Porträts einer Internationalistin

Anita Leocádia Prestes erinnert biografisch an ihre Mutter Olga Benario Prestes.

  • Interview: Stefanie Retzlaff
  • Lesedauer: 9 Min.
Rote Fahnen – für Olga Benario und die Genoss*innen von heute.
Rote Fahnen – für Olga Benario und die Genoss*innen von heute.

Katinka Krause, Sie sind Mitbegründerin der Galerie Olga Benario im Berliner Stadtbezirk Neukölln. Was hat es mit der Geschichte dieses Ortes auf sich?

interview


Katinka Krause, Jahrgang 1954, ist von Beruf Lehrerin, seit 1984 Mitarbeiterin in der Galerie Olga Benario und seit 2005 Antiquarin in der »Biografischen Bibliothek«.

Die Galerie ist 1984 gegründet worden. Sie ist ein Kind der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die damals gesagt haben, wir müssen an die Öffentlichkeit gehen. Es war eine Zeit vieler rechter Übergriffe, deshalb war es uns ein Anliegen, Veranstaltungen und Ausstellungen mit Zeitzeug*innen zu machen, die während des NS als Widerstandskämpfer*innen aktiv waren. Und daraus ist dann die Galerie entstanden, zuerst in der Boddinstraße, dann ab 2001 ist die Galerie in die Richardstraße umgezogen. Auch das Forum hat sich Ende der Achtzigerjahre etwas erweitert. Daraufhin waren nicht mehr nur VVN-Mitglieder beteiligt, sondern auch andere Leute, die antifaschistisch, aber auch antiimperialistisch engagiert waren, also beispielweise die Lateinamerika-Initiativen. Dadurch hat sich das Forum politisch also immer mehr erweitert, sodass auch die Ausstellungen, die wir gemacht haben, nicht mehr nur auf den Faschismus oder Nationalsozialismus bezogen waren, sondern auch andere Themen hatten.

Und wie wird in der Galerie an Olga Benario erinnert?

Ja, das war eine schwierige Frage, nach wem benennt man so eine Galerie? Wir haben lange überlegt und schließlich entschieden, uns den Namen Olga Benario zu geben, was drei wichtige Gründe hatte. Das eine war, dass Olga Benario ja in Neukölln in den 1920er Jahren politisch aktiv war, als Funktionärin im kommunistischen Jugendverband. Das war also der regionale Bezug. Das zweite Argument war natürlich, dass wir gerne eine Frau wählen wollten, weil schon sehr viele Orte nach antifaschistischen Kämpfern, also nach Männern benannt sind. Dem wollten wir etwas entgegensetzen. Drittens hat uns fasziniert, dass Olga Benario eine Internationalistin war. Das heißt, sie war eben nicht nur hier in Deutschland politisch aktiv, sondern sie hat als Kommunistin in Moskau, Brasilien und anderen Ländern gekämpft. Das sind die drei Gründe, die uns dazu bewogen haben, die Galerie nach ihr zu benennen und ihre Geschichte zu erforschen.

Man muss dazu sagen, dass Olga Benario 1984 in Berlin beinahe unbekannt war. Wir waren immer erstaunt, wenn Besucher*innen aus Brasilien vorbeikamen. Dort ist sie durch ihren Mann, Luís Carlos Prestes, der in Brasilien aufgrund seines Kampfes gegen die Alte Republik »Ritter der Hoffnung« genannt wird, nach wie vor bekannt. Und in Brasilien kennt auch heute noch jede*r dessen Frau Olga Benario. Aber hier in Berlin kannte sie niemand, und wir wollten gerne, dass diese Frau in Neukölln und auch darüber hinaus bekannt wird. Natürlich haben wir auch versucht, eine Straße oder einen Platz zu bekommen, der nach ihr benannt werden könnte, oder eine Gedenktafel, aber das Einzige, was schließlich geklappt hat, war, für sie einen Stolperstein in Neukölln setzen zu lassen.

Was gibt es in der Galerie Olga Benario für die Besucher*innen zu sehen?

Für die Besucher*innen gibt es eine biografische Tafel und eine schöne Bronzeskulptur von ihrem Kopf zu sehen. Aber es gibt keine ständige Ausstellung über Olga Benario, sondern eigentlich immer thematisch wechselnde Ausstellungen. Die zu Olga Benarios Leben zeigen wir noch einmal bis Ende Januar, wegen des Theaterstücks, das ab Mitte Dezember in der Neuköllner Oper läuft.

