»Reichsbürger« bei Sicherheitsbehörden

Anders als bei Rechtsextremismus im Allgemeinen liegt die Zahl bekannter Fälle bei Polizei und Militär auffällig niedrig

»Die Beschuldigten verbindet eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland«, schreibt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zu den gestrigen Razzien im Milieu der »Reichsbürger«. Einige der als terroristische Vereinigung Festgenommenen bildeten demnach einen »militärischen Arm« mit einem Führungsstab aus insgesamt neun Personen. Ziel war demnach der Aufbau von »Heimatschutzkompanien« und ihre Bewaffnung sowie Schießübungen.

Im Fokus von Rekrutierungsbemühungen hätten vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei gestanden. Ein Teil der Beschuldigten war selbst aktiv bei der Bundeswehr, schreibt die Bundesbehörde. Die Ermittlungen richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in einer Kaserne in Calw durchsucht.

Die Razzia wirft ein Schlaglicht auf das Phänomen von »Reichsbürgern« bei Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern, über die bislang – anders als zu Rechtsextremismus im Allgemeinen – wenig an die Öffentlichkeit drang. Am bekanntesten ist der Fall des Polizisten aus Hannover, der sich auf Corona-Demonstrationen als »Kriminalkommissar« vorstellte und nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover Ende April dieses Jahres aus dem Dienst entfernt wurde.

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kennt nach eigenem Bekunden wenig derartige Fälle. Im Mai hatte der Inlandsgeheimdienst einen zweiten Lagebericht herausgegeben, der neben Rechtsextremisten erstmals nach »Reichsbürgern« und »Selbstverwaltern« in Sicherheitsbehörden differenziert. Gezählt werden dort für den Zeitraum von drei Jahren insgesamt 860 »Prüffälle«, 327 davon hätten tatsächliche Anhaltspunkte ergeben. Diese werden dann als Verdachtsfall geführt.

Im Lagebericht nennt der Dienst Kriterien, mit denen die »Reichsbürger« in Sicherheitsbehörden erkannt worden seien. Darunter ist der Besitz oder die Beantragung des sogenannten »Gelben Scheins«. Das Papier soll die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit dokumentieren, wenn eine Behörde dies verlangt, die Betroffenen aber keine Ausweise besitzen oder vorlegen wollen. Ein Fünftel der 30 als »Reichsbürger« eingestuften Personen hätten dem Bericht zufolge Kontakte zu rechtsextremen Parteien wie der NPD oder der Partei Der III. Weg.

Heruntergebrochen auf den Phänomenbereich »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« sind die Zahlen aber vergleichsweise klein. Der Inlandsgeheimdienst zählt ganze 30 Personen als Verdachts- und »erwiesene Extremismusfälle« bei Bundessicherheitsbehörden, bei ihnen seien 67 »extremistische Aktivitäten« festgestellt worden. Zum Vergleich: In Deutschland zählt das BfV 21 000 »Reichsbürger«, gegenüber dem Vorjahr ist dies ein Anstieg um 1000 Personen. Diese seien in 30 überregionalen Gruppen aktiv.

Ähnlich verteilt sich die Zahl der 18 Bediensteten in Landessicherheitsbehörden, die beim Verfassungsschutz als »Reichsbürger« und »Selbstverwalter« gelten. Über ein Drittel stammt aus Nordrhein-Westfalen, sieben Bundesländer kennen der Aufstellung zufolge keine Verdachtsfälle. Unter ihnen sind auch Bayern, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern.

Wer die Berichte des Inlandsgeheimdienstes zu »Reichsbürgern« studiert, stolpert über die scheinbare Abwesenheit von »Reichsbürgern« bei den Geheimdiensten selbst. Die Zahl der Verdachts- und erwiesenen Fälle wird für den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz – ebenso wie für die Polizei des Bundestages – mit null angegeben.

»Ein wirklich aufschlussreiches Bild über das Ausmaß des Problems würde wohl nur eine unabhängige Untersuchung liefern«, sagt die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner dem »nd«. Renner macht darauf aufmerksam, dass der Lagebericht des BfV auf den Selbstauskünften der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste beruht. Erfahrungsgemäß gebe es große Unterschiede in der Einschätzung von Phänomenen der Extremen Rechten zwischen den Behörden und unabhängigen Expert*innen.

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