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Blockadebrocken aus dem Weg räumen

Sozialisierungsinitiative startet Abwahlkampagne gegen Giffey, Geisel und Co

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.
Vor der Straßenaktion haben die Aktivist*innen noch das Wahlkreisbüro des »Oberblockierers« in Karlshorst besucht.
Vor der Straßenaktion haben die Aktivist*innen noch das Wahlkreisbüro des »Oberblockierers« in Karlshorst besucht.

»Wollen wir gemeinsam die SPD abwählen?« Mit kräftiger Stimme und entschlossenem Blick schmettert Bana diesen Satz einem sein Fahrrad schiebenden Passanten entgegen, dabei hält sie ihm ein Flugblatt entgegen. Die Gesichtszüge des etwa 40-jährigen Mannes, der gerade noch abweisend wirkte, werden weich, ein Lächeln formt sich auf seinem Gesicht: »Auf jeden Fall bin ich dabei. Und das, obwohl ich selber mal bei der SPD war«, entgegnet er auf das Abwahlangebot. Bana erwidert: »Mein Vater hat auch früher SPD gewählt. Bis Hartz IV eingeführt wurde – dann nicht mehr.« Die Fußgängerampel springt auf Grün, der Mann wechselt die Straßenseite. Bana hält gleich nach der nächsten Person Ausschau, die sie ansprechen könnte.

Bana und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben sich am vergangenen Freitagnachmittag auf der Treskowallee rund um den S-Bahnhof Karlshorst verteilt. Es ist der Start der Abwahl-Kampagne der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Auf dem Flugblatt informieren sie über ihre Ziele und die gerade online gestellte Internetseite dwe-wahl.de. Dort lässt sich herausfinden, wie die Politikerinnen und Politiker von SPD, Grünen und Linke im eigenen Wahlkreis zur Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids zur Sozialisierung der Berliner Bestände von Großvermietern stehen. Dazu wurden im Vorfeld alle im Herbst 2021 ins Abgeordnetenhaus gewählten sowie die aussichtsreichen Kandidatinnen und Kandidaten für Direktmandate angeschrieben, insgesamt sind das rund 150 Kandidierende.

Wenig überraschend sind alle 24 Linke-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier für die Umsetzung der Sozialisierung, bei den Grünen sind laut Deutsche Wohnen & Co enteignen fünf der 32 Abgeordneten dagegen, bei der SPD nur neun von 36 dafür. Dazu muss gesagt werden, dass alle Politikerinnen und Politiker, die nicht auf die Frage der Sozialisierungsinitiative zu deren Haltung zur Umsetzung geantwortet haben, als Gegnerinnen und Gegner gewertet wurden. »Wir hatten das so in unseren Anschreiben angekündigt und auch noch Erinnerungsschreiben verfasst, in denen wir auf die ausstehende Antwort hingewiesen hatten«, erläutert Initiativen-Sprecherin Veza Clute-Simon bei einer Pressekonferenz zum Auftakt der Kampagne etwa zwei Stunden vor der Straßenaktion. »Ausbleibende Antworten haben wir als Nein gewertet, da wir die Strategie, uns zu ignorieren, schon zu Genüge kennen«, sagt sie.

Nicht geantwortet hatte auch »der oberste Blockierer«, wie Bana ihn nennt: Bausenator Andreas Geisel (SPD). Hier in Karlshorst liegt sein Wahlkreis, den er bei der Wahl 2021 mit sechs Prozentpunkten Vorsprung auf den Kandidaten der Linkspartei, Norman Wolf, gewonnen hatte. »Wolf ist durchaus bekannt in Lichtenberg«, sagt Raven. Seit 2017 wohnt der Sozialisierungsaktivist in Lichtenberg. »Meine Nachbarn zahlen 18 Euro Miete pro Quadratmeter«, berichtet er über den Berliner Mietenwahnsinn aus persönlicher Anschauung.

»Ich spüre eine große Unzufriedenheit mit der Arbeit von Bausenator Andreas Geisel«, sagt Raven. Nicht nur wegen der deutlich verfehlten Bauziele, sondern auch wegen der vergeigten Wahl 2021, für die er als Innensenator zuständig war. »Ich halte es nicht für unrealistisch, dass Andreas Geisel den Wahlkreis verliert«, so Raven weiter. Zumal die Drittplatzierte im Wahlkreis, Daniela Ehlers von den Grünen, ebenfalls durchaus Chancen habe. Als aktuelle Grünen-Fraktionschefin in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung konnte sie in der Bekanntheit ebenfalls zulegen.

