Zu lange ignoriert

Die Belange queerer wohnungsloser Menschen stoßen nur langsam auf Interesse

Bruch mit der Herkunftsfamilie, Flucht aus einem diskriminierenden Umfeld, prekäre Lebensbedingungen in einer Welt, die nach wie vor Cis-Geschlechtlichkeit und Heterosexualität als Normen setzt – es gibt viele Gründe, warum queere Menschen keinen sicheren Ort zum Leben haben, sogar auf der Straße landen. Doch lange Zeit interessierte sich kaum jemand für ihre spezifischen Belange. Um Unterstützung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter und queere Personen (kurz: LSBTIQ+) in Wohnungsnotfalllagen zu schaffen, haben sich am Montag Vertreter*innen aus Theorie und Praxis zum Austausch getroffen. Im Rahmen der sechsten Berliner Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe geht es in dem Online-Podium um aktuelle Hürden und notwendige Maßnahmen, um Hilfe niedrigschwellig und für alle anzubieten.

»Das Thema war wenig sichtbar«, sagt Florencio Chicote von der Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung. Sein Fachreferat zu Diskriminierung von LSBTI-Personen legt erst seit knapp zwei Jahren einen Fokus auf prekäre Lebenslagen. Wohnungslosigkeit mache dabei einen wichtigen Aspekt aus, so Chicote. Doch nach wie vor gebe es keine exakten Zahlen, wie viele queere Menschen davon betroffen sind, wie LSBTI-freundlich die Verfahren sind und welche spezifischen Ursachen für Wohnungslosigkeit es gibt. Für 2023 plant die Stelle deshalb eine Studie, die das weitgehend unerforschte Feld beleuchten soll.

Um aus der Praxis zu erzählen, ist Andrea Hniopek eingeladen. Sie leitet für die Caritas das Containerprojekt für Frauen in Hamburg. Auf dem Campusgelände der Hochschule für angewandte Wissenschaften können insgesamt zehn Frauen in den Wintermonaten wohnen. Und Frauen heißt hier explizit: cis und trans Frauen. »Vor etwa zehn Jahren hatten wir das erste Mal eine trans Frau bei uns, das war zu einer Zeit, wo es noch keine Auseinandersetzung mit dem Thema gab«, erinnert sich Hniopek. Bald lädt das Projekt explizit trans Frauen ein, und das, ohne die Geschlechtsidentität irgendwie zu überprüfen. »Wenn bei uns eine Frau als Frau gelesen werden möchte, nehmen wir sie auf, ganz egal, was in den Papieren steht.«

Dieser »unaufgeregte Umgang«, wie Hniopek ihren Ansatz beschreibt, ist alles andere als selbstverständlich. Aus dem Publikum meldet sich eine Mitarbeiterin des Frauentreffs Olga zu Wort. An der Kurfürstenstraße angesiedelt, dient das Projekt als Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen, von denen einige trans sind. Die seien regelmäßig Diskriminierung in der Wohnungslosenhilfe ausgesetzt. »Der Eintrag im Personalausweis ist immer noch ausschlaggebend, trans Frauen werden dementsprechend häufig in Männer-Unterkünften untergebracht«, berichtet die Sozialarbeiterin. Mitunter müssten sie sich bei der Suche nach Schlafplätzen für ihre Klientinnen transfeindliche Sprüche anhören. »Einmal wurden wir gefragt, ob die beiden Frauen noch ›Schniedel‹ haben.«

Es braucht deshalb auch in Berlin gesonderte Schutzräume, da sind sich alle Teilnehmer*innen einig. Ein erster Schritt ist mit dem neuen Projekt QueerHome* getan. Die Beratungsstelle richtet sich an queere Menschen in Wohnungsnot, laut Leiterin Kathrin Schultz ein »deutschlandweites Pilotprojekt«. Zugleich geht es um Aufklärung und Vernetzung mit Verwaltung und queeren Projekten. »Wir wollen nicht nur Fachkräfte sensibilisieren, sondern auch Angehörige, Vermieter*innen und die queere Community selbst«, so Schultz. Doch bis alle Mitarbeiter*innen in der Wohnungslosenhilfe ihre queerfeindlichen Vorurteile abgelegt haben, könnte es noch dauern. Bisher sei die Hilfe, so wie die Gesellschaft im Allgemeinen, an binären Geschlechterunterscheidungen ausgerichtet.

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