aber auch bei der Band hat es etwas Gezwungenes. Man merkt ihr an, dass sie diese Antihaltung unbedingt durchziehen wollen, dass es existenzielle Bedeutung hat. Ihre Songs sind hingegen trivial, tendieren zum Schlager (was sie auf dem dritten Album dann auch tatsächlich werden) und biedern sich der Gesellschaft an, mit der und ohne die man doch nicht kann. Der albumtitelgebende Song besingt die Sinnlosigkeit des gesellschaftlichen Daseins, in dem man seine Zeit bis zur Beerdigung noch rumkriegen müsse. Aber nichts bewahrt die eigene Musik davor, nicht auch nur eine dieser Belanglosigkeiten zu sein. Außer, dass sie den Bandmitgliedern mehr ermöglicht: mehr Freiraum und mehr Träume. Wenn die Band nachts auf der Reeperbahn aus dem Studio kommt und sich über ihre Platte freut, so ist klar, auch sie wollen den Erfolg haben.

Das alles könnte jede beliebige Rockband oder jeder Kleinjungentraum gewesen sein. Aber die Geschichte von ROH hat skurrile Kapriolen geschlagen und sich damit über die Band selbst verlängert. Der bürgerliche Traum überlebt hier gewissermaßen das Rockerrebellentum. Carsten Pape etwa war bereits Ende der 1980er Jahre Frontmann der NDW-Band Clowns & Helden gewesen, deren damaliger Hit »Ich liebe Dich« von Lukas Hilbert dann auf ROHs drittem Album »ROHmantisch« (2000) gecovert wurde. Aus einer solchen Perspektive ist klar, dass die Musik hier weniger Ausdruck des Unangepassten, sondern ein individueller Weg zu Anerkennung ist. Die No-Future-Attitüde des Punk ist Koketterie. Pape hat eine Vergangenheit, und wer könnte es ihm verübeln, dass er auch eine Zukunft haben will? Ist er dafür nicht mit Anfang 40 noch einmal auf Tour gegangen?

Distanzierung über Selbstironie

Die Band ist ihren Anleihen beim Punkrock keinesfalls treu geblieben, vermutlich, weil sie sich etwas anderes davon versprochen hatten. Die Distanzierung von der falschen Hoffnung auf Freiheit in der Unangepasstheit verläuft daher konsequent über die Selbstironie. Bereits auf ihrem ersten Album schrieben sie den Song »Heut ist mein Tag«, der nur durch die Coverversion der Happy-Hardcore-Popsängerin Blümchen berühmt wurde. ROHs zweites Album hingegen bestand zu großen Teilen aus der Vertonung von Briefen an das Dr. Sommer-Team der »Bravo«, wie etwa »Onanie ist voll in Ordnung, egal wie alt du bist«. Das dritte Album schließlich war musikalisch wie textlich im Pop gelandet und fand mit androgyner Doppelbödigkeit auch Anklang in queeren Kreisen.

Aber die Band war weder erfolgreich noch in irgendeiner Szene angekommen. Einer der Songs auf »ROHmantisch« veralbert die Verbrüderung der Bands der damals in Indie-Kreisen populären »Hamburger Schule«, etwa, wenn Hilbert davon singt, er habe in dieser Schule sein »Handy verloren« und würde nun deren Zorn spüren, weil er gelästert habe. Selbst dieser Club der Außenseiter will ROH nicht aufnehmen. Für die künstlerische Avantgarde waren ROH aber auch zu unintellektuell, zu wenig mit Weltschmerz und stattdessen mit einfachen Sorgen wie Liebeskummer und Sex befasst. ROH beschreiten deshalb konsequent den Weg in die Populärkultur, wo zwischen aller Massenware und Konformismus immer auch Raum für Unangepasstheiten ist. Wenn Lukas Hilbert über seinen Liebeskummer singt, dieser sei »wie ein kleines Licht, das man nie ganz auskriegt«, gilt das auch für seine Suche nach Erfolg.

Living the Dream

ROH verschwinden von der Bildfläche. Zuletzt waren sie mit Peter Maffay im Studio und hatten mit dem Musikerkollegen Lotto King Karl noch hier und da ein Projekt absolviert, wie die Teilnahme am Grand Prix-Vorentscheid im Jahr 2000. Lukas Hilbert ging alleine den Weg weiter, den ROH gewissermaßen vorgezeichnet hatte. Wie das Promi-Magazin »Gala« im Dezember 2012 diesen Werdegang zusammenfasste, habe er »den amerikanischen Traum« gelebt. Sprich, er hat sich im Bestehenden hochgearbeitet. 2004 saß er in Jury des Castingformats »Popstars«, streichelte seinen Mops und wirkte wie ein schratiger Emo. Dazu schrieb er Songs für Maffay, Nena oder Yvonne Catterfeld, nahm an Viva- oder Stefan Raab-Shows teil und sang an der Seite von Oli P. Mittlerweile lebt Hilbert unter dem Namen Lukas Loules in Los Angeles als Produzent und Songwriter für die zu Musik gewordene Mittelmäßigkeit.

Auf den ersten Blick passen diese Dinge nicht zusammen: Einerseits der offensichtliche Drang nach Erfolg und der Wunsch, irgendwo mitmischen zu können und seien es nur die kulturindustriellen Abfallprodukte von Big Brother-Soundtracks, Alex C.-Pornomusikproduktionen oder dem Rockausverkauf der Udo Lindenbergs und Peter Maffays. Andererseits die Wut und der Schmerz, den sich Hilbert als 25-Jähriger von der Seele schreit, und die Zerbrechlichkeit, mit der sich der Schnulze hingegeben wird. Vielleicht ist beides der Ausdruck des Wunsches, ein Leben zu haben, das man führen kann. Als die Band von ihrer 97er Tour zurück nach Hamburg kam, sagt Hilbert im Video zu seinen Bandkollegen, dass er mit sich selbst nicht klarkomme. »Wir lieben deine Schwächen«, entgegnet ihm Pape daraufhin.

Es ist sehr einfach, die Entwicklung Hilberts als Beweis dafür zu nehmen, dass ROH eben nie wirklich Punkrock waren, dass es nur ein beliebiges Image war, das eine Zeit lang etwas Erfolg versprach und mit den Moden verging, wie die Billigohrwürmer in den Single-Charts. Oder man gesteht sich ein, dass etwas vom Wunsch nach Unangepasstheit und Freiheit – trotz der Beschissenheit der Verhältnisse – in der bürgerlichen Gesellschaft immer noch besser aufgehoben ist, als im Wahnsinn, sich für abstrakte Ideale aufzuopfern. Und sei es eben für den Punk.

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