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Bunte Finger gegen die Klimakrise

Chronisch kranke und behinderte Menschen sind von allen Folgen der globalen Erwärmung besonders betroffen

  • Michael Zander
  • Lesedauer: 4 Min.

»In durch die Klimakrise verursachten Notfällen haben Menschen mit Behinderung ein erhöhtes Risiko zu sterben«, stellte ein im Januar in der Fachzeitschrift »Nature Climate Change« veröffentlichter Kommentar fest. Chronisch kranke und behinderte Menschen, die gemeinsam etwa ein Achtel der Weltbevölkerung ausmachten, seien von allen Folgen der globalen Erwärmung besonders betroffen, so das Team um Penelope Stein von der US-amerikanischen Harvard Law School, vor allem Hitzewellen und Flutkatastrophen seien gefährlich. Die Autor*innen machen Vorschläge für eine inklusive Gestaltung des Katastrophenschutzes und zur Stärkung der Klimaresilienz: Auch in Notfällen müsse der individuelle Hilfebedarf berücksichtigt werden, etwa durch barrierefreie Notunterkünfte, Gebärdenverdolmetschung, Medikamente oder Notstromaggregate für Beatmungsgeräte. Andernfalls kann es dazu kommen, dass die Kommunikation in Krisensituationen scheitert und Menschen lebenswichtige Unterstützung verwehrt bleibt. Der Wissenschaft falle die Aufgabe zu, differenziertere Daten zu erheben und Interventionen zu entwickeln. Staaten, die sich in ihrer Politik nicht an das im Pariser Abkommen festgelegte 1,5-Grad-Ziel halten, machten sich einer Verletzung von Menschenrechten schuldig. Zu ihnen gehört auch die Bundesrepublik.

UN-Generalsekretär António Guterres warnte anlässlich der Eröffnung der Klimakonferenz von Scharm El-Scheikh im November 2022 erneut, dass die Welt auf dem Weg »in die Klimahölle« sei und »den Fuß noch auf dem Gaspedal« habe. Ein ähnliches Bild zeichnete ein Bericht, den die damalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet bereits 2020 vorgelegt hat. Dieser hebt hervor, dass behinderte Menschen besonders von Armut betroffen seien, was in der Klimakrise zu besonderen Gefährdungen führe. Bachelet forderte die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Rahmenabkommens von Sendai, in dem ein inklusiver Katastrophenschutz vorgesehen ist, der die Belange behinderter Menschen berücksichtigt. Der Bericht fordert, ebenso wie der in »Nature Climate Change« erschienene Kommentar, Selbsthilfeorganisationen behinderter Menschen verstärkt in den Kampf gegen den Klimawandel einzubeziehen und deren Expertise zu nutzen.

Während der Österreichische Behindertenrat im September 2022 eine erste Fachkonferenz unter dem Titel »Klimakrise: Ohne uns keine Zukunft« veranstaltete, scheint das Thema hierzulande noch nicht recht angekommen zu sein. Dabei zeigen sich auch in Deutschland mittlerweile die zerstörerischen und tödlichen Folgen der globalen Erwärmung. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 kamen 134 Menschen ums Leben. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli ertranken auch zwölf Bewohner*innen einer Behinderteneinrichtung der Lebenshilfe im rheinland-pfälzischen Sinzig, der einzige anwesende Mitarbeiter konnte nicht alle Bewohner*innen aus dem überschwemmten Erdgeschoss retten. Die Verantwortung für den Tod der behinderten Menschen will weder die Einrichtung noch der Katastrophenschutz übernehmen. Wann der vom Landtag eingesetzte Untersuchungsausschuss seine Arbeit beendet haben wird, ist noch offen. Der Zusammenhang zwischen der Flutkatastrophe, dem unzureichendem Katastrophenschutz und der Klimakrise zeigt deutlich, dass behinderte Menschen besonders gefährdet sind und dass die Bedingungen und das Handeln vor Ort eine entscheidende Rolle spielen können.

Die Klimabewegung bemüht sich um eine Beteiligung behinderter Menschen: An Blockaden gegen die Räumung des Dorfes Lützerath in Nordrhein-Westfalen, das dem Braunkohletagebau des Stromkonzerns RWE weichen soll, nahmen mehrere Personen im Rollstuhl teil. Andere seilten sich von einer Autobahnbrücke ab. Organisationen wie Ende Gelände gestalten ihre Mobilisierung inklusiv, indem sie beispielsweise einen sogenannten Bunten Finger bilden, also einen Protestzug, an dem unter anderem gehbeeinträchtigte Menschen teilnehmen können. Eine intensive Kooperation zwischen Klima- und Behindertenbewegung steht allerdings noch aus.

Die Menschenrechte sind ein wichtiger normativer Bezugspunkt, sowohl für den behinderten- als auch für den klimapolitischen Diskurs. Aber die Bewegungen müssen auch die strukturellen Ursachen der Krise stärker in den Blick nehmen. Der britische Historiker Eric Hobsbawm schrieb bereits Ende der 1990er Jahre in einem Ausblick auf das 21. Jahrhundert, ein Gleichgewicht im Stoffwechsel mit der Natur sei »unvereinbar mit einer Weltwirtschaft, die auf dem unbegrenzten Profitstreben von Wirtschaftsunternehmen beruht, welche ja per definitionem diesem Ziel verpflichtet sind und die darum auf einem freien Weltmarkt konkurrieren.« Wenn die Menschheit eine Zukunft haben solle, dann könne der globalisierte Kapitalismus keine haben. Die Ausbeutung von Menschen und Natur nimmt keine Rücksicht auf Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen. Klima-, Behinderten- und Menschenrechtsaktivist*innen dürfen sich dieser Einsicht nicht verschließen.

Dr. Michael Zander vertritt derzeit die Professur »System der Rehabilitation« im Studiengang Rehabilitationspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er ist in der Behinderten- und Klimabewegung aktiv.

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