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- Panzer für die Ukraine
Sind wir schon im Krieg?
Daniel Lücking zu fallenden militärpolitischen Tabus
Was macht die Bundesministerin für Verteidigung, Christine Lambrecht (SPD), eigentlich beruflich? Diese Frage muss man sich dieser Tage schon in aller Klarheit stellen. Als in den Abendstunden des Donnerstags ein bislang politisch überdeutlich hoch gehaltenes Tabu fiel, indem die Bundesregierung nun westliche Schützenpanzer des Typs Marder liefern will, war von der Ministerin nichts zu hören, nichts zu lesen. Parteikollegen springen für sie ein. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD, erläuterte die Lieferungen, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ebnete den Weg, die politische Entscheidung des Bundeskanzlers einzuordnen und gutzuheißen.
Nicht weniger als ein Tabubruch hat stattgefunden. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hatte sich das Kanzleramt dagegen gewehrt, westliche Schützen- und Kampfpanzer zu liefern. Der gelieferte Gepard-Panzer wurde argumentativ als bewegliches Luftgewehr verkauft, aber nicht als Instrument, das auch im Angriff eingesetzt werden kann. Kaum war die Entscheidung verkündet, setzten die Koalitionspartner zum nächsten Tabubruch an. Schattenverteidigungsministerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) fordert nun auch Kampfpanzer des Typs Leopard 2 für die Ukraine. In ihrem Fahrwasser segelt mittlerweile verlässlich ihr Faktotum Anton Hofreiter (Grüne), der die Forderung bekräftigt.
Tabu um Tabu wird konsequent aufgeweicht und über Bord geworfen. Westliche Panzer müssen es sein, weil die Munition der sowjetischen Panzergeneration, die die Ukraine einsetzt, nicht mehr nachgeliefert wird. Tief in der Kriegslogik verhaftet, soll stets die nächste Waffe den Sieg bringen. Zu Ende gedacht, gehen der Bundesregierung allerdings irgendwann die Tabus aus. Liefert Deutschland dann absehbar bald Leopard-Kampfpanzer, ist bei Material und Munition eigentlich alles freigegeben.
Es bleibt als eine der letzten Schwellen dann nur noch der Einsatz von Soldat*innen aus den Nato-Staaten. Erst dann – so beruhigt man noch in alle Richtungen – wäre es ein Kriegseintritt. An der vermeintlichen Schwäche von Christine Lambrecht lässt sich aber auch ablesen, wer derzeit die Befehls- und Kommandogewalt ausübt. Zu viele Entscheidungen zu deutschen Waffen und Gerätschaften kommen schon jetzt aus dem Bundeskanzleramt. Die Zuständigkeit ist klar verteilt: Im Frieden ist die Verteidigungsministerin zuständig. Mit Verkündung des Verteidigungsfalles, so regelt es Artikel 115 b des Grundgesetzes, geht die Befehls- und Kommandogewalt auf den Bundeskanzler über. Doch derzeit ist weder Frieden, noch findet ein Angriff statt, gegen den das Land zu verteidigen wäre. Das macht deutlich, was – aus historisch ehrenwerten Gründen – derzeit ungeregelt scheint: Die Zuständigkeit im Krieg, der ja von deutschem Boden nie mehr ausgehen sollte.
Ministerin Lambrecht wird derzeit von ihren Generälen geführt (nicht umgekehrt) und vor allem an der Nase herum. Unliebsames Kriegsgerät, wie zuletzt der Schützenpanzer Puma, der bislang nur in geringen Mengen zur Verfügung steht, wird über Durchstechereien auf dem Niveau des Landesverrats presseöffentlich als unbrauchbar erklärt. Das schafft schon jetzt Synergien für den Krieg, wenn deutsche Soldat*innen die ukrainischen Soldat*innen am Schützenpanzer Marder schulen und damit quasi den absehbar drohenden gemeinsamen Einsatz üben.
Ebenso wenig wie ein deutscher Kriegseintritt scheint die Anbahnung von Friedensverhandlungen geregelt zu sein. Der Vorschlag des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba für eine internationale Friedenskonferenz im Februar, der noch Ende Dezember grundsätzlich begrüßt wurde, dürfte mit dem ausgebauten Drohpotenzial ad absurdum geführt sein.
Offen sind derzeit die nächsten Eskalationsstufen des Konfliktes, nachdem die Schützenpanzer Marder und absehbar die Kampfpanzer Leopard ihren Weg auf das Gefechtsfeld gefunden haben. Offen bleibt auch, woher die ukrainische Führung den Optimismus nimmt, dass gerade diese Waffen »den Sieg« bringen werden. Ganz so, als habe das russische Arsenal nicht auch auf dieses Kriegsgerät entsprechende Antworten parat. Wie viel mehr Waffen werden noch aus dem eigentlich für die Verteidigung bereitgehaltenen Vorrat in Kriegswaffen umdefiniert?
Eindeutig ist zum Jahresbeginn nur eines: Eine Kriegsdienstverweigerung ist mittlerweile kein rein symbolischer Verwaltungsakt mehr. Leider.
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