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Letzte Generation: Blockaden in jedem Dorf
Ihr Protest hat den Aktivist*innen der Letzten Generation viel Ärger eingebracht. Trotzdem wollen sie ihn 2023 noch ausweiten
2022 war das Jahr der Letzten Generation: Am 24. Januar blockierte die Gruppe erstmals Ausfahrten von zwei Autobahnen in Berlin. Viele weitere Straßenblockaden folgten in den Wochen und Monaten darauf. Irgendwann waren die »Klimakleber« in aller Munde. Konservative und PS-Liberale schäumten. Viele Linke diskutierten über die Aktionsform der Gruppe. Die »einfachen Leute« im Berufsverkehr zu blockieren, sei keine gute Strategie, das schade dem Anliegen, das Klima zu schützen, so eine oft geteilte Kritik an den Aktionen. Andere kritisierten die braven Forderungen der Letzten Generation. Ein Gesetz, das Containern erlaubt, ein Tempolimit und bezahlbarer öffentlicher Verkehr – das seien Forderungen an die Herrschenden, die nicht wirklich zum Systemwandel beitrügen.
Trotzdem konnte die Letzte Generation im vergangenen Jahr eine Leerstelle in der Klimabewegung besetzen. Fridays for Future wirkte paralysiert. In der jungen Bewegung hatten viele Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung der Grünen gesetzt und gedacht, mit der Partei komme die Klimapolitik voran. Dass dann ausgerechnet der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Vorkämpfer für neue fossile Projekte wie die zahlreichen LNG-Terminals und Lieferverträge mit fragwürdigen Staaten wie Katar wurde, führte zu einer Art Schockstarre. Auch linksradikalen Bündnissen wie Ende Gelände gelang es nicht, große Mobilisierungen gegen die neuen Gasprojekte zu erreichen. Zu groß schien bei vielen die Unsicherheit über Energiefragen in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Die Letzte Generation wurde von den anderen Akteuren der Klimabewegung kritisch beäugt. Das änderte sich erst wirklich, als die Repressalien gegen die Gruppe zunahmen. Nach Blockaden in München wurden Aktivist*innen in ein 30-tägiges Präventivgewahrsam genommen. Im Dezember folgten sogar Hausdurchsuchungen und ein Ermittlungsverfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Mitglieder der Letzten Generation. Aus den »Klimaklebern« waren im öffentlichen Diskurs »Klimaterroristen« geworden.
Dabei ist die juristische Bewertung der Aktionen der Gruppe gar nicht so eindeutig. Deutsche Gerichte kamen zu den unterschiedlichsten Urteilen. Ein Richter am Amtsgericht Tiergarten in Berlin etwa lehnte es ab, einen Strafbefehl gegen Aktivist*innen zu verhängen. Er wertete eine mehrstündige Blockade als »nicht verwerflich«, die Letzte Generation mache auf die »mäßigen politischen Fortschritte« der deutschen Klimapolitik aufmerksam. Bei seiner Begründung stützte sich der Richter ausdrücklich auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Frühjahr 2021.
Eine Aktivistin, die schon mehrfach vor Gericht stand, ist Maja Winkelmann, die von »nd« schon im vergangenen Sommer bei Blockaden begleitet wurde. Gegen die 24-jährige wurde in Nürnberg verhandelt. Die dortige Staatsanwaltschaft forderte, Winkelmann und drei Mitstreiter*innen zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung zu verurteilen. Sie sah in der Blockade einen besonders schweren Fall der Nötigung und warf den Blockierer*innen »antidemokratisches Verhalten« vor. Die Richterin sah das anders, attestierte den Blockierer*innen, für »gute und richtige Ziele« zu protestieren, und verurteilte sie lediglich zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Für Winkelmann war das ein Teilerfolg. Dennoch kritisiert die Aktivistin, dass der Richterin der Mut für einen Freispruch gefehlt habe. Ihr Protest sei eine Intervention gegen eine Bundesregierung, die »ihre eigene Verfassung bricht«.
Winkelmann will weiter protestieren, wie die gesamte Letzte Generation. Die Gruppe kündigte an, ab dem 6. Februar wieder Straßen zu blockieren. Das erklärte Ziel ist es, »die Republik zu einem friedlichen Stillstand zu bringen«. Dabei sollen die Blockaden ausgeweitet werden. Möglichst in »jeder Stadt und jedem Dorf« will die Gruppe protestieren. Dabei hat sie auch eine neue Forderung im Gepäck. Die Bundesregierung soll einen repräsentativ gelosten Gesellschaftsrat einsetzen, der Maßnahmen zur Klimaneutralität bis 2030 erarbeiten soll. Diese Maßnahmen sollen dann von der Bundesregierung umgesetzt werden.
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