Unverbindliche Unterstützung

Brandenburgs Ministerpräsident leistet Wahlkampfhilfe für Franziska Giffeys Flughafen-U-Bahn

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen.« Mehrfach schallt die unfreundliche Begrüßung des Wahlkampftrosses der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin über den Lieselotte-Berger-Platz in Rudow. Mitten auf dem Platz parkt am Freitagnachmittag der mit dem Konterfei von Franziska Giffey (SPD) beklebte weiße Wahlkampfbus. Davor, inmitten einer Pressetraube, steht neben der Regierenden auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Sie halten eine überdimensionale Karte hoch, die den Verlauf der geplanten Verlängerung der U-Bahnlinie U7 vom bisherigen Endbahnhof Rudow bis zum Flughafen BER zeigt. Der Lieselotte-Berger-Platz soll erster neuer Halt auf dem Weg gen Brandenburg sein.

Sie stehen dort in ihrer Funktion als SPD-Landesvorsitzende von Berlin und Brandenburg. Franziska Giffey möchte ihren Wahlkampfschlager von 2021, die fast neun Kilometer messende Verlängerung der U7 in die Gemeinde Schönefeld, wieder aufwärmen. Die aktuelle Neuigkeit: Sie und Woidke haben – dies wiederum in ihrer Funktion als Regierungschefs – kürzlich gemeinsam einen Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) geschrieben. Sie fordern darin einen Fördersatz von 90 Prozent aus Mitteln des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) für das laut Kostenstand 2020 bis zu annähernd 900 Millionen Euro schwere Vorhaben. Da die Baukosten seitdem nach oben geschossen sind, dürfte bereits jetzt die Milliardengrenze geknackt worden sein. Ein Baustart ist frühestens Ende dieses Jahrzehnts zu erwarten – wenn überhaupt.

»Wir sagen: Dieses Projekt hat eine nationale Bedeutung, und deshalb wollen wir auch den Sonderfinanzierungssatz von 90 Prozent gerne erreichen«, so Franziska Giffey. Vor allem hat das Projekt Bedeutung für die Gemeinde Schönefeld. Der zweite Stopp der Bustour ist auf freiem Feld zwischen Berlin und dem alten Flughafenbahnhof. 10 000 Wohnungen sollen hier entstehen und mittendrin der U-Bahnhof Schönefeld Nord. »Wir sind Zuwanderungs-Hotspot. Wir haben die größte Zuwanderung bundesweit«, sagt Bürgermeister Christian Hentschel (Bürgerinitiative Schönefeld). In den kommenden Jahren soll sich die Einwohnerzahl der – Stand Ende 2021 – 18 500-Seelen-Gemeinde verdoppeln. Dazu noch die Gewerbegebiete entlang der ersehnten U-Bahn-Verbindung mit – geplant – 90 000 Arbeitsplätzen. Hentschel, Giffey und Woidke strahlen bei diesen Projektionen um die Wette.

In der Geschichte des Berliner U-Bahn-Netzes sind Ambitionen, Immobilienprojekte durch neue Verkehrsadern vergolden zu wollen, keine Neuigkeit. Große Teile der U3 nach Krumme Lanke sowie die komplette U4 vom Nollendorf- zum Innsbrucker Platz wurden zur Wertsteigerung von Bauland angelegt. Wegen bis heute äußerst niedriger Fahrgastzahlen wollten die Berliner Verkehrsbetriebe im Jahr 2009 den Weiterbetrieb beider Strecken zur Disposition stellen. Doch so weit ist es noch lange nicht bei der Hauptstadtanbindung für den Hauptstadtflughafen, wie Giffey ihr Herzensprojekt nennt.

»Ich glaube schon, dass es mehr als gerechtfertigt ist, dass wir für dieses Projekt eine ähnliche Unterstützung bekommen wie beispielsweise die Verlängerung der U5 von München nach Pasing. Der Finanzierungsanteil des Bundes belief sich bei diesem Projekt auf 90 Prozent. Hier können wir als Berliner und Brandenburger einfordern, dass wir mindestens auch eine Gleichbehandlung wollen«, sagt Dietmar Woidke und begibt sich in den Bereich der Faktenfreiheit.