Seit 2005 betreiben Sie nebenan, also neben der Galerie, ein kleines Antiquariat, die Biografische Bibliothek. Wie kam es dazu? Warum ausgerechnet ein biografischer Buchladen?

Die Begründung ist Leidenschaft – oder Liebhaberei! Weil ich selbst eben sehr gerne Biografien lese und mich damit beschäftige. Und für uns war es natürlich ein Glücksfall, dass ich die Galerie Olga Benario, die ja ein ehrenamtliches Projekt ist, auch tagsüber zur Besichtigung aufmachen kann, da ich im selben Haus einen kleinen Laden habe. Das war der Vorteil. Natürlich spielen Biografien wie die von Olga Benario, aber auch die von vielen anderen interessanten, politischen Figuren eine große Rolle. Beide Projekte sind also inhaltlich miteinander verbunden. Ich mache auch oft biografische Lesungen, die mit dem Thema der Ausstellung der Galerie zusammenhängen.

Zu Olga Benario existieren verschiedene Biografien. Welche sind das und welche sind besonders wichtig?

Ja, die erste und wichtigste und in der damaligen DDR natürlich bekannte Biografie war die von Ruth Werner. Das Schöne war, dass Ruth Werner auch unsere Galerie mit eröffnet hat. Das war am 12. Februar 1984, der Geburtstag von Olga Benario. An dem Tag waren fünf Antifaschistinnen zu Gast, die Olga Benario noch gekannt haben oder zusammen mit ihr im Gefängnis gewesen waren. Deshalb war es natürlich sehr schön, diese Veranstaltung zu machen. Die Biografie, die auch »Olga Benario« heißt, hat Ruth Werner auf der Basis von Interviews mit 80 Zeitzeug*innen geschrieben, die im Zusammenhang mit Olga Benario tätig waren. Und daraus ist passend zum Zeitgeist der 1960er Jahre eine sehr pathetische Biografie geworden. Es handelte sich dabei auch um einen biografischen Roman, nicht um eine wissenschaftliche Biografie.

Im Jahr 1989 hat dann der brasilianische Journalist Fernando Morais eine weitere Biografie über Olga geschrieben. Er hat aber vorher auch Ruth Werner besucht und sehr viel von ihr übernommen. Vor allen Dingen ihre Fotos, die sie noch von Olga Benario und Anita Benario hatte. Diese Biografie ist sehr viel sachlicher als die von Ruth Werner, sie ist eben journalistisch geschrieben, eine Recherche. Und sie ist die wichtigste Ergänzung, weil Fernando Morais die Geschichte anhand der Archive in Brasilien besser aufarbeiten konnte. Schließlich hat sich noch Robert Cohen mit Olga Benario beschäftigt. Er hat 2016, ein Jahr, nachdem durch Moskau mehrere tausend Dokumente aus russischen Archiven im Internet veröffentlicht wurden, darunter die fast 2000 Blatt umfassende Gestapo-Akte über den Umgang mit Olga Benario, dieses Material gesichtet. Cohen hat das Buch, das er dann publiziert hat, »Der Vorgang Benario« genannt. Drei Jahre zuvor hatte er schon den Briefwechsel von Olga Benario und Luís Carlos Prestes veröffentlicht.

Aktuell ist im Berliner Verbrecher-Verlag ein kleines Bändchen, die biografische Annäherung von Anita Leocádia Prestes, der Tochter Olga Benarios, in deutscher Übersetzung erschienen. Was ist aus Ihrer Sicht die Besonderheit des Buchs?

Der Tochter Anita war es sehr wichtig, nochmal die Gestapo-Akten aus Moskau zu verarbeiten und zu zeigen, welche Bedeutung die ganze Geschichte von Olga Benario hatte. Deshalb war es Anita auch ein besonderes Anliegen, dass dieses Buch ins Deutsche übersetzt wird, was freundlicherweise der Verbrecher Verlag übernommen hat. Es ist natürlich sehr ergreifend, dass die Tochter selbst diese Aufgabe bewältigt. Wenn sie biografisch über ihre Mutter schreibt, muss sie auch über sich selber schreiben, die im Alter von vierzehn Monaten durch die Gestapo von ihrer Mutter getrennt wurde. Deshalb schreibt sie von sich in der dritten Person, um den Abstand zu sich und ihrer eigenen Geschichte zu halten. Und das war ihr eben auch sehr wichtig.

Was hat sonst noch Eingang gefunden in das Buch, wirft es auf einen bestimmten Lebensabschnitt Olga Benarios ein besonderes Schlaglicht?

Das Buch ist im Grunde eine Quintessenz aus dem bisherigen, was es über Olga Benario gab. Es besteht sowohl aus einem biografischen Abriss als auch zum Teil aus wiederabgedruckten Briefen aus dem Gefängnis, die es schon vorher auf Deutsch gab. Luís Carlos Prestes, der in Brasilien im Gefängnis saß, musste Deutsch lernen, um Olga schreiben zu können. Denn nur so war es möglich, dass der Briefwechsel überhaupt von den Behörden akzeptiert wurde. Er hätte ihr nicht auf Brasilianisch schreiben können und sie hätte auch nicht auf Portugiesisch oder Brasilianisch antworten dürfen. Im Fokus des biografischen Abrisses der Geschichte steht eben die Leidenszeit von dem Moment an, als Olga aus Brasilien ausgewiesen wurde und dann durch die verschiedenen Konzentrationslager in Deutschland gehen musste. Da Anita Prestes für die Darstellung dieser Ereignisse Dokumente einsehen konnte, die erst vor ein paar Jahren aus russischen Archiven veröffentlicht und erstmals weltweit zugänglich gemacht wurden, ist das schon eine sehr tolle Ergänzung zu den bisherigen Biografien, die es gibt. Sie wollte das Buch bei uns in der Galerie vorstellen, aber das hat im Herbst noch nicht geklappt. Wir hoffen, dass sie wie versprochen im Frühjahr nach Berlin kommt.

Welches Bild zeichnet Anita Prestes denn von ihrer Mutter, was ist der Fokus?

Tja, welches Bild? Also ich würde auf alle Fälle erstmal sagen, dass sie natürlich nicht das Bild einer Heldin oder heroischen Gestalt zeichnet, wie es Ruth Werner tut, sondern dass sie versucht, als Historikerin die Rolle ihrer Mutter historisch einzuschätzen. Sie verfährt dabei sehr sachlich und es ist nachgerade wissenschaftlich, wie sie an die Sache rangeht. Das sind ihre anderen Veröffentlichungen auch immer gewesen. Sie hat zum Beispiel auch über ihren Vater geschrieben, mit dem sie politisch zusammen gekämpft hat und zusammen im Exil war. Das ist schon eine sehr beeindruckende Gratwanderung zwischen persönlichen und objektiven politischen Verhältnissen.

Neben der Neuerscheinung des Buches von Anita Prestes wurde an der Neuköllner Oper am 14.12.2022 ein Musiktheaterstück zu Olga Benario uraufgeführt mit dem Titel »Ich heb’ dir die Welt aus den Angeln«. Wie wird sich hier der Biografie Olga Benarios angenähert?

Die Regisseurin Kathrin Herm hat mit ihrem Team zusammen lange recherchiert. Wir haben sie natürlich auch ein bisschen mit Material versorgt und wurden selbst interviewt zu Olga Benario. Das heißt, unsere Erfahrungen mit der Arbeit in der Galerie sollten auch ein Stück weit mit einfließen. Außerdem wurden Kompositionen und Musikstücke recherchiert, die zur Biografie Olga Benarios passen. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Die Galeristinnen sind sehr gespannt auf die Premiere!

Zum Weiterlesen:
Ruth Werner: Olga Benario. Verlag Neues Leben 1961, 451 S.
Fernando Morais: Olga. Das Leben einer mutigen Frau. Aus dem bras. Portug. von Sabine Müller-Nordhoff. Volksblatt-Verlag 1989, 416 S.
Robert Cohen: Der Vorgang Benario. Die Gestapo-Akte 1936–1942. Edition Berolina 2016, 188 S.
Anita Leocádia Prestes: Olga Benario Prestes. Eine biografische Annäherung. Aus dem Portug. vom Coletivo Tropeção. Verbrecher-Verlag 2022, 113 S., br., 16 €.

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