Eine offene Wunde

18 Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh erinnern Unterstützer an ihn und fordern Aufklärung

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Regionalzug von Berlin nach Dessau wurde am Samstagvormittag von Antirassist*innen dominiert. »Oury Jalloh – das war Mord« stand auf den Plakaten, die im Zug zu sehen waren. Ein Teil der mehr als 1800 Menschen, die sich bei fast frühlingshaften Temperaturen vor dem Dessauer Hauptbahnhof in Sachsen-Anhalt versammelt hatten, kam aus der Hauptstadt. Sie wollten an Oury Jalloh erinnern. Er war am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt.

Obwohl mittlerweile mehrere Gutachten davon ausgehen, dass bei dem Feuertod Brandbeschleuniger verwendet wurden und Jalloh sich nicht selbst angezündet hat, ist der Rechtsweg in den Augen der Justiz abgeschlossen. Eine Verfassungsbeschwerde der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh wurde bisher vom Bundesverfassungsgericht nicht bearbeitet.

»Für mich ist der Fall Oury Jalloh noch immer eine offene Wunde. Hier werden die Grenzen des Rechtsstaats deutlich. Das regt mich auf, deswegen bin ich das erste Mal zur Gedenkkundgebung gekommen«, erklärte ein etwa 30-jähriger Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, gegenüber »nd«. Auch viele weitere Menschen wollen sich nicht damit abfinden, dass ein Mensch in einer Polizeizelle wahrscheinlich gefesselt verbrannt wurde und niemand dafür vor Gericht kommt. Daher hat der Tod des Sierra Leoners auch nach 18 Jahren noch immer ein Mobilisierungspotenzial, besonders wenn der Todestag auf einen Samstag fällt.

Sehr unterschiedliche Menschen bekunden mit teilweise selbstgemalten Plakaten und Bannern ihre Solidarität mit dem Toten. Dazu gehört eine Gruppe der Omas gegen Rechts, die mit weißen Schirmen nicht nur wetterfest auftreten. Sie wollen so auch symbolisch zeigen, dass sie niemanden im Regen stehen lassen. Da sind sehr junge Leute von der neu gegründeten Offensiven Jugend Dessau. »Niemand von uns war geboren, als Oury Jalloh in der Polizeizelle verbrannt ist, aber wir sehen es als unsere Pflicht, das Gedenken fortzusetzen«, sagt ein junger Mann von der Gruppe, die sich als antikapitalistisch und antifaschistisch versteht. Sie war Teil eines größeren Blocks von linken Jugendgruppen, die mit ihren Bannern und Fahnen nicht zu übersehen waren.

Die große Resonanz auf die Gedenkveranstaltung ist auch ein Dankeschön für die Freund*innen und Mitstreiter*innen von Oury Jalloh, die den Kampf seit 18 Jahren nie aufgegeben haben. Tatsächlich gehört die Bühne am Anfang ihnen. »Anfangs waren wir traurig und haben geweint. Jetzt wollen wir weiterkämpfen, bis wir Gerechtigkeit für Oury Jalloh erreicht haben«, erklärt einer von Jallohs Freunden in Dessau.

Ein Grußwort kommt auch von Jallohs Bruder Mamadou Saliou Diallo, der aus Ghana zu der Gedenkveranstaltung angereist ist. »Ich war bei mehreren Prozessen mit meiner Mutter hier und wir hoffen auf Gerechtigkeit«, sagte er. Diese Hoffnung sei enttäuscht worden, die Mutter sei inzwischen gestorben. Aber jetzt werde er den Kampf fortsetzen, erklärte er unter Applaus. Jallohs Dessauer Freund*innen erinnerten daran, dass sie in den ersten Jahren nach dem Tod des Mannes von der Polizei angegriffen worden seien, wenn sie die Parole »Oury Jalloh – das war Mord« skandiert hätten. Am Samstag wurde die Parole häufig gerufen und die Polizei griff nicht ein.

Die Freund*innen der ersten Stunde haben auch erreicht, dass der Name Oury Jalloh international bekannt wurde. Bekannte Künstler*innen und Wissenschaftler*innen rekonstruierten die letzten Minuten seines Lebens und kamen zu dem Schluss, dass er sich nicht selbst angezündet haben konnte. Der Kampf um Gerechtigkeit ist längst nicht mehr nur auf eine Person beschränkt, er wird weitergehen – mit diesem Bekenntnis endete die Demonstration vor der Dessauer Polizeiwache, in der Oury Jalloh starb und zuvor bereits zwei weitere Menschen unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen waren: Hans-Jürgen Rose 1997 und im November 2002 der Wohnungslose Mario Bichtemann.

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