Wütende Antifaschisten

Nach einem Aufmarsch von Rechtsextremen in Berlin hagelt es Kritik an der Polizei – sie soll die Gegenproteste behindert haben

Durchgangssperren, kilometerlange Umwege und massive Verspätungen: Was eigentlich als schlagkräftige antifaschistische Gegendemonstration geplant war, endete mit Frust bei den Veranstaltern. »Die Kundgebung wurde so weit abgedrängt, dass nicht einmal mehr Ruf- und Sichtweite zum Naziaufmarsch der AfD gegeben war«, macht eine Anmelderin der Hauptkundgebung ihrem Ärger Luft. In einer Erklärung der Linke-Abgeordneten Ferat Koçak und Niklas Schrader erhebt sie schwere Vorwürfe gegen die Polizei. »Auch die zugesicherte ungehinderte Anreise der Teilnehmenden war nicht gewährleistet. Im Gegenteil: Wir wurden weiträumig eingekesselt!«

Bis zu 10 000 Menschen waren es, die am 8. Oktober dem Aufruf der rechtsextremen AfD folgten und unter dem Motto »Energiesicherheit und Schutz vor Inflation – unser Land zuerst« durch die Straßen der Hauptstadt zogen. Dem deutschen Fahnenmeer und der Forderung, zu russischem Gas zurückzukehren, um steigende Energiepreise zu verhindern, stellten sich an jenem Tag insgesamt zehn Demonstationen entgegen – organisiert von Gewerkschaften, Parteien, den Initiativen Aufstehen gegen Rassismus, Omas gegen Rechts, Reclaim Club Culture und anderen. Die Innenverwaltung spricht von rund 2600 Gegendemonstrant*innen.

Die anschließenden Berichte über eine Behinderung der Gegenproteste durch die Berliner Polizei nahmen Ferat Koçak und Niklas Schrader zum Anlass für eine Anfrage an den Senat. Ihr Ziel: mehr darüber herausfinden, was den Demonstrationen im Weg gestanden haben soll. Doch in der jüngst veröffentlichten Antwort weist die zuständige Innenverwaltung jegliche Vorwürfe von sich. Darin heißt es, dass »am Einsatztag der Zugang zu den jeweiligen Versammlungsorten für jeden möglich« gewesen sei. »Lediglich das Durchqueren des Versammlungsortes der AfD wurde nicht zugelassen.« Die Trennung beider Seiten habe man mit Absperrgittern gewährleistet. Die angezeigten Versammlungen seien »weitestgehend störungsfrei« abgehalten worden.

Koçak, der die Gegenproteste als parlamentarischer Beobachter begleitet und dokumentiert hat, zeigt sich erstaunt. »Die Vorwürfe wurden teils akribisch dokumentiert«, teilt er mit. Er selbst habe miterleben müssen, wie Dutzende Menschen wegen zahlreicher Hindernisse und Umwege die Gegenproteste nur mit großer Verspätung oder gar nicht erreicht hätten. »Andere wurden durch AfD-Teilnehmer*innen dauerhaft gestört, zum Beispiel bei der Kundgebung der Omas gegen Rechts am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Diese Behinderungen der Versammlungsfreiheit sind inakzeptabel.«

Die Eindrücke des Linke-Politikers decken sich mit denen der Organisatorin: »Die Polizei hat es mir und der mir zur Seite stehenden Anwältin sehr schwer gemacht. Absprachen bezüglich des Versammlungsorts wurden nicht eingehalten.« Alten und Menschen mit Handicaps sei es unmöglich gewesen, zur Hauptkundgebung zu gelangen. Die Polizei habe zu erkennen gegeben, dass eine ungehinderte Demonstration der Faschist*innen Vorrang habe vor den Gegenprotesten der Berliner Zivilgesellschaft. »Gute Zusammenarbeit sieht anders aus!«

Nach den teils konträren Wahrnehmungen von Polizei und Anmelder*innen sieht Koçak die Verantwortung nach wie vor bei der Innenverwaltung: »Ich fordere, dass in Zukunft die Polizei die uneingeschränkte Versammlungsfreiheit auch für Antifaschist*innen gewährleistet.« Zu oft habe er selbst Erfahrungen auf Kundgebungen gegen rechts gemacht, die den Beschreibungen der Gegendemonstrant*innen vom 8. Oktober glichen. Zugleich ist er sich sicher: »Im Zweifel werden sich Antifaschist*innen die Straßen in Sicht- und Rufweite zu den Hetzparolen der AfD nehmen!« 

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