Post-Streik erschwert Briefwahl

Für zusätzliches Personal und Kabinen für Berlins nahende Wahl ist gesorgt, doch die streikende Post belastet die Planung

»Es gibt keine zu 100 Prozent reibungslosen Wahlen«, sagt Stephan Bröchler am Montag in Schöneberg. Mit einer Pressekonferenz vor der Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar will Bröchler noch einmal für einen Überblick sorgen. Das selbsterklärte Ziel des Politikwissenschaftlers, der sein Amt vor rund fünf Monaten angetreten hat: Eine »reibungsarme« Wahl, bei der vereinzelte Fehler erkannt, unverzüglich behoben und anschließend öffentlich kommuniziert werden. Bis zu 39 Millionen Euro stehen Bröchler dafür zur Verfügung, der nichtsdestotrotz von einer »Herkulesaufgabe« spricht.

Die derzeit größte Gefahrenquelle für Bröchlers erste Wahl in Verantwortung trägt Gelb. Mitarbeiter*innen der Post haben am Dienstag den zweiten Tag in Folge die Arbeit niedergelegt. Rund eine Million Briefe sowie Hunderttausende Pakete wurden bereits am Montag ausgebremst. Für den Wahlleiter kommt der Streik zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt. »Ich möchte noch einmal darum bitten, die Briefwahlunterlagen so schnell wie möglich zurückzuschicken«, sagt Bröchler. Um sicherzustellen, dass alle Stimmen der Briefwähler*innen trotz allem gezählt würden, stehe die Wahlleitung im täglichen Austausch mit der Post.

»Die Deutsche Post AG hat entsprechende Notfallkonzepte erarbeitet, zudem soll es am Wochenende ohnehin eine Sonderlogistik geben«, lässt Bröchler wissen. Das Unternehmen habe ihm zugesichert, die roten Wahlbriefe mit Vorzug zu behandeln. »Mal abwarten, ob das funktioniert. Ich bin aber zuversichtlich.« Für den Samstag, kurz nach 16 Uhr, sei eine Sonderleerung der gelben Briefkästen in Berlin vereinbart worden. Allen, die sichergehen wollen, empfiehlt Bröchler allerdings, die Unterlagen direkt an den entsprechenden Briefwahlstellen bis 18 Uhr am Sonntag einzuwerfen.

Bisher wurden laut des Landeswahlleiters rund 722 000 Wahlscheine verschickt, was einem Anteil von 26,4 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Vor der Wahl 2021 seien es zum gleichen Zeitpunkt rund 33 Prozent gewesen. Bis zur vergangenen Woche hatten sich die Briefwahlunterlagen großer Nachfrage erfreut, inzwischen geht das Interesse zurück. »Das kann sich aber auch noch ändern«, sagt Bröchler. Er war davon ausgegangen, dass die Briefwähler*innen rund 45 Prozent der Stimmen ausmachen werden.

Zumindest an Wahlhelfer*innen wird es nicht mangeln, wohl wegen der vorübergehenden Erhöhung des sogenannten Erfrischungsgeldes auf 240 Euro: Rund 52 000 Berliner*innen sollen sich zum Dienst bereiterklärt haben, wirklich gebraucht werden allerdings rund 10 000 Menschen weniger. »Ich hoffe, dass sie trotzdem an der Stange bleiben«, sagt Bröchler über all jene, die nicht zum Zug kommen. Es werde weitere Möglichkeiten geben, sich zu engagieren, etwa bei der kommenden Europawahl. Mit 240 Euro für die Helfer*innen ist dann allerdings nicht noch einmal zu rechnen.

Erneute Schlangenbildungen will der Landeswahlleiter vorab nicht ausschließen. Wie auch 2021 sollen alle, die um 18 Uhr am Sonntag vor ihrem Wahllokal stehen, noch die Möglichkeit erhalten, ihr Kreuzchen zu machen – auch wenn dann schon Hochrechnungen bekannt sein sollten. Bröchler nennt es eine Abwägungssache, die zugunsten des Wahlrechtes ausfallen muss. »Ich hoffe, dass es kein flächendeckendes Phänomen wird«, sagt er. Eine Stunde oder länger wie bei der vergangenen Wahl soll aber niemand stehen. »Wir streben an, dass es unter 30 Minuten bleibt.« Neben zusätzlichem Personal an der Wahl-Hotline für Störungen und in den Lokalen soll die Zahl der Wahlkabinen den Unterschied machen: Schon jetzt hat die Wahlleitung auf vier Kabinen pro Standort erhöht, weitere werden für den Notfall bereitliegen.

Feedback zur Wahl erhofft sich Bröchler im Anschluss durch ein Onlineformular, das der Landeswahlleiter zwei Wochen lang auf seiner Webseite zur Verfügung stellen will. Doch die »reibungsarme« Wahl soll erst der Auftakt sein. »Wir konnten einige Verbesserungen vornehmen, aber es liegt noch viel Arbeit vor der Landeswahlleitung«, sagt Bröchler, der sich selbst als »König ohne Land« bezeichnet und ein eigenes Landeswahlamt fordert. Das jahrhundertealte »Ping Pong« mit den Bezirken müsse ein Ende finden.

Dass die Wahlbeteiligung insgesamt wieder 77 Prozent wie 2021 erreichen wird, hält Bröchler für unrealistisch. Er hofft auf 70 Prozent, wäre aber auch mit 60 bis 65 Prozent zufrieden: »Wir haben seit der Wiedervereinigung noch nie so viel über eine Wahlwiederholung gesprochen. Ich hoffe, das ist Motivation, um vom eigenen Recht Gebrauch zu machen.« Eine Wiederholungswahl, die im Nachhinein durch das Bundesverfassungsgericht als ungültig erklärt wird, fürchtet der Landeswahlleiter nicht.

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