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Pflanzen, Petroglyphen und Philanthropie

Museyroom (Teil 1): Das Clarence Bicknell Museum in Bordighera, Ligurien

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Probleme mit den Zugängen: Auch eine Rankpflanze der Gattung Wisteria sinensis wächst um das Museum.
Probleme mit den Zugängen: Auch eine Rankpflanze der Gattung Wisteria sinensis wächst um das Museum.

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Dieses Jahr werden wir jeden Monat eins vorstellen, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«nd

Die offizielle Anschrift lautet: Museo Biblioteca Clarence Bicknell, Via Romana 39, Bordighera. Dieser Ort liegt an der Küste Liguriens. Das Museum steht in einem Garten etwas abseits der Via Romana. Anlässlich des 100. Todestages von Clarence Bicknell vor fünf Jahren wurde ein neuer Weg dorthin eingeweiht. Denn ein noch von Bicknell gepflanzter Baum der Gattung Ficus macrophylla hatte den Zugang zum Museum arg erschwert. Man sagt, es sei die größte Großblättrige Feige in Europa. Vor längerer Zeit schon waren das von Bicknell entworfene Eisentor sowie ein Stück Mauer Teil dieses unermüdlich wachsenden Baumes geworden.

Clarence Bicknell wurde im Oktober 1842 in Herne Hill, einem großbürgerlichen Stadtviertel im Süden Londons, geboren. Seine Mutter Lucinda war die Schwester von H. K. Browne, dem Illustrator der Werke von Charles Dickens. Sein Vater Elhanan verdiente sein Geld vor allem mit dem Handel des für Leuchttürme und Straßenbeleuchtung stark nachgefragten Walfischtrans sowie des teureren Spermaöls. Er sammelte die Werke englischer Maler, etwa von William Turner, der oft im Hause Bicknell zu Gast war.

Sohn Clarence studierte in Cambridge zunächst Mathematik, widmete sich dann aber der Theologie und wurde 1868 Priester der anglikanischen Church of England. Er war ein paar Jahre als Vikar in Walworth tätig, einem Slumviertel in Südlondon, und versuchte, den Ärmsten zu helfen, vor allem als dort die in Europa grassierende Pockenepidemie viele Opfer forderte. 1878 reiste er erstmals nach Bordighera, 1880 ließ er sich ganz dort nieder. Sein dortiges Wirken als Vikar fand bald ein Ende. Später schrieb er, die Kirchen hätten mehr Schaden angerichtet als Gutes bewirkt und den menschlichen Fortschritt behindert.

Als Bicknell sich in Bordighera niederließ, war der Ort längst eine britische Kolonie. Auf 2000 Einheimische kamen 3000 Briten. Der britische Bordighera-Hype war durch den 1855 erschienenen sentimentalen Roman »Doctor Antonio« des italienischen Exilanten Giovanni Ruffini ausgelöst worden.

Sobald sich Bicknell in Bordighera niedergelassen hatte, machte er Ausflüge in die Umgebung, um Blumen und Pflanzen zu sammeln. Er legte ein Herbarium an und malte Aquarelle der Blumen und Pflanzen. Bis 1884 hatte er bereits über 1000 dieser Aquarelle geschaffen. 104 davon wählte er als Illustrationen für sein Buch »Flowering Plants and Ferns of the Riviera and Neighbouring Mountains« aus, das 1885 erschien.

Als seine Räume in der von ihm bewohnten »Villa Rosa« für die Pflanzen- und Aquarellsammlung nicht mehr ausreichten, ließ Bicknell von 1886 bis 1888 ein Museum errichten. Ihm dienten dafür protestantische Kirchenbauten in England als Vorbild, gleichwohl wurde das Museum mit einem eher mediterran wirkenden Portikus verziert. Die große Halle wurde mit einer Apsis versehen, die eine Bühne aufwies, auf der Theaterstücke und Konzerte gegeben wurden.

