EU will mehr Überwachungstechnik an Außengrenzen

Aktivisten warnen vor Zunahme von illegalen Zurückschiebungen und Polizeigewalt

Immer noch hält die EU-Kommission daran fest, keine Gelder für Zäune an den Außengrenzen der Union finanzieren zu wollen – jedenfalls nicht direkt. Jedoch können die 12 Mitgliedstaaten, die bereits über derartige Sperranlagenen verfügen, bei deren technischer Aufrüstung und Überwachung auf Unterstützung aus Brüssel hoffen. Das betrifft insbesondere jene Staaten, die an Westbalkanländer wie Serbien, Bosnien und Herzegowina oder die Türkei grenzen.

In einer Rede vor dem Europäischen Parlament hat die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Bereitschaft zur technischen Migrationsabwehr vergangene Woche bekräftigt. Die »dringendsten Probleme« gebe es demnach an der Landgrenze zwischen Bulgarien und der Türkei. Dort könne die EU weitere »Infrastruktur und Ausrüstung bereitstellen, wie Drohnen, Radar und andere Mittel zur Überwachung«. Die Kommissionspräsidentin bezeichnet dies als »nachhaltige Lösungen im Bereich Asyl und Migration«.

Damit liegt von der Leyen auf einer Linie mit den Regierungen von acht EU-Staaten, die in dieser Woche in einem offenen Brief mehr Geld aus Brüssel für »operative und technische Maßnahmen für eine wirksame Grenzkontrolle« gefordert hatten. Zu den Unterzeichnenden gehören Griechenland, Österreich, Malta und Dänemark.

Einen Tag nach dem Vortrag von der Leyens hat das Netzwerk zur Beobachtung von Grenzgewalt (Border Violence Monitoring Network, BVMN) in einer Studie belegt, wie der Einsatz neuer Technologien schon jetzt illegale Zurückschiebungen und Polizeigewalt entlang der EU-Außengrenzen begünstigt.

Der Fokus des Netzwerks und mithin auch des nun vorgelegten Berichts liegt in den westlichen Balkanstaaten, Griechenland und der Türkei. Seit 2017 hat das BVMN dort nach eigenen Angaben 36 Zeugenaussagen aufgezeichnet, in denen der Einsatz von Drohnen zur Ortung, Festnahme und Zurückschiebung von Migranten und Asylbewerbern beschrieben wird. Davon sollen mehr als 1000 Personen betroffen gewesen sein.

»Der Gedanke, dass diese Praktiken ausgeweitet und von der Spitze der EU-Kommission legitimiert werden könnten, ist äußerst besorgniserregend und zeigt einmal mehr, dass es an politischem Willen mangelt, die systematischen und anhaltenden Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen anzugehen«, sagt die die Aktivistin Hope Barker vom BVMN zu »nd«.

Längst sind die EU-Außengrenzen auf dem Westbalkan auch mit anderen Überwachungstechnologien aufgerüstet. Hierzu gehören Kameras, Wärmebildsensoren, Nachtsichtgeräte, Technik zur Erkennung von Mobiltelefonen, Ortungsgeräte und Überwachungstürme. Die EU finanziert etwa in Griechenland verschiedene Forschungsprojekte zur Nutzung von Drohnen in der Luft, zu Wasser und an Land. In Bulgarien und Griechenland hat die Kommission in Wäldern entlang der Grenze ein Projekt zur digitalen »Entlaubung« erproben lassen. Länder wie Österreich schicken außerdem Teams mit Drohnen in Staaten entlang der sogenannten »Balkanroute«.

Die Studie des BVMN wurde für die UN-Arbeitsgruppe für das gewaltsame oder unfreiwillige Verschwindenlassen von Personen erstellt. Diese hatte zuvor zur Einreichung von Beiträgen zum Einsatz neuer Technologien aufgerufen. Das BVMN bezeichnet die illegalen Zurückschiebungen ebenfalls als »systematisches Verschwindenlassen an den Außengrenzen« oder »Zwangsverschleppungen«. Oftmals würden Menschen auch in umstrittenen Grenzregionen wie den Evros-Inseln zwischen Griechenland und der Türkei zurückgelassen, erklärt die die Aktivistin Barker. Das Netzwerk habe auch Fälle dokumentiert, in denen Menschen infolge von Pushbacks im Meer oder in Grenzflüssen ertrinken oder als Opfer von Menschenhandel enden.

Nach Ansicht der Verfasser können polizeiliche Technologien aber auch helfen, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken. So könnten etwa Körperkameras als Mittel zur Sammlung von Beweisen für gewaltsames Verschwindenlassen dienen. Denn die von BVMN gesammelten Zeugenaussagen enthielten oft Hