Die Luft aus dem Dialog ist raus

Eine Verbesserung der Kommunikation mit China war ursprüngliches Anliegen der nun abgesagten Reise des US-Außenministers

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 5 Min.
Der chinesische Drachen zeigt sich zum chinesischen Neujahrsfest Anfang Februar selbstbewusst auf den Straßen von Seattle.
Der chinesische Drachen zeigt sich zum chinesischen Neujahrsfest Anfang Februar selbstbewusst auf den Straßen von Seattle.

Eine lang erwartete Reise nach Peking wurde gerade vom US-Außenminister Antony Blinken wegen eines Luftballons verschoben. In Washington war Blinken dafür Beifall sicher. Denn in der Hauptstadt gibt es tiefe und überparteiliche Unterstützung für eine strengere Behandlung der Chinesen. Es wird geschätzt, dass im vergangenen Jahrzehnt bis zu 30 solche Ballons, die die Chinesen »Leichter-als-Luft-Vehikel« nennen, über den USA schwebten. Damit soll jetzt Schluss sein.

US-amerikanische Finanzkreise sind seit Monaten wegen der schlechten Beziehungen zwischen Washington und Peking alarmiert. In einem Bloomberg-Aufsatz schrieb der ehemalige Finanzminister Henry Paulson, dass die aktuellen Versuche Washingtons, die chinesische Wirtschaftsmacht zu bändigen und zu isolieren, schwer sein würden: »Washington führt zur Zeit einen Kampf gegen die Schwerkraft.« Nun ist Wall Street mit der Regierung von Joe Biden aber nicht unzufrieden. Manche Banker freuen sich, dass Blinkens Reise immerhin nur vertagt worden ist.

In den vergangenen Tagen kam US-Präsident Biden schwer von konservativen Kräften unter Druck, weil er gewartet hatte, bevor er den chinesischen Spionageballon zum Abschuss freigab. Der republikanische Senator Marco Rubio aus Florida schrieb vergangene Woche auf Twitter: »Wenn Biden nicht in der Lage ist, einen Ballon abzuschießen, dann wird er wohl gar nichts machen, wenn China Land von Indien oder Japan wegnimmt oder gar Taiwan erobert.« Die Parteigänger Rubios misstrauen der Biden-Regierung auf Schritt und Tritt.

Seit Dezember 2022 verstärken sich die Spannungen zwischen den Mächten, insbesondere durch einen Beinahe-Unfall in der Luft über dem südchinesischen Meer, als ein chinesischer Kampfjet sich fast auf drei Meter einem US-Militärflugzeug annäherte. Als es im Jahr 2001 eine Kollision zwischen einem US-Spionage-Jet und einem chinesischen Kampfflugzeug über der Insel Hainan gab, haben die politischen Spitzen die Gefahr erkannt und Hotlines eingerichtet. Solche Kommunikationslinien fehlten in den vergangenen Tagen in der Affäre um den mutmaßlichen Spionage-Ballon. Ausgerechnet die Verbesserung der Kommunikation war der Hauptgrund für Blinkens geplante Reise. Sie wurde an die Erwartung geknüpft, dass große strategische Differenzen diplomatisch gelöst werden könnten. Die Reise ist bis auf Weiteres ausgesetzt.

China missfiel dagegen in den vergangenen Wochen die Errichtung einer neuen US-Botschaft auf den Salomonen-Inseln, neue Militäreinrichtungen der US-Amerikaner auf den Philippinen sowie eine erheblich gesteigerte »Sicherheitspartnerschaft« zwischen Washington und Tokio. Die Taiwanesen, die mitten im Konflikt zwischen Washington und Peking stehen, sehen die Situation routinierter. Ihre Wetterdienste berichten, dass sie seit langem solche Ballons über Nordtaiwan mit seinen Bevölkerungszentren und sensiblen Militäranlagen beobachten. Die Taiwaner glauben nicht, dass die Ballons nur Wetterforschungsinstrumente sind, sondern experimentelle Vehikel für das Programm der chinesischen Hyperschall-Raketen. Taiwan hat gerade den Militärdienst für Männer auf ein Jahr aufgestockt und eine ehrenamtliche Reserve für Frauen eingeführt. Dennoch hat man dort Angst, dass die ständige Alarmstimmung wegen Kleinigkeiten eine Art Abnutzungseffekt bringen könnte.

Es ist lange her, seit US-Analysten von »Chimerica« gesprochen haben: eine Synthese des Potenzials beider Mächte, die etwa die deutsch-russische Kooperation in den Schatten stellen sollte. Henry Paulson, der im Jahr 2006 unter George Bush Finanzminister wurde, erinnert sich fast sentimental an die Monate nach der Finanzkrise 2008, als China eine äußerst stabile finanzielle Kooperation mit den USA aufrecht erhielt und mit einem enormen Konjunkturpaket die ganze Welt maßgeblich aus der Krise führte. Paulson vermisste eine solche Kooperation während der Pandemie. Jetzt sorgt er sich, dass nach der Wiederöffnung Chinas die meisten Länder der Welt verstärkt an die chinesische Wirtschaftskraft andocken wollen statt an die der USA. Er kritisiert jedoch den Versuch der USA, einen anti-chinesischenen Block zu schmieden.

Die einstige Kooperationsbereitschaft der USA gegenüber China kam unter der Annahme zustande, dass China bestenfalls eine verlängerte industrielle Werkbank werden würde, aber kein ernsthafter Konkurrent. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Paulson – sein Privatvermögen wird auf eine dreiviertel Milliarde Dollar geschätzt – kritisiert jetzt die protektionistische »arbeiterzentristische« Handelspolitik von Trump und Biden, die die Arbeitsstandards der US-Arbeiter wieder besser vor ausländischer Billigkonkurrenz schützen soll. Das geopolitische Spiel hat sich verändert, seit chinesische High-Tech-Firmen wie Huawei auf Weltniveau gelangt sind. Die »Financial Times« berichtet ausführlich über den Hightech-Hintergrund des Überwachungsballons. Beim Wettrüsten zwischen China und Washington spielt Hochtechnologie eine enorme Rolle.

Insgesamt sind es also viele Interessengruppen in den USA, die zunehmend Probleme mit Chinas Aufstieg haben. Doch Paulson weist darauf hin: Auch wenn die politischen Kräfte in den USA in dieser Frage wie nie zuvor geeint sind, gibt es diese Einstimmigkeit gegen China keineswegs weltweit. Dabei erwähnt Paulson die Reise von Olaf Scholz nach China im November 2022 als bahnbrechend. Andere Nationen werden ihre wirtschaftliche und technologische Verwundbarkeit durch China vorsichtig und leise abzubauen versuchen, aber sie werden kaum in einen anti-chinesischen Block eintreten, wie Washington es will.

Die konservativsten unter den US-amerikanischen Sicherheits-Denker wie Hal Brands und Walter Russell Mead mahnen seit Monaten, dass die USA sich wieder dazu ertüchtigen müssten, auch in einem Zwei-Fronten-Krieg zu bestehen. Denn Biden habe bei seinem Versuch versagt, Putin durch Gipfeldiplomatie und Sonderbehandlung ruhig zu stellen, um sich auf den Konflikt mit China zu konzentrieren. Und nun, umgekehrt, schaffe es Biden nicht, China in seinem Anti-Putin-Kurs mitzunehmen. Die US-amerikanische Supermacht beruhe auf dem Sieg im Westen wie in Asien im Zweiten Weltkrieg. Wollen die USA Supermacht bleiben, müssten sie wieder eine militärische Infrastruktur aufbauen, die beide Himmelsrichtungen abdeckt. Manche Analysten denken, dass viele von den übersteigerten Kriegswarnungen aus Washington in den vergangenen Wochen eigentlich versteckte Forderungen nach mehr Geld für die Militär- und Sicherheitsbudgets darstellten. Viel war immer die Rede davon, was das chinesische Zeitfenster für eine Übernahme Taiwans wäre. Jetzt drängt die Frage in Washington, wie die USA am besten die US-Vorherrschaft in der Globalisierung verteidigen können. Washington steuert auf neue Zeiten zu, anders als Wallstreet.

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