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Der letzte Triumph des Operettenkönigs

Vor 90 Jahren erlebte Paul Abrahams »Ball im Savoy« seine Uraufführung

Vor 90 Jahren, am 23. Dezember 1932, erlebt die Operette »Ball im Savoy« in Berlin ihre Uraufführung. Das Publikum jubelt begeistert. In der »Vossischen Zeitung« steht am nächsten Tage: »Es hat manche glänzende Aufführung im Großen Schauspielhaus gegeben: eine glänzendere jedenfalls nicht.« Der Komponist Paul Abraham ist auf dem Höhepunkt seiner außerordentlich erfolgreichen Berliner Jahre angekommen – und muss als Jude keine zwei Monate später vor den Faschisten in seine ungarische Heimat fliehen und von dort nach einigen Jahren weiter über Paris und Havanna nach New York.

Berlin nach 1933 nicht wiedergesehen

Berlin hat er bis zu seinem Tod 1960 in Hamburg nicht mehr wiedergesehen. Dabei hängt er sehr an der Stadt, zögert seine Abreise lange hinaus, bis er im Februar 1933 das Große Schauspielhaus aufsucht, wo seine Operette nach wie vor aufgeführt wird. Da greifen ihn Nazis am Eingang tätlich an und lassen ihn nicht herein. Für Abraham ein Schock. Dennoch hoffte er bei seinem Weggang noch auf eine baldige Rückkehr, wenn der Spuk nur endlich vorbei sei.

Klaus Waller schildert dies und noch viel mehr sehr eindrücklich in seiner gelungenen Biografie des Komponisten, die im vergangenen Jahr in einer überarbeiteten und erweiterten Fassung bei starfruit publications herausgekommen ist. Eine erste Version hatte der Autor bereits 2014 im Eigenverlag veröffentlicht, aber danach noch weiter über das Schicksal Paul Abrahams nachgeforscht und neue Erkenntnisse gewonnen. Was an den verschiedenen Legenden dran ist, die über den Komponisten kursieren und an denen Abraham selbst gestrickt hat, konnte Klaus Waller nicht in jedem Fall bis ins Detail aufklären, aber doch einiges Erhellendes beitragen.

Geboren wird Paul Abraham 1892 im südungarischen Apatin, das heute auf serbischem Territorum liegt. Dort lebten damals sogenannte Donauschwaben, deutsche Zuwanderer also, zu denen sich eine kleine jüdische Minderheit gesellte. Nicht schon als Wunderknabe mit einer Sondergenehmigung des Kulturministeriums, wie Abraham später Journalisten diktierte, um sich interessant zu machen, aber als junger Erwachsener besuchte er die Musikakademie in Budapest. Er erhielt glänzende Noten, versäumte aber einen förmlichen Abschluss. Wie er die zunächst angestrebte Karriere als Dirigent und Komponist klassischer Musik aufgab und ins heitere Fach wechselte, dazu gibt es verschiedene Anekdoten. »Für ernste Musik bekam man damals kein Honorar«, erzählte Abraham später. Als er die seiner Ansicht nach abscheuliche Schnulze »Ich küsse ihre Hand, Madame« gehört und erfahren habe, dass davon 500 000 Platten verkauft wurden, soll er sich spontan entschlossen haben, in die Unterhaltungsbranche zu wechseln und gleich mal 100 Schlager in kürzester Zeit komponiert haben.

Fakt ist: Mit »Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier«, gesungen von dem Schauspieler Willy Fritsch in dem Tonfilm »Melodie des Herzens« (1929), machte Abraham in Deutschland auf sich aufmerksam. Den Erfolg seiner ersten Operetten in Budapest redete er später klein, wodurch sein Aufstieg in Berlin nur umso strahlender wirkte. Er war nicht der erste Komponist, der Jazzelemente in die Operette aufnahm und sie damit modernisierte. Aber keiner machte es so ausgezeichnet wie er. Als Börsenpekulant war Abraham nach seiner Zeit an der Musikakademie schon einmal reich geworden, hatte aber alles wieder verloren. Auch die Einkünfte aus den Operetten verspielte oder verprasste der von seinen Zeitgenossen als sehr höflich und freigiebig beschriebene Künstler. Ein übertrieben als Schloss bezeichnetes Stadthaus in der Berliner Fasanenstraße hatte er allerdings nicht gekauft, sondern nur gemietet, aber edel eingerichtet. Dort schmiss er auch seine berühmten Gulasch-Partys.

Schwere Krankheit im Exil

Von den Nazis vertrieben und zunächst nach Ungarn zurückgekehrt, fehlte dem Komponisten und seinen ebenfalls jüdischen Liberettisten der große deutsche Markt, auf den die Wiener Operette immer angewiesen war. Trotzdem brachte Abraham beispielsweise mit der Operette »Roxy und ihr Wunderteam« noch etwas zustande, bevor er nach Paris floh und dann über Havanna nach New York. Im Exil in den USA verdiente er dann kaum noch Geld. 1946 soll er in New York mitten auf der Straße ein imaginäres Orchester dirigiert haben, woraufhin ihn die Polizei ins Krankenhaus gebracht habe. Nachzuweisen ist aber nur, dass der Komponist an Schizophrenie litt, ausgelöst durch die bei ihm viel zu spät behandelte Geschlechtskrankheit Syphilis. Soweit es ging therapiert, wurde er nie wieder der Alte. Bis 1953 vegetierte Abraham im Creedmore State Hospital, einer psychiatrischen Klinik mit 6000 Patienten. In dieser Zeit wurden seine von den Nazis vom Spielplan verbannten Operetten in Deutschland schon wieder gezeigt und dann auch verfilmt, wovon der Komponist aber keine Notiz mehr nahm. Er lebte in einer anderen Welt.

Schließlich holte ihn ein extra gegründetes Komitee nach Hamburg, und in der dortigen Universitätsklinik gelangte er ausgerechnet auf die Station des Psychiaters Hans Bürger-Prinz. Der Professor war in der Nazizeit an verbrecherischen Zwangssterilisationen beteiligt und hatte sogenannte Kriegsneurotiker, die wegen traumatischer Erlebnisse an der Front Psychosen entwickelt hatten, mit Insulinschocks behandelt – zur Abschreckung gern vor ihren Kameraden. Bürger-Prinz bescheinigte obendrin Soldaten, Simulanten zu sein, wofür reihenweise Todesurteile verhängt wurden. In einem Gutachten für ein Entschädigungsverfahren von Paul Abraham schrieb der Professor dann in den 1950er Jahren unverfroren, in Deutschland wäre die Syphilis des Patienten 1940 sicher früh erkannt und behandelt worden. Dabei wartete doch auf einen Juden damals tatsächlich nur eine »Sonderbehandlung« durch die SS, also die Ermordung. Der durch die Nazis erlittene Schaden Abrahams wurde in der Bundesrepublik übrigens mit 1,2 Millionen Mark beziffert. Tatsächlich zugesprochen wurden ihm jedoch nur rund 37 000 Mark Entschädigung.

Klaus Waller: Paul Abraham. Der tragische König der Jazz-Operette. Starfruit Publications, 384 S., 28 €.

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