988 Millionen Euro sollte Ende 2021 die wohlgemerkt innerhalb Münchens gelegene Verlängerung der U5 um 3,8 Kilometer zum Bahnhof Pasing kosten. Tatsächlich förderfähig laut GVFG sind davon 889 Millionen Euro, von denen der Bund grundsätzlich 75 Prozent übernehmen würde, wie die »Süddeutsche Zeitung« im November 2022 berichtete. Weitere 15 Prozent würde der Freistaat Bayern zuschießen. Allerdings heißt es in dem Bericht: »Eine endgültige Zusage gibt es noch nicht.«

Bereits im September 2020 behauptete Franziska Giffey beim erstmaligen Ausrollen der U-Bahn-Ausbau-Initiative der Berliner SPD, dass der Bund bis zu 90 Prozent der Kosten übernehmen könnte. Doch der Blick ins Gesetz offenbart eindeutig, dass dieser Fördersatz nur für Eisenbahnstrecken gewährt werden kann. Eine U-Bahn ist rechtlich in Deutschland eine Straßenbahn, und mehr als 75 Prozent Zuschuss gibt es laut GVFG dafür nicht. In ihrer Gesetzes-Exegese geht Giffey wohl ähnlich präzise vor wie in ihrer Doktorarbeit.

Weitere Entscheidungen zur U7 werden erst nach der Wahlwiederholung am 12. Februar fallen. Brandenburg und die Gemeinde Schönefeld beteiligen sich nun finanziell an der Nutzen-Kosten-Untersuchung, die frühestens im August vorliegen soll. Damit überhaupt Bundesmittel fließen, muss ein Wert über 1 herauskommen, was keinesfalls sicher ist. Der besagt, dass der volkswirtschaftliche Nutzen die Kosten überwiegt. 2022 sind die Verlängerungsprojekte der S2 von Blankenfelde nach Rangsdorf sowie eine S-Bahn von Falkensee nach Finkenkrug krachend durch diese Prüfung gefallen. Äußerst schlecht sieht es überdies für die S-Bahn von Hennigsdorf nach Velten aus. Auch bei der S-Bahn von Berlin-Spandau nach Falkensee möchten Kenner nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass der Nachweis der Wirtschaftlichkeit gelingt.

Sollte die U7 zum BER förderfähig sein, ist vollkommen offen, wer die restlichen Baukosten und letztlich auch die nicht unerheblichen Betriebskosten auf Brandenburger Territorium übernimmt. Nahverkehr ist in der Mark kommunale Aufgabe, hier wären also der Landkreis Dahme-Spreewald und die Gemeinde Schönefeld gefragt. Er werde sich an der Sicherstellung der Finanzierung beteiligen, konkreter wird Ministerpräsident Woidke nicht. Brandenburg gibt kaum Geld für den Nahverkehr. Erst nach langem Kampf gewährte das Land den Straßenbahnbetrieben des Landes einen zusammengenommen zweistelligen Millionenbetrag für die dringend nötige Beschaffung neuer Fahrzeuge.

»Statt sich in U-Bahnprojekte zu versteigen, die wahrscheinlich zu unseren Lebzeiten nicht kommen, sollten sich Franziska Giffey und Dietmar Woidke um die echten Probleme kümmern«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB zu »nd«. Für ihn sind das unter anderem der Wiederaufbau der Potsdamer Stammbahn sowie der zweigleisige Ausbau und die Elektrifizierung der Ostbahn Richtung Kostrzyn. Für Schönefeld hat er einen vergleichsweise preiswerten Vorschlag: »Ein neuer S-Bahnhof Schönefeld West ließe sich gut an der Brücke der Hans-Grade-Allee einrichten. Damit würde das große Gewerbegebiet erschlossen.«

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