Roter Baum mit Stacheln

Der in Dresden gegründete und auch in Berlin aktive linke Jugendverein feiert 30-jähriges Jubiläum

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Gemeinsam auf dem Gipfel: Ferienlager des »Roten Baum« in der Sächsischen Schweiz
Gemeinsam auf dem Gipfel: Ferienlager des »Roten Baum« in der Sächsischen Schweiz

Woher hat der Rote Baum seinen Namen? Die Farbe versteht sich bei einem linken Jugendverein von selbst. Warum aber »Baum«? Ähnliche Gruppen hätten sich nach rotem Gemüse benannt, Rüben etwa oder Pepperoni, sagt Tilo Kießling: »Wir aber wollten kein einjähriges Gewächs, sondern etwas Dauerhafteres und Größeres.« Dieser Anspruch des Mitgründers hat sich erfüllt. An diesem Samstag feiert der Rote Baum mit einer großen Party in seinem Dresdner Domizil das 30-jährige Jubiläum.

Die Idee zur Gründung kam Kießling im Sommer 1990 bei einer Tour mit seinem DDR-Fahrrad, als er in Bayern Teilnehmern eines christlichen Jugendcamps begegnete: »Die hatten einen Kleinbus, schicke Räder und klare Prinzipien.« Der damals 19-Jährige wünschte sich ähnliche, an einer erkennbaren und in seinem Fall klar linken Haltung orientierte Jugendarbeit für Dresden, wo sich aber mit Ende der DDR viele Strukturen auflösten. Kießling und einige Gleichgesinnte nahmen die Dinge selbst in die Hand und etablierten einen Treff, für den sie jeden Donnerstag die Dresdner PDS-Zentrale in Beschlag nahmen. Der Zuspruch übertraf alle Erwartungen; bis zu 150 Jugendliche drängten sich in Büros und Treppenhaus. Nicht alle der älteren Genossen waren begeistert.

Aus den informellen Treffen entstand ein Verein, der am 28. Januar 1993 gegründet wurde und sich umgehend offiziell in der Kinder- und Jugendarbeit engagierte. Er betrieb ein Jugendhaus, in dem es Musik und Partys gab, aber etwa auch Protest gegen Nazis oder Unterstützung für Obdachlose organisiert wurde, erinnert sich Kristin Hoffmann. Sie fuhr als Schülerin eine Stunde mit der Bahn durch die Stadt, um im Roten Baum sein zu können, und gehört heute zum ehrenamtlichen Vorstand. Sie ist damit eine von vielen, die zunächst als »Nutzer« der Angebote kamen und diese dann zunehmend selbst gestalteten, etwa als Betreuer in den Ferienlagern, die der Verein schon früh anbot und an denen rund 1300 Kinder und Jugendliche pro Saison teilnehmen. Zu ihren Markenzeichen gehört bis heute der Anspruch, Werte und politisches Wissen zu vermitteln. So stehen bei Feriencamps in Tschechien regelmäßig Besuche im früheren Konzentrationslager Theresienstadt auf dem Programm.

Etliche derjenigen, die beim Roten Baum mit linken Haltungen aufwuchsen, waren später prominent in PDS und Linkspartei aktiv. Zu ihnen gehören Katja Kipping, lange Bundeschefin der Linken und jetzt Sozialsenatorin in Berlin, Annekatrin Klepsch, Kulturbürgermeisterin in Dresden, oder Falk Neubert, Ex-Landtagsabgeordneter und heute Sprecher in der von Bodo Ramelow geführten Thüringer Staatskanzlei. Neubert schätzte den Verein als »Schutzraum, in dem ich Verbündete und Gleichgesinnte treffen konnte«. Die Devise lautete: In den Roten Baum dürfen alle außer Nazis. Bei ihrer Umsetzung ist der Verein konsequent. Als 2018 der rechtsextreme AfD-Politiker und Richter Jens Maier provokativ am traditionellen weihnachtlichen Filmnachmittag teilnehmen wollte, wurde er vor die Tür gesetzt, was bundesweit für Aufsehen sorgte.

Der Rote Baum wird in Dresden durchaus als Stachel empfunden; seine klare Haltung stieß immer wieder auf Widerstand. Ein Beispiel: die Jugendweihen, an denen zu besten Zeiten 600 Jugendliche pro Jahr teilnahmen. Als mit Pegida in Dresden »die Reaktionäre aus ihren Löchern krochen«, wie Kießling formuliert, fiel es immer schwerer, die erforderliche Zustimmung aller Eltern einer Schulklasse zu gewinnen: »Da gingen die Zahlen zeitweise deutlich runter.« Inzwischen steigen sie wieder. Als Tiefpunkt empfand Kießling die Weigerung der Mehrheit im Stadtrat, dem Roten Baum trotz eines positiven fachlichen Votums den Zuschlag für die Trägerschaft mehrerer Kitas zu erteilen. Schlagzeilen schrieb auch ein Streit im Stadtrat über Bedingungen für die künftige Förderung des Vereins, der nach Antifa-Blockaden eines Naziaufmarsches im Februar 2011 und einer folgenden Polizeirazzia in Räumen des Roten Baums losbrach. Er führte fünf Jahre später bis vor das Bundesverwaltungsgericht.

Trotz solcher zeitweiligen Rückschläge steht der Rote Baum heute gut im Saft. In Dresden gelten der Verein und die gemeinnützigen Unternehmen, die er für verschiedene Aktivitäten gegründet hat, als anerkannte und respektierte Träger der Kinder- und Jugendarbeit, die Streetwork und Ganztagsangebote anbieten, sich für Jugendbeteiligung und demokratische Bildung engagieren. Ein festes Standbein hat der Rote Baum seit Jahren in Berlin, wo ebenfalls Jugendtreffs betrieben und mit Unterstützung des Landes Partnerschaften in ganz Europa unterhalten werden. Sogar ein Mehrgenerationenhaus in Hellersdorf befindet sich in Trägerschaft des Roten Baums. Nicht nur das deutet darauf hin, dass sich der Verein im 30. Jahr seines Bestehens langsam auch Gedanken über das Alter zu machen scheint. In Dresden, sagt Kießling, plane man künftig Angebote für Senioren, wolle Nachbarschaftshilfe organisieren und sich um das Thema Einsamkeit im Alter kümmern. Im Mittelpunkt wird aber auch in Zukunft die Jugendarbeit stehen. Kristin Hoffmann, die 1995 über ein Ferienlager zum Roten Baum kam, hat inzwischen auch ihren Sohn in ein solches Camp geschickt und hofft, dass er beim Verein seine Jugendweihe absolviert. »Der Rote Baum ist mir eine Heimat«, sagt sie, »und ich bin froh, wenn auch meine Kinder dort ihre Zeit verbringen.«

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