Am Bahnhof Karlshorst erscheint Ravens Eindruck plausibel. »Der kann nüscht«, sagt ein Passant zu Bana über den Bausenator. Immer wieder wird fröhlich zugestimmt, wenn es um die Abwahl der SPD geht. Eine Passantin widerspricht, als Bana sie auffordert, mit ihr gemeinsam für die Abwahl von Andreas Geisel am 12. Februar zu sorgen. »Nein, das werde ich nicht, weil er ein Freund von mir ist«, entgegnet sie. Er hat nicht nur seinen Wahlkreis in Karlshorst, sondern wohnt auch ein paar Hundert Meter vom Bahnhof entfernt. Aber die Frau verspricht, gleich am nächsten Tag mit ihm über den Volksentscheid zu sprechen.

»Was ich erschreckend finde: Wie viele Leute mir sagen, dass sie nicht zur Wiederholungswahl gehen werden«, sagt Bana. Auch Raven hat schon oft die Erfahrung machen müssen, dass die Leute nicht glauben, dass sie mit ihrer Unterschrift oder Stimme viel ändern können. »Zur Unterschriftensammlung für den Volksentscheid war ich 2021 öfter in Hohenschönhausen. Dort wurde oft mit der Begründung abgewunken, dass es sowieso nichts ändern wird«, berichtet er.

Viele hätten auf den nicht umgesetzten Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel hingewiesen, so Raven. Dass das von der Berliner FDP als Wahlkampfschlager initiierte Votum aus rechtlichen Gründen real praktisch nicht umsetzbar war, diese Botschaft ist zu den Menschen offenbar kaum durchgedrungen. Dass sie der Politikverdrossenheit Vorschub leisten, haben die Freidemokraten offenbar billigend in Kauf genommen. »Nun blockiert die SPD die Umsetzung des Sozialisierungs-Volksentscheids«, sagt Raven.

»Die Regierung von Franziska Giffey respektiert die demokratische Entscheidung der Berliner*innen nicht. Ganz im Gegenteil: Giffey und der zuständige Senator Andreas Geisel tun alles, um den Volksentscheid zu verschleppen und die dringend notwendige Enteigung zu sabotieren«, erklärt Veza Clute-Simon auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des »Abwahlkampfes«. Die Sprecherin von Deutsche Wohnen & Co enteignen sitzt dabei mit drei Mitstreitenden auf dem kleinen Podium des Karlshorster Jugendklubs »Rainbow«.

Ein »großes Chaos« sei die am 12. Februar anstehende Wiederholungswahl, die verursacht wurde »durch die Inkompetenz von Herrn Geisel«, wie Clute-Simon sagt. »Als ehemaliger Innensenator ist er direkt verantwortlich für das Wahldesaster 2021. Doch er weigert sich nach wie vor, die Konsequenzen der Verantwortung zu tragen«, erläutert sie. Die Wiederholungswahl sei aber auch eine große demokratische Chance: »Wir können Giffey, Geisel und allen anderen Handlangern der Immo-Konzerne zeigen, was passiert, wenn sie das Votum von uns Berliner*innen ignorieren. Wir können sie am 12. Februar abwählen. Denn klar ist: Wer nicht enteignen will, kann nicht regieren.«

Veza Clute-Simon appelliert: »Geht am 12. Februar zur Wahl! Macht von eurem demokratischen Grundrecht Gebrauch! Und: Wählt nur die Kandidat*innen und Parteien, die sich klar für die Vergesellschaftung aussprechen.«

Auf der Internetseite dwe-wahl.de soll es ganz einfach sein, die Kandidierenden im eigenen Wahlkreis zu finden, doch bei mehreren Versuchen funktioniert die Suche über die Eingabe des Straßennamens leider nicht. Man kann aber auch überprüfen, welche Mitglieder der aktuellen Fraktionen von SPD, Grünen und Linke sich in der Umfrage für die Umsetzung des Vergesellschaftungs-Volksentscheids ausgesprochen haben und welche nicht.

Bei der SPD bilden die neun Abgeordneten für die Sozialisierung ein Viertel der Fraktion. Dazu gehört Lars Rauchfuß aus Tempelhof-Schöneberg, der angibt, beim Volksentscheid mit »Nein« gestimmt zu haben. »Maßgeblich ist das Ergebnis der Prüfung durch die Expert*innenkommission«, schreibt er. Bei einem positiven Votum und einer haushälterisch vertretbaren Entschädigungshöhe würde er demnach für ein entsprechendes Gesetz stimmen. Mathias Schulz aus Mitte verweist wie andere Fraktionsmitglieder auf den SPD-Parteitagsbeschluss vom Juni 2022, in dem die Delegierten eine Umsetzung bei positivem Ergebnis der Kommission fordern. »Daran fühle ich mich gebunden«, so Schulz.

»Die Vergesellschaftung ist der beste Weg, diesen nicht enden wollenden Anstieg unserer Mieten endlich zu stoppen«, ist Clute-Simon überzeugt. Doch statt zu enteignen, machten Andreas Geisel und Franziska Giffey »gemeinsame Sache mit der Immobilienlobby«. Es sei nun an der Zeit, diese »Blockadebrocken aus dem Weg zu räumen«.

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