Bicknell brachte sein Herbarium sowie seine Aquarelle in das Museum, eine in England erworbene Schmetterlingssammlung, aber auch seine Bibliothek, genannt »Biblioteca Internazionale« oder »International Free Library«. Später wurde eine Galerie eingebaut, um für die wachsende Bücherzahl (derzeit sind es etwa 80 000 Exemplare) Platz zu schaffen. Wegen Einsturzgefahr darf sie heute von Besuchern nicht mehr betreten werden.

Von Bicknells akkuraten Aquarellen sind im Museum nur noch wenige zu sehen, der Großteil von mehr als 3000 Exemplaren befindet sich wie auch das Herbarium im Botanischen Institut der Universität von Genua. Im Museum sind zudem einige der mehr als 12 000 Frottagen von Petroglyphen ausgestellt, die Bicknell anfertigte. Über diese Felsritzungen stand in einem Werk aus dem Jahr 1460, sie würden Teufel und Dämonen darstellen. Bicknell hatte 1881 einen ersten Tagesausflug ins Vallée des Merveilles unternommen, dort aber wegen der Schneedecke nur wenig erkennen können. Bei seinem zweiten Anlauf 1885 skizzierte er bereits über 50 verschiedene Figuren und Symbole, die in die Felsen geritzt waren. 

Inspiriert von dem deutschen Archäologen, Alpinisten und Botaniker Fritz Mader (1872–1921) dehnte Bicknell in den späten 1890er Jahren seine Erkundung und Erfassung von Felsgravuren auf das Val Fontanalba aus und erforschte sie so akribisch wie vorher die Pflanzen. Sein 1902 erschienenes Werk »A Guide to the Prehistoric Rock Engravings in the Italian Martitime Alps« bot Archäologen die Grundlage für ihre spätere Arbeit. Hatten Forscher vor ihm die Felszeichnungen auf Phönizier oder Libyer zurückgeführt, kam Bicknell zu dem vorsichtigen Schluss, dass sie von örtlichen Schäfern stammen und einer Berggottheit geweiht waren.

Wenn sich Bicknell nicht um Pflanzen und Petroglyphen kümmerte, war er durch und durch philanthropisch eingestellt – er half notleidenden Arbeitern oder den Opfern des Erdbebens von 1887, das Teile Liguriens verwüstete. Im Februar 1912 wurde ein von Bicknell finanziertes Heim für arme Alte eingeweiht.

Der Pazifist Bicknell war Verfechter der Plansprache Esperanto, nahm sich blinder Esperanto-Sprecher an und tippte Texte für sie in Braille-Schrift. Der Tea-Party-Smalltalk seiner sich in Bordighera vergnügenden Landsleute war seine Sache nicht. Daher war er erfreut, als er sich mit dem russischen Anarchisten Peter A. Kropotkin und dessen Frau Sophia Grigorievna unterhalten konnte, die sich von Dezember 1913 bis Juni 1914 in Bordighera aufhielten.

Bicknell schrieb über die Begegnung mit Kropotkin, die ihm von der regionalen Polizei das Label »befreundet mit Subversiven« einbrachte: »Ich glaube, dass seine Theorien richtig sind, doch nicht seine Methoden zur Verbesserung der Dinge. Dass eine große Veränderung, eine große Revolution kommen wird & die Ordnung der Dinge eines Tages eine ganz andere sein wird, bezweifle ich nicht.«

Bicknell lehnte die Gewalt ab. Weltpolitisch ging sie damals vor allem vom Deutschen Reich aus. Während des Ersten Weltkriegs schrieb er in einem Brief an den italienischen Mineralogen Alberto Pelloux: »Wir werden diesen Erzlügner, den Kaiser, eines Tages besiegen. Wenn er kein Schurke ist, wird er wohl verrückt sein.« Dem Schweizer Botaniker Émile Burnat teilte er mit: »Es ist unmöglich, mit Leuten befreundet zu sein, die all die Horrortaten dieser Barbaren gutheißen.«

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