Noch mehr Macht

Polizisten in Thüringen sollen Bodycams bekommen. Doch deren Einsatz ist umstritten

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 7 Min.
Vor allem die CDU dringt in Thüringen darauf, dass Polizisten Bodycams erhalten. Wie sie eingesetzt werden, ist noch unklar. Die rot-rot-grüne Koalition verlangt, dass die Kamera automatisch aufzeichnet, wenn die Waffe gezogen wird.
Vor allem die CDU dringt in Thüringen darauf, dass Polizisten Bodycams erhalten. Wie sie eingesetzt werden, ist noch unklar. Die rot-rot-grüne Koalition verlangt, dass die Kamera automatisch aufzeichnet, wenn die Waffe gezogen wird.

Zweifellos tragen Medienberichte über Polizeieinsätze dazu bei, dass ein Zerrbild entsteht. Allzu oft geht es dort um Schläge, Tritte, Reizgaseinsätze und Schüsse. Dabei ist die Realität freilich eine andere. In der überwiegenden Mehrheit geht es friedlich und gesittet zu, wenn sich Polizisten und Bürger begegnen. Menschen, die nach einem Unfall nach Hilfe rufen, sind dankbar, wenn die Polizei kommt, und auch die Beamten sind froh, wenn sie Hinweise aus der Bevölkerung zur Aufklärung von Straftaten erhalten.

Bodycams – die Thüringer Regeln

Im Paragrafen 33a des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes ist detailliert geregelt, wann Polizisten ihre Bodycams einschalten können: zum Beispiel bei Personen- und Fahrzeugkontrollen an öffentlich zugänglichen Orten oder wenn es um »Maßnahmen der Gefahrenabwehr, Maßnahmen zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten« geht, »wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zum Schutz von Polizeibeamten oder Dritten (…) erforderlich ist«.

Diese Regelung ist so umfassend, dass Polizisten die Kameras in so ziemlich jeder Lebenslage einschalten können, wenn sie das wollen. Grundsätzlich ausgeschlossen ist der Einsatz dagegen in Wohn- und Nebenräumen sowie in dazugehörigen privatem Besitz. Genauso verboten sind auch Aufzeichnungen bei Einsätzen in Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen von Berufsgeheimnisträgern wie etwa Anwälten.

Zudem ist in dem Paragrafen eine Soll-Bestimmung integriert, was nach Angaben des Innenministeriums meint, dass die Polizisten im Regelfall gehalten sind, dieser Bestimmung zu folgen, davon aber »in begründeten Ausnahmesituationen« abweichen können: So »sollen« die Kameras immer dann eingeschaltet werden, wenn Polizisten einem Menschen gegenüber körperliche Gewalt androhen oder sie tatsächlich anwenden – falls »die Umstände eine Bild- und Tonaufzeichnung zulassen«. Diese Regelung lässt den Beamten einen Ermessensspielraum.

Insgesamt will Thüringen nach Angaben des Innenministeriums 320 Bodycams für die Landespolizei anschaffen. Dafür muss eine europaweite Ausschreibung gestartet werden.

Allerdings kommt es natürlich auch immer wieder zu gewalttätigen Konflikten, die mitunter vor Gericht landen. Das sind Situationen, in denen Polizisten Menschen niederringen, weil sie nicht nur das Recht darauf haben, sondern weil sie es müssen. Etwa dann, wenn sie einen Angreifer daran hindern wollen, weiter auf sein Opfer einzuschlagen. Aber es kommt auch immer wieder zu Situationen, in denen Bürger von Polizisten angegriffen werden, obwohl es dafür keine Rechtfertigung gibt. Zum Beispiel dann, wenn sich Demonstranten unkooperativ verhalten und die Beamten mit Schlägen oder Reizgas darauf reagieren.

Für solche Konfliktsituationen soll die Thüringer Polizei nun Bodycams bekommen. Körperkameras also, die Einsatzkräfte an ihren Uniformen tragen und die in Bild und Ton festhalten können, was sich vor ihrem Träger abspielt. Die Einführung dieser Kameras hatte die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag durchgedrückt. Im Juli war das entsprechende Gesetz dazu verabschiedet worden, das fortan die Rechtsgrundlage für den Einsatz dieser Technik bildet. Das Innenministerium will dafür eine Dienstvorschrift erlassen, die viele Details für den Einsatz von Bodycams regeln soll.

Allerdings deuten der verabschiedete Gesetzestext und erst recht die Aussagen aus dem Innenministerium zu dieser geplanten Dienstvorschrift darauf hin, dass mit der Einführung der Bodycams jetzt genau das passiert, was Kritiker dieser Geräte schon seit langem monieren: Die Polizisten drohen durch deren Einsatz noch mächtiger zu werden, zum Nachteil der Bürger, auf die sie treffen. Nicht in den vielen Fällen, in denen es zwischen beiden Seiten friedlich zugeht. Wohl aber immer dann, wenn darüber gestritten wird, wer für die Eskalation einer Situation verantwortlich ist.

Tatsächlich werden Polizisten, die eine Körperkamera tragen, fast immer darüber entscheiden, wann sie die Kamera einschalten und wann nicht. Die Bürger können zwar darum bitten, dass ihr Zusammentreffen mit den Vertretern der Staatsgewalt aufgenommen wird. Im neu gefassten Thüringer Polizeiaufgabengesetz heißt es dazu: Die dauerhafte Aufzeichnung mit einer Bodycam solle erfolgen, »wenn es von einer Person, die von einer polizeilichen Maßnahme betroffen ist, ausdrücklich verlangt wird«. Doch was kann ein Bürger eigentlich tun, wenn ein Polizist entscheidet, dass er dieser Forderung nicht nachkommen will? Realistisch betrachtet gar nichts. Die Macht über die Kameras hat der Polizist, der sie trägt.

Zwar hat das Innenministerium darauf hingewiesen, dass Fehlverhalten von Polizisten im Umgang mit der Kamera »konsequent nachgegangen« werde. »Dies kann im Einzelfall bis zur Einleitung von dienstrechtlichen Maßnahmen gehen«, sagt ein Sprecher von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Das Problem bleibt aber. Wenn es keine Bodycam-Aufzeichnung von einer bestimmten Situation gibt, wird ein Bürger kaum beweisen können, dass er die Einschaltung der Kamera gefordert und ein Polizist sie abgelehnt hat. Wie bisher schon in vergleichbaren Fällen wird dann Aussage gegen Aussage stehen, was in Ermittlungsverfahren und Gerichtsverhandlungen regelmäßig dazu führt, dass die Aussagen der Beamten als glaubwürdiger eingestuft werden als die des »polizeilichen Gegenüber«.

Damit droht eine Machtverschiebung in Richtung der Polizei, die im Interesse derer ist, die sich für die Einführung der Bodycams starkgemacht haben. Neben der CDU, die sich traditionell dem Wohle der Polizisten verpflichtet sieht, hatten auch die Polizeigewerkschaften massiv für die Einführung von Bodycams geworben. »Sie schaffen mehr Sicherheit und Transparenz im Einsatz – und sind ein klares Signal, dass uns der Schutz unserer Polizeibeamten am Herzen liegt«, hatte zum Beispiel der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt gesagt, unmittelbar nachdem die Union die Bodycam gegen alle rot-rot-grünen Widerstände durchgesetzt hatte.

Die Polizeigewerkschaften hatten in den Monaten zuvor bereits immer wieder klargemacht, welche große Schutzwirkung sie sich von den Kameras für Polizisten versprechen. Zum einen hätten sie in vielen Fällen eine deeskalierende Wirkung auf aggressive Menschen gezeigt, argumentierten sie. Die Kameras würden Übergriffe auf Polizisten präventiv verhindern. Zum anderen würden sie im Falle von Beleidigungen und körperlichen Angriffen eindeutiges Beweismaterial liefern, um die Übergriffigen schließlich belangen zu können.

Gar nicht einverstanden mit einer weiteren Machtverschiebung in Richtung Polizei sind dagegen jene, die schon in der Vergangenheit vor einem zu großen Ermessensspielraum der Beamten gewarnt hatten. Bürgerrechtler machten einen Gegenvorschlag. Demnach sollte alles, was Polizisten während ihres Dienstes tun und erleben, aufgezeichnet werden. Weder die Beamten noch die Bürger hätten dann Einfluss darauf, was gefilmt wird und was nicht. Die Kameras wären damit als nahezu objektive Beobachter des Geschehens dabei, statt als weiteres polizeiliches Hilfsmittel. Gegen diesen Ansatz sperrten sich aber vor allem die Gewerkschaften, weil sie fürchteten, damit würden Polizisten einer totalen Kontrolle unterworfen.

Wenn nun aber das Thüringer Innenministerium erklärt, es gehe bei der Frage, wie der Bürger seinen Aufnahmeanspruch durchsetzen könne, um Vertrauen, dann bestärkt dies die Befürchtungen der Kritiker, zu denen auch Madeleine Henfling gehört. »Ich bin immer skeptisch, wenn Vertrauen eingefordert wird«, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Innenministerium sein Vertrauen in die Beamten so pauschal kundtue. »Ich würde das ja differenzierter sehen.«

Dabei, sagt Henfling, müsse man nicht einmal das Horrorszenario annehmen, das Bürgerrechtlern immer vor Augen schwebt, wenn es um Bodycams geht. Das sieht so aus: Zwei Polizisten treffen auf einen Menschen. Der ist friedlich und verlangt die Einschaltung der Bodycam. Die Polizisten sind aggressiv, lehnen es ab, die Kamera einzuschalten und gehen ihren Gegenüber körperlich an. Dieser wehrt sich. Jetzt wird die Bodycam eingeschaltet – und auf den Aufnahmen ist schließlich nur zu sehen, wie der Bürger die Polizisten angeht, nicht aber die Vorgeschichte. Sachlage pro Bürger. Beweislage pro Polizei.

Man müsse sich den Fall der tödlichen Schüsse auf einen 16-Jährigen in Dortmund im August anschauen, meint Henfling. Zwölf Polizisten waren an dem Einsatz beteiligt, mehrere von ihnen trugen eine Bodycam. Aber kein einziger schaltete seine Kamera ein, um zu dokumentieren, was geschah. Selbst wenn man in diesem Fall keinem Beamten böse Absichten unterstelle, zeige das, wie unzuverlässig ein- und abschaltbare Bodycams seien, sagt Henfling. »In Stresssituationen entscheiden und handeln Menschen anders als gewöhnlich.«

Aber genau um solche Ausnahmesituationen geht es bei der Einführung von Bodycams. Deshalb hat eine Mehrheit der Abgeordneten auf Drängen von Rot-Rot-Grün beschlossen, dass sich die Kameras automatisch einschalten sollen, wenn Polizisten ihre Dienstpistolen aus dem Holster ziehen. Eine solche Technik ist nach Angaben des Innenministeriums derzeit bei keiner einzigen deutschen Landespolizei im Einsatz. Deshalb müsse erst einmal der Markt erkundet werden um herauszufinden, welche Hersteller solche Technik liefern können, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Außerdem brauche es genaue Vorgaben zum Einschalten der Bodycams im Zusammenhang mit dem Schusswaffengebrauch. »Auf bisherige Erkenntnisse kann dabei nur bedingt zurückgegriffen werden.« Realistischerweise wird es wohl bis Ende 2024 dauern, bis eine entsprechende Dienstvorschrift erarbeitet und ein Hersteller gefunden sei, der dazu passende Technik liefern kann. Vor 2025 ist daher nicht mit der Einführung von Bodycams zu rechnen.

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