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Etwas glimpflicher durch die Krise

Nach einem milden Winter könnte die Wirtschaft in Ostdeutschland 2023 schneller wachsen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Baustelle für eine neue Chipfabrik in Dresden
Baustelle für eine neue Chipfabrik in Dresden

Der Ausblick auf die Konjunktur im Jahr 2023 ist verschleiert: Ob die Wirtschaft in diesem und im nächsten Winter ausreichend mit Energie versorgt sein wird, ist ungewiss. Sicher scheint dagegen, dass die Leitzinsen weiter steigen werden. Zudem könnte der Pandemieausbruch in China zu Produktionsausfällen führen. Allerdings scheinen die Anspannung der Lieferketten und die internationale Preisdynamik etwas nachzulassen.

Diese Großwetterlage bekommt auch Ostdeutschland zu spüren. Doch dürften die neuen Länder im kommenden Jahr von der Krise etwas weniger beeinträchtigt werden als der Westen. Dies prognostiziert das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in seiner aktuellen Prognose. Das Bruttoinlandsprodukt wird im Jahr 2022 aufgrund der Erholung von der Pandemie in Ost wie West jeweils um 1,8 Prozent wachsen. Den Winter über dürfte die westdeutsche Wirtschaftsleistung aber leicht sinken und im Jahr 2023 insgesamt stagnieren. Dagegen erwarten die IWH-Forscher für Ostdeutschland im kommenden Jahr ein leichtes Plus von 0,2 Prozent.

Etwas weniger optimistisch ist das Ifo-Institut in Dresden. Für das Winterhalbjahr sei zwar ebenfalls lediglich mit einer milden Rezession in Ostdeutschland und Sachsen zu rechnen. 2023 werde die Wirtschaftsleistung in Ostdeutschland dann aber um 0,2 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen; in Sachsen rechnet das Ifo-Institut mit einer Stagnation.

»Dieses Jahr war geprägt durch eine Vielzahl von Engpässen, so bei Energie und vielen Vorprodukten. Dies drückte vor allem auf die Produktion in Industrie und Bau«, sagte Ifo-Konjunkturexperte Joachim Ragnitz am Mittwoch bei der Vorstellung der neuen Prognose. Sachsen leide wegen seiner industriebetonten Wirtschaftsstruktur stärker darunter als die übrigen ostdeutschen Bundesländer.

Gegenwärtig scheinen die Unterschiede zwischen der Konjunktur in Ost- und Westdeutschland gering. Allerdings brachte das erste Halbjahr nach Daten des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« in Ostdeutschland einen etwas stärkeren Zuwachs, wohl weil hier die Erholung des privaten Konsums wegen seines überdurchschnittlichen Anteils an der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage stärker ins Gewicht fiel als in Deutschland insgesamt. Im zweiten Halbjahr dürfte sich dagegen die Konjunktur im Westen etwas besser gehalten haben, denn in der Automobilindustrie konnte die Produktion wegen geringerer Lieferengpässe wieder deutlich ausgeweitet werden. Wovon vor allem die großen Standorte des Fahrzeugbaus im Westen profitieren.

Im Winterhalbjahr dürfte die Produktion in Ostdeutschland genauso wie im Westen zurückgehen, denn die Belastungen sind dieselben: Gas hat als Heizstoff für die privaten Haushalte in Ost und West ungefähr die gleiche Bedeutung, und die fünf energieintensivsten Wirtschaftszweige des verarbeitenden Gewerbes sind in Ost und West etwa gleich wichtig. Allerdings werden die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte durch zwei Sonderfaktoren im Osten gestützt: Zum einen steigen die gesetzlichen Renten jährlich um 0,7 Prozentpunkte stärker als im Westen – bis ins Jahr 2024, wenn die Rentensätze angeglichen sind. Zudem ist in Ostdeutschland der Anteil der Mindestlohnempfänger größer, weshalb sich die Anhebung des Satzes auf zwölf Euro je Stunde im Oktober stärker auswirkt.

Trotz der seit Längerem höheren Lohnkostenanstiege – wobei das Westniveau oft noch lange nicht erreicht ist – und trotz der ungünstigeren demographischen Entwicklung hat die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Jahr 2022 im Osten genauso deutlich zugenommen wie in Deutschland insgesamt. »Die Chancen stehen also gut, dass der private Konsum die Konjunktur in Ostdeutschland etwas stärker stützen kann als im Westen«, zeigt sich IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller zuversichtlich.

Außerdem dürften einige der viel beachteten industriellen Großprojekte in Ostdeutschland, etwa die Tesla-Fabrik bei Berlin oder neue Chipfabriken in Dresden und möglicherweise auch schon Magdeburg, im nächsten Jahr gesamtwirtschaftlich messbare Effekte haben. Günstig auf die Investitionen dürfte sich auch auswirken, dass im Mitteldeutschen Revier jetzt die Weichen für den Kohleausstieg gestellt sind. Unter anderem grüner Wasserstoff soll dort in Zukunft produziert werden.

Im Jahr 2024 könnte der Osten aber wieder leicht zurückfallen. Denn wenn sich die Konjunktur erholt, profitiert die ostdeutsche Wirtschaft erfahrungsgemäß in geringerem Maße, weil hier der Anteil der kaum schwankenden öffentlichen Dienstleistungen höher ist. Unterm Strich scheint Ostdeutschland etwas glimpflicher durch die Krise zu kommen.

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