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»Der Senat steckt den Kopf in den Sand«

Berlins GEW-Vorsitzender Tom Erdmann verteidigt den erneuten Warnstreik am Donnerstag

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Erdmann, der GEW-Warnstreik geht jetzt schon in die achte Runde – der Stand ist aber immer noch der gleiche wie vor einem Jahr. Warum bewegt sich so wenig?

An unserer Streikbeteiligung kann es nicht liegen. Die Kollegen sind nicht müde und haben auch einen langen Atem. Die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte ist sehr hoch, aber der Senat steckt da den Kopf in den Sand und verweigert Verhandlungen. Für einen sozialdemokratisch geführten Senat ist das doch sehr irritierrend, dass er sich einer berechtigten Forderung einer Gewerkschaft verschließt. Aber wir wissen, dass es bei Streikbewegungen lange dauern kann, bis sich etwas bewegt. Bei der gerechten Bezahlung für Grundschullehrkräfte hat es auch Jahre gedauert.

Interview

Tom Erdmann ist Co-Vorsitzender des Berliner Landesverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Mathematik- und Physiklehrer ist seit 2015 im Amt. Mit "nd" sprach er über den Warnstreik, mit dem die GEW kleinere Klassengrößen durchsetzen will.

Was fordert die GEW mit dem Warnstreik?

Zentrale Forderung ist, die Klassengrößen zu reduzieren. Wir haben vor einiger Zeit eine Umfrage zur Arbeitsbelastung von Lehrkräften gestartet. In der Umfrage war die Klassengröße die Stellschraube Nummer eins, um die Arbeitsbelastung von Lehrkräften zu reduzieren. Im Bereich Grundschule fordern wir zum Beispiel, dass nicht mehr als 19 Kinder in einer Klasse lernen sollen. Das ermöglicht, dass man sich um ein einzelnes Kind kümmern kann, dass man sich auch mal intensiver mit Elterngesprächen auseinandersetzen kann. Gerade im Bereich der weiterführenden Schulen geht es natürlich auch um geringeren Korrekturaufwand. Zudem haben wir auch noch Forderungen nach mehr Schulsozialarbeitern und Schulpsychologen. Auch das trägt zur Bildungsqualität bei.

Der Senat sagt, er sei für solche Fragen gar nicht zuständig, sondern die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL).

Es kann nicht sein, dass sich ein Senat einen Arbeitgeberverband sucht, hinter dem er sich dann versteckt, damit er bloß nicht verhandeln muss. Wir haben noch nicht mal Gesprächsangebote bekommen. Das ist der eigentliche Skandal, dass sich hier der Senat nicht mal zu Gesprächen bemüßigt fühlt. Wir sind noch weit davon entfernt, überhaupt irgendeinen Tarifvertrag abzuschließen, der dann von der TdL abgesegnet werden müsste. Wenn der Senat sagt, dass er die Notwendigkeit sieht, hier einen Tarifvertrag zu schließen, dann muss er sich dafür in der Tarifgemeinschaft auch einsetzen. Und im Zweifelsfall muss man dann auch den Konflikt mit der TdL suchen.

Manche sagen, dass Sie mit der Forderung nach kleineren Klassen den zweiten Schritt vor dem ersten gehen, weil es in Berlin ohnehin an Lehrkräften mangelt. Wie sollen in dieser Situation mehr Klassen geschaffen werden?

Wir verschließen uns nicht dem Argument, dass wir einfach zu wenige Lehrkräfte haben. Aber es kann nicht so weitergehen wie bisher, dass man wie das Kaninchen auf die Schlange starrt und sagt: »Na ja, ist halt so, kann man nichts machen.« Wir wollen den Einstieg in eine tarifliche Regelung, mit der der Senat sich dann auch verpflichtet, künftig mehr Lehrkräfte auszubilden. Das heißt auch, wir wollen Tarifverhandlungen, um zu regeln, wie die Klassengrößen im nächsten, im übernächsten und im darauffolgenden Schuljahr aussehen. Und dann kann man damit anfangen: jedes Jahr einen Schüler, eine Schülerin weniger in den neu einzurichtenden ersten Klassen. Wenn die Arbeitsbelastung entsprechend sinken würde, würden vielleicht auch weniger Lehrkräfte in Teilzeit gehen, mit der sich gerade noch viele ihre eigene Entlastung erkaufen. Damit würden wir auch einen Beitrag gegen den Lehrkräftemangel leisten.

Was sollte passieren, damit mehr Lehrkräfte ausgebildet werden können?

Im Koalitionsvertrag 2016 haben sich SPD, Linke und Grüne darauf geeinigt, dass ab dem Jahr 2021 – also eigentlich letztes Jahr – jedes Jahr 2000 Lehrkräfte ausgebildet werden sollen. Das Ziel ist krachend verfehlt mit nicht mal 900. In den Hochschulverträgen müsste stehen, dass jedes Jahr 3000 Lehrkräfte ausgebildet werden. Das ist unsere Forderung. Wenn wir dieser Forderung mit einem Tarifvertrag mehr Nachdruck verleihen, dann ist da auch schon ein gutes Stück gewonnen. An den Universitäten müsste gerade bei den Mangelfächern Naturwissenschaften, Mathe und ein Stück weit auch Deutsch mehr geguckt werden. Die Idee kann zum Beispiel sein, dass man bei einer Abiturientin, die Geschichte und Sport studieren möchte, sagt: Für Sport wirst du zugelassen, aber statt Geschichte machst du dann bitte ein Fach, was wir wirklich brauchen. Es ist auch absurd, dass es im Grundschullehramt einen hohen Numerus clausus gibt. Das heißt, nur die mit dem besten Abitur dürfen Grundschullehramt studieren.

Und abgesehen von Zulassungsfragen?

Sobald man die Studierenden im Studium hat, muss man deutlich mehr dafür tun, dass die Bedingungen im Studium besser werden. Denn wir haben eine sehr hohe Abbruchquote insbesondere im Bereich der Grundschullehrkräfte. Gerade beim Pflichtfach Mathe muss es mehr Unterstützung geben. Man muss auch gucken, was man tun kann, damit das Referendariat attraktiver wird. Momentan erhalten ja Lehramtsanwärter*innen im Referendariat etwa 1500 Euro. In einigen Landkreisen in Sachsen kriegen die Referendare 1000 Euro als Zulage obendrauf. Das sind alles so Maßnahmen, um die Kollegen zu halten, die sich da für den wunderbaren Beruf Lehrkraft entschieden haben.

Der Senat setzt vor allem darauf, dass die wiedereingeführte Verbeamtung mehr Lehrkräfte in Berlin hält.

Ich gehe nicht davon aus, dass damit langfristig der Lehrkräftemangel behoben wird, weil wir einfach zu wenige Kolleginnen und Kollegen ausbilden. Das heißt, da reicht auch die Verbeamtung nicht, um die Lücke zu stopfen, sondern wir brauchen attraktive Arbeitsbedingungen, und deswegen wollen wir das regeln. Ich ärgere mich über die Vehemenz, mit der dieses Argument immer vorgetragen wird. Als ob das hier die einzige Stellschraube ist. Vor allem, wenn man den unheimlichen organisatorischen Aufwand sieht, um die Verbeamtung umzusetzen. Ich werte es als Erfolg, dass wir überhaupt über die Frage des Nachteilsausgleichs für diejenigen reden, die sich nicht verbeamten lassen können oder wollen. Auch wenn wir natürlich überhaupt nicht zufrieden damit sind, wie das umgesetzt ist.

Warum sind Sie nicht zufrieden?

Es geht ja letztlich um eine monatliche Zulage von 300 Euro. Das ist weniger als das, was man vorher mit der Vorweggewährung einer höheren Erfahrungsstufe bekommen hat, was bis vor Kurzem noch üblich war. Dabei ist die Zulage nicht mal für die Betriebsrente wirksam. Die Kluft zwischen Angestellten und Beamten wird so noch größer.

Welche Konsequenzen erwarten Sie von der Verbeamtung für Ihre Gewerkschaft? Beamte dürfen bekanntermaßen nicht streiken.

Ich hoffe, dass der Senat nicht so naiv ist und glaubt, dass das eine Strategie ist, die Lehrkräftestreiks einzudämmen. Einige angehende Lehrkräfte wollen ja gar nicht verbeamtet werden und auf ihr Menschenrecht auf Streik verzichten. Zum anderen haben wir auch noch die Kolleginnen und Kollegen, die über 52 Jahre alt sind. Das sind ja auch noch mal 5000, mit denen wir weiterhin originär streiken können. Am Horizont steht auch die Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bei der es darum geht, dass das Streikverbot für Beamte wahrscheinlich gegen das Menschenrecht verstößt. Außerdem: Beamte brauchen auch eine starke Gewerkschaft. Kürzlich hat man ja versucht, Fotos von tätowierten Körperstellen von Lehrkräften, die verbeamtet werden wollten, zu bekommen. Das konnte nur durch unseren Druck abgewendet werden.

Was sagen Sie zu Eltern, deren Kinder am Donnerstag nicht in die Schule gehen können?

Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass Eltern hoch belastet sind. Aber wenn man mal einen halben Schritt zurückgeht, dann muss man auch erkennen, dass jetzt nicht unsere sieben Streiktage das Problem für die Kinder darstellen, sondern der Unterricht, der bis dahin unter schlechten Bedingungen stattgefunden hat. Wir wollen da jetzt sagen: »Bis hierhin und nicht weiter.« Wir wollen hier eine Regelung haben, dass die Arbeitsbedingungen besser werden. Der Landeselternausschuss unterstützt unsere Forderungen in jedem Fall, deren Vorsitzender hat auch bei unserem Streik vor zwei Monaten gesprochen.

Die Klassengrößen wurden bisher nicht als tarifliches Thema behandelt. Ein Stück weit gehen Sie mit dieser Forderung also innovative Wege im Tarifrecht. Glauben Sie da auch an eine Ausstrahlung auf andere Arbeitskämpfe?

Wir betreiben hier einen Paradigmenwechsel. Reine Gehaltserhöhung ist nicht mehr das Einzige, das wir Gewerkschaften adressieren müssen, sondern wir müssen uns auch die Arbeitsbedingungen angucken. Die Arbeitsbedingungen insbesondere von Lehrkräften werden ja nur vom Arbeitgeber über Verordnungen geregelt. Wir wollen hier dem Arbeitgeber einen Zacken aus der Krone schlagen, dass er nicht die Arbeits- und Lernbedingungen einseitig regeln kann, sondern wir wollen mit am Verhandlungstisch sitzen. Unser Vorbild ist sicher ein Stück weit die Charité, wo unsere Partnergewerkschaft Verdi für die Pflegekräfte einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, der auch regelt, wie viele Patienten auf eine Pflegekraft kommen. Immer wenn der Schlüssel überschritten wird, gibt es Ausgleichstage. Ich denke da auch an die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, die eine Regelung erstritten hat, dass die Lohnerhöhungen auch in Freizeit umgewandelt werden können. Im Bildungsbereich gab es so etwas bisher noch nicht. Da sind wir in Berlin Vorreiter.

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