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Wer hat an dem Thron gesägt?

Das Burgtheater Wien bekommt einen neuen Direktor und auch das Schauspiel Leipzig steckt in einer handfesten Führungskrise

Kann man dem Burgtheater-Direktor Martin Kušej die Pandemie zum Vorwurf machen?
Kann man dem Burgtheater-Direktor Martin Kušej die Pandemie zum Vorwurf machen?

Wo das Theater wirklich geschätzt wird, da liebt man auch seine Skandale. Wer Gefallen an den großen Dramen findet, der verfolgt auch die Aufreger im personellen Dunstkreis der Kunst. Zum Beispiel in Wien, dieser erstaunlichen Bühnenstadt, wo dem Publikum die anstrengende Abgeklärtheit Berlins vollkommen abgeht. Die wichtigste Institution der darstellenden Kunst in der Alpenrepublik heißt Burgtheater. Über deren Direktoren schimpft man seit Menschengedenken. Die letzten vier – Peymann, Bachler, Hartmann, Bergmann – wurden wegen Nestbeschmutzung, Eventblödelei, finanzieller Ungereimtheiten, des Status, als ungeliebte Interimslösung geschmäht.

2019 übernahm der Kärtner Regisseur Martin Kušej die Direktion des Burgtheaters, wurde von offizieller Seite wenig geschätzt und durfte sich schließlich um seine eigene Nachfolge ab 2024 bewerben. Einen Tag vor der öffentlichen Verlautbarung der Entscheidung über den Thron an der Burg zog er seine Bewerbung zurück – Theatralik nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne. Kušej, der durchaus einen anregenden Spielplan entwickelt hatte, musste an seinem Haus einen Publikumsrückgang verzeichnen. Wenig überraschend in Zeiten der Corona-Pandemie! Dass er kaum ein digitales Ersatzangebot aufgefahren hatte, wurde ihm wohl übel genommen. Aber Kušej wollte an der Selbstabschaffung des Theaters qua virtueller Pseudokunst nicht mitarbeiten.

In den letzten Tagen hatte sich der Medienbetrieb auf wilde Spekulationen um den künftigen ersten Mann an der Burg konzentriert, der, so die einhellige Meinung der Bühnenpropheten, eine Frau sein würde. Falsch geraten: Der alte weiße Mann Martin Kušej (61) wird durch den mittelalten weißen Mann Stefan Bachmann (56) ersetzt.

Dass die Wahl auf Bachmann fiel, wie am Mittwoch in einer Pressekonferenz bekannt gegeben wurde, entspricht dem Wunsch des Wiener Publikums nach Theaterskandalen und -skandälchen. Gegen ihn, der derzeit noch das Schauspiel Köln leitet, wurden bereits 2018 Mobbingvorwürfe aus der Belegschaft laut.

Derweil rumort es auch in Leipzig. Der Intendant des Schauspiels Leipzig, Enrico Lübbe, hat wohl als Defa-Kinderstar in der Rolle des Alfons Zitterbacke den künstlerischen Zenit erreicht – nicht aber in der Position, die er seit neun Jahren an dem sächsischen Stadttheater ausfüllt. Die Nichtverlängerung zweier festangestellter Schauspielerinnen führte zu Unmut im Ensemble. Lübbe, der in seiner Sehnsucht nach Ruhe ein autokratisches Gebaren an den Tag legte, hat kurzerhand die zwei Darstellerinnen mit einem Hausverbot belegt (und diese Entscheidung mittlerweile wieder revidiert), nachdem sie eine Belegschaftsversammlung in Abwesenheit der Theaterleitung anberaumen wollten.

Claudia Bauer, Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig, hat Lübbes Führungspraxis zum Anlass für eine Kündigung genommen. Das ist weit mehr als ein unbedeutender Personalwechsel: Bauers Regiearbeiten strahlen weithin sichtbar – eine Einladung zum Berliner Theatertreffen inklusive – angesichts des sonst eher biederen theatralen Angebots an dieser Bühne.

Es sieht ganz danach aus, als wenn ein Leitungswechsel am Schauspiel Leipzig viel dringender geboten wäre, als es am Burgtheater in Wien der Fall ist. Dann bliebe nur zu hoffen, dass man nicht nach der einfachsten Lösung im Intendantenkarussell sucht, in dem immer dieselben Figuren von einem Führungsposten im Kulturbetrieb zum nächsten gehen. Stattdessen bräuchte es eine Leitungspersönlichkeit, die vor allem eins zu tun gewillt ist: Kunst ermöglichen.

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