Ungleiches Kräfteverhältnis am Molkenmarkt

Nur mit Grünen und Linke könnte eine exklusive Bebauung in Berlins Mitte verhindert werden

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Er sei ein optimistischer Mensch, sagt Matthias Grünzig. »Ich sehe eine Chance, wenn diese Koalition weitergeht«, so der Bürgervertreter im Werkstattverfahren für den Molkenmarkt am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung der Berliner Mietergemeinschaft. Es geht um die Chance, dass eine kleinteilige rekonstruierende Bebauung des Molkenmarktes noch verhindert werden und stattdessen die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) auf dem Grundstück hinter dem Roten Rathaus bauen kann. 

Nachdem Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) im September das Verfahren trotz anderslautender Auslobung ohne einen Siegerentwurf beendet hatte und neu präsentierte Planungsschritte nun selbst in der Senatsbauverwaltung vornimmt, befürchten Grünzig und nicht zuletzt Politiker von Grünen und Linke, dass gestalterische Vorgaben gemacht werden, die es am Ende unmöglich machen würden, bezahlbaren Wohnraum zu errichten.

Mit einer etwaigen Beteiligung von CDU und FDP an einem neuen Senat nach der Wiederholungswahl wäre die Hoffnung, das zu verhindern, dahin. Doch auch der Graben innerhalb der aktuellen Koalition zwischen Grünen und Linke auf der einen und der SPD auf der anderen Seite ist – gelinde gesagt – tief. »Es ist zwar eine Koalition. Wir beide haben aber manchmal den Eindruck, dass wir es nicht sind«, sagt Julian Schwarze, der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, über sich und Katalin Gennburg, seine Fachkollegin in der Linksfraktion, mit Blick auf die Sozialdemokraten. 

Schwarze sagt, man erfahre aus der SPD-geführten Senatsbauverwaltung Wichtiges erst über parlamentarische Anfragen, wenn überhaupt. Es sei ein Problem, dass man so wenig Eingriffsmöglichkeiten im weiteren Prozess zum Molkenmarkt habe. »Wir haben schon noch ein Zeitfenster. Es würde mich aber nicht wundern, wenn die Zwischenzeit nach der Wahl genutzt wird, um Sachen einzutüten«, sagt Schwarze.

Linke-Stadtentwicklungsexpertin Katalin Gennburg hat ihre alten E-Mails herausgekramt. Zum Ende der vergangenen Legislaturperiode 2021 hätte es begonnen, dass die SPD noch einmal über den Molkenmarkt reden wollte. Der Redebedarf der Sozialdemokraten kam für Gennburg insofern überraschend, als die Fahrtrichtung doch klar gewesen sei seit 2016, als ein Kurswechsel vollzogen und vereinbart wurde, dass die landeseigenen Grundstücke nicht mehr privatisiert werden sollten. Ein Kurswechsel gegenüber dem in den 90er Jahren entstandenen »Planwerk Innenstadt«, das ebenjene Privatisierung und neue einkommensstarke Bewohner der Innenstadt zum Ziel hatte, wie Grünzig erklärt. »Im Gegenzug sollten Quartiere am Rande der Stadt wie Staubsauger einkommensschwächere Menschen aufnehmen«, ergänzt Gennburg. 

Die heutige Senatsbaudirektorin Kahlfeldt gehörte damals zu den Anhängern des Plans. Ihr Büro entwarf auch Gebäude für den Friedrichswerder zwischen Unter den Linden und Spittelmarkt, wo eine teure kleinteilige Bebauung Realität wurde. »Es gibt ein Netzwerk um den Architekten Tobias Nöfer«, sagt Grünzig, der betont, dass nicht die gesamte SPD das Problem sei, sondern lediglich dieses Netzwerk. 

Eindrücklich miterleben konnte man das beispielsweise beim Festival der neu gegründeten Stiftung Mitte Berlin im Oktober vergangenen Jahres, das zur Abschlussveranstaltung unter anderem Petra Kahlfeldt und den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) auf die Bühne bat.

Im Publikum saßen viele Vertreter von Organisationen, die offensiv für den Wiederaufbau im Zweiten Weltkrieg zerstörter Altstädte werben, darunter der Verein Stadtbild Deutschland, den Gennburg als »rechtsoffen« bezeichnet und der im Verfahren zum Molkenmarkt Stimmung gegen den modernen Entwurf gemacht hat. 

Mögen sie rechts sein, wie behauptet – dumm sind sie nicht. Der Vertreter von Stadtbild Deutschland, der sich im Oktober auch als Teil der Stiftung Mitte Berlin und mit Namen vorstellte, sagt am Donnerstag erst nachdem er danach gefragt wird, für wen er spricht. So subtil, wie er jetzt auch mit einem Lob auf die DDR-Architektur im Nikolaiviertel Werbung für den Wiederaufbau der Altstadt machte, so umtriebig ist er generell für sein Anliegen unterwegs. 

Erst vor wenigen Tagen ließ er sich vom »Tagesspiegel« als teilnehmender Bürger eines Forums zum Tourismus in Berlin mit dem Wunsch zitieren, dass es mehr »schönere Stadträume« in Berlin geben sollte. Wer das Klientel kennt, weiß: »Schön« ist kein harmloser Wunsch, sondern bedeutet exklusive Innenstadtbewohner auf der einen Seite und Staubsauger am Rande der Stadt.

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