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Ein Jahr erfolgreich selbst untergebracht

Seit Dezember 2021 leben ehemalige Obdachlose in der Habersaathstraße in Mitte – Zukunft ungewiss

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Donnerstagnachmittag könnte es voll werden vor dem Rathaus Mitte in der Karl-Marx-Allee 31. Und laut. Für 16.30 Uhr rufen zahlreiche Gruppen dazu auf, sich vor dem Rathaus zu versammeln und gemeinsam für den Erhalt des Gebäudekomplexes Habersaathstraße 40 bis 48 zu demonstrieren, der seit einem Jahr von ehemaligen obdachlosen Menschen besetzt wird.

Um 17.30 Uhr kommt dort die Bezirksverordnetenversammlung zur Sitzung zusammen. Ein Tagesordnungspunkt stellt auf Antrag der Grünenfraktion die Beschlussvorlage für einen zu gründenden Runden Tisch zur Zukunft der Habersaathstraße und ihrer Bewohner*innen dar. SPD und Linke hatten den Ball aufgenommen und in Änderungsanträgen dargestellt, wer genau an diesem Runden Tisch beteiligt werden soll: Alt-Mieter*innen, neue Bewohner*innen, der Sozialträger Neue Chance, Mieterverein, die Initiative Leerstand Hab ich Saath und die BVV-Fraktionen.

Ziel des Runden Tisches sei es, »eine bezirkliche Strategie zur Zukunft der Habersaathstraße zu entwickeln, die die Interessen der Bewohner*innen in den Fokus stellt«, heißt es im Papier der SPD-Fraktion. Die Linksfraktion will auch das Land in Vertretung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales hinzuziehen. Denn die Linksfraktion möchte am Donnerstag zusätzlich ein bereits sehr klar formuliertes Interesse der aktuellen Bewohner*innen der Habersaathstraße in eine Beschlusslage überführen: Die Rekommunalisierung der fünf Gebäude mit insgesamt 120 Wohnungen, von denen ein Teil nun bereits seit 12 Monaten 60 Menschen, die zuvor auf der Straße leben mussten, ein Zuhause bietet.

Genau darum geht es auch den Initiativen Leerstand Hab ich Saath sowie Deutsche Wohnen & Co enteignen: den von der Eigentümerin Arcadia Estates geplanten Abriss der voll funktionsfähigen Wohnanlage zu verhindern und die »Papageienplatte« in öffentlichen Besitz rückzuüberführen. Der Investor will dort gern Luxusneubauten errichten und hatte den Großteil der Wohnungen bereits jahrelang leer stehen lassen – während es in Berlin Zehntausende wohnungslose und obdachlose Menschen gibt.

Der im September wegen einer Stellenbesetzungsaffäre abgewählte Ex-Bezirksbürgermeister Stephan van Dassel (Grüne) hatte sich in den Dienst der Arcadia Estates nehmen lassen: Er wollte die verbliebenen Altmietparteien dazu bewegen, in Ersatzwohnungen zu ziehen und den Weg zum Abriss damit freizumachen. Den ehemaligen obdachlosen Neu-Bewohner*innen hatte man mehrfach mit Räumung gedroht. Van Dassels Zuspruch für den Abriss eines im Jahr 2006 »energetisch modernisierten 80er-Jahre-Neubaukomplexes« brachte ihm den Vorwurf ein, gegen Leitlinien grüner Politik zu verstoßen. Van Dassels Nachfolgerin, Stefanie Remlinger (Grüne), hat sich bisher nicht zur Sache geäußert.

»Um eine langfristig sichere Perspektive für alle Bewohner*innen zu schaffen, müssen die Häuser vor Abriss geschützt, rekommunalisiert und dem privaten Wohnungsmarkt entzogen werden«, stellt Valentina Hauser, Sprecherin von Leerstand Hab ich Saath, am Dienstag klar.

Hauser bezieht sich auf die Aussage von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne), der zuletzt den kommunalen Ankauf von Wohnraum als ein »Instrument von Mieten- und Wohnungspolitik« bezeichnet und damit verbundene finanzielle Transaktionen als haushaltsneutral möglich erachtet hatte: »Das sollte auch auf die Habersaathstraße angewendet werden«. Berlin wolle bis 2030 Obdachlosigkeit abschaffen. Wer dies erreichen will, könne nicht zugleich ehemals obdachlose Menschen erneut auf die Straße setzen. Abriss sei in Zeiten der Klimakrise sowieso »von gestern«, so Hauser weiter.

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