Im Dazwischen

Plattenbau. Die CD der Woche: »Hugo« von Loyle Carner

  • Samuel Logan
  • Lesedauer: 3 Min.

Rapper wollen »real« sein, wollen den »Sound der Straat« (Azad) produzieren und reproduzieren. Rapper wollen Kunstfiguren sein, ihre Namen hinter Pseudonymen verbergen, ihre Stimmen hinter Autotune und ihre Aussagen hinter der Ausrede des uneigentlichen Sprechens. Loyle Carner ist englischer Rapper. Auf einer Schwarz-Weiß-Klaviatur findet er die Blue Note, den
magischen Zwischenton des Weder-noch. Carner ist Sohn eines afrokaribischen Vaters und einer weißen Mutter und die Mixed-Race-Identität ist auch auf »Hugo«, seinem neuen, dritten Album ein Thema: »Black like the key on the piano/I’m white like the key on the piano«. 

Der Vater war abwesend und die eigene Lebensrealität als Sohn einer Sonderpädagogin unterschied sich sehr von der derjenigen, die routinemäßig Opfer rassistischer Anfeindungen werden. Und so gesteht er sich ein: »I fear the colour of my skin/I fear the colour of my kin« (Ich fürchte die Farbe meiner Haut/Ich fürchte die Farbe meiner Verwandtschaft).

Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter: dasND.de/plattenbau

Auch wenn Carners Mutter früh erkannte, dass ihr Sohn an ADHS und einer Lese- und Rechtschreibschwäche litt und ihn entsprechend fördern konnte, hilft das Label »weiß/akademisch« einer Sonderpädagogin in London nur bedingt, die Rechnungen zu bezahlen. Mittelschichtsrap? Meinetwegen, aber im Sinne einer prekären Zwischenposition. Mixed-race, middle class und schließlich noch dieses: middle-aged. 

Jung ist Loyle Carner nicht mehr, und aufgrund seiner Vaterschaft, die im Album ebenfalls thematisiert wird, nimmt er auch im Generationengefüge eine Zwischenposition ein.
Das alles ist interessant, macht aber noch kein gutes Album. Gut, sogar großartig wird »Hugo« dadurch, dass die Form genau den Inhalten entspricht. Die Musik wurde zum großen Teil instrumental eingespielt, huldigt aber nicht dem Fetisch der »handgemachten« Musik oder dem Sound der Pseudoklassik, den Popmusiker*innen von Metallica bis Little Simz wie Furnier auf ihre Musik übertragen, wenn sie mit Orchestern zusammenarbeiten.

Das Schlagzeug ist laut wie beim Soundcheck eines Konzerts, der Klang der Becken verschwimmt und wird dann plötzlich abgewürgt. Der Bass ist warm und durchdringend, schwurbelt aber wie unter einer Decke herum und der Gospelgesang des Kinderchors scheppert in Grammophonqualität wie ein Gespenst aus vergangenen Zeiten.

Klang gewordene Zerrissenheit, die sich doch zur Harmonie fügt, und dazwischen herrlich ruhige Jazz-Momente. Jazz, nicht als gefälliges Klimpersample zu Boom-Rap-Beats und auch nicht als arty-farty-avant-gardy Streben nach höheren Weihen im Kulturbetrieb, sondern als genuiner Ausdruck von Zwischenton-Menschen. Das Cover des Albums ziert ein mißlungener Schnappschuss: Loyle Carner im Auto, schlecht ausgeleuchtet, etwas unscharf und inmitten eines Blinzelns, zwischen zwei Orten, zwischen zwei Handlungen, zwischen zwei Richtungen.

Manche mögen kritisieren, dass die Beats »old school« im Vergleich zu manch vertrackteren Synkopierungen, gar altbacken sind und die Texte weder durch besonders hohe Reimdichte noch besonders originelle Inhalte bestechen. Aber dieser Verzicht auf Originalität ist eher ein Zeichen von Souveränität; einer Souveränität, die auch mal begabteren Rednern das Wort überlässt, etwa dem afrokaribischen Dichter John Agard oder Athian Akec, einem Kinderparlamentarier und Aktivisten.

Diese Entspanntheit strahlt Loyle Carner, dem die im Rap zur Geschäftsgrundlage gehörende Hybris abgeht, auch persönlich aus. Es lohnt sich sehr, diesen überaus sympathischen Menschen auf seiner derzeitigen Tour aus der Nähe zu erleben – oder zumindest aus der Mitteldistanz.

Loyle Carner: »Hugo« (AMF Records)

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