Wenn Frauen schießen

Gewalt gegen Frauen produziert Gewalt von Frauen: »Als ich wieder aufstand, nahm ich das Gewehr« heißt eine Untersuchung von Valentine Faure

  • Ronald Kohl
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als dreihundert Frauen in Deutschland werden jährlich laut einer Statistik des BKA Opfer eines Tötungsdelikts, das einen Beziehungshintergrund hat. Sie werden meistens von ihren aktuellen oder ehemaligen Ehemännern oder Freunden umgebracht, geplant oder im Affekt. Demgegenüber wurden 68 Männer im Jahr 2021 Todesopfer in Partnerschaften.

Die französische Publizistin Valentine Faure schreibt in ihrem Buch mit dem Titel »Als ich wieder aufstand, nahm ich das Gewehr« über Gewalt gegen Frauen. Aber auch – beinahe möchte man sagen: gleichberechtigt – über die Gewalt von Frauen. Denn es war eine Frau, Jacqueline Sauvage aus dem Loire-Tal, die nach 47 Jahren regelmäßig wiederkehrender Misshandlungen im Spätsommer 2012 aufstand, sich ihr Jagdgewehr griff und ihren Ehemann, einen Transportunternehmer, von hinten niederschoss. Der Fall und auch der Prozess, der in beiden Instanzen mit einer Verurteilung zu zehn Jahren Haft endete, haben in Frankreich für hitzige Debatten gesorgt.

»Heute«, schreibt Valentine Faure, »hängen die Statistiken an den Wänden und Bushaltestellen unserer Städte: Alle drei Tage wird eine Frau aus Gründen häuslicher Gewalt zur Mörderin.« – Ja, Sie haben richtig gelesen. Aber leider ist es nur ein Druckfehler oder vielleicht auch ein Übersetzungsfehler? Tatsächlich wurden in Frankreich 21 Männer 2021 von ihren Partnerinnen umgebracht (aber 121 Frauen von ihren Partnern).

Entscheidend ist etwas anderes: das »leider«. Darf man das so sagen? Oder muss man es – nur die Knarre löst angeblich die Starre – sogar so sagen? Oder besser doch nicht?

Valentine Faure packt dieses Problem nicht nur sehr beherzt, sondern auch überaus pfiffig an. Sie beginnt bei sich selbst. Ein aus heutiger Sicht nichtiger Streit mit ihrem Partner brachte sie, als sie noch frisch verliebt waren, während einer Autofahrt dermaßen auf die Palme, dass sie plötzlich ohne Rücksicht auf Verluste volle Kanne in die Eisen stieg. Das Fahrzeug hinter ihnen fuhr krachend auf. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Da wir davon ausgehen können, dass Valentine Faure nicht immer so fährt, muss also irgendetwas das Fass zum Überlaufen gebracht haben; in gewisser Weise war es somit so ähnlich wie bei Jacqueline Sauvage. Mit nur einem wesentlichen Unterschied: Bei Jacqueline Sauvage lautete nach der Tat die große Frage: War es Notwehr? Im Prozess gegen sie bestätigten dies ihre drei Töchter, die ebenfalls der vielfältigen Gewalt ihres Vaters ausgesetzt gewesen waren.

Auffällig ist die Tatsache, dass statistisch gesehen Frauen, die ihre Männer umbringen, stärker bestraft werden als Männer, die ihre Frauen töten. Auch wenn in Umfragen immer mehr Männer erklären, Gewalt gegen Frauen zu verabscheuen. Jacqueline Sauvage wurde zu einem Symbol für die Opfer häuslicher Gewalt, wurde aber verurteilt. Das gab große Proteste. Schließlich wurde sie vom damaligen Präsidenten François Hollande begnadigt.

Andererseits existiert in den USA und auch in Westeuropa der Begriff der »zeitversetzten Notwehr«. Die dahinterstehende Logik ist leicht nachzuvollziehen. Wenn eine Frau befürchten muss, dass die Gewalt gegen sie irgendwann tödlich werden könnte, hat sie das Recht, sich zu schützen. Gegen den Einwand, dass dies auch mithilfe der Polizei möglich wäre, steht das so bezeichnete »Syndrom der misshandelten Frau«. Die darauf beruhenden Verteidigungsstrategien waren in den USA durchaus erfolgreich. Beispielsweise ließ 1991 der Gouverneur von Ohio 25 Verurteilte frei, schreibt Faure: »Alle hatten ihren gewalttätigen Partner getötet, manche von ihnen sogar jemanden beauftragt, das zu tun. Die 25 Frauen mussten 200 Stunden Sozialarbeit in einem Hilfsprogramm für Opfer häuslicher Gewalt leisten.«

Im Schlussteil des Buches beschreibt die Autorin, wie die indigenen Frauen auf der Insel Margarita vor der Küste Venezuelas mit männlicher Gewalt umzugehen pflegen. Das Kapitel trägt die Überschrift: »Ich würde ihn mit kochendem Öl begießen«. Dass Respekt und Achtung und der damit höchstwahrscheinlich verbundene Verzicht auf Gewalt lediglich auf der Androhung exzessiver Rache beruhen, bezeichnet die Autorin als ein Bild, das »nicht gerade begeisternd« erscheint.

Doch wie sieht ihre Lösung aus? Leider (noch einmal dieses Wort) hat sie keine, benennt aber sehr plausibel die Probleme aller bisherigen Lösungsansätze. Vielleicht ist es ganz einfach: Wir Männer sollten uns immer so benehmen, als würde unsere Liebste gerade total geladen hinter dem Steuer sitzen.

Valentine Faure: Als ich wieder aufstand, nahm ich das Gewehr. Gewalt von Frauen. A. d. Franz. v. Christoph Hesse. Edition Tiamat, 175 S., 22 €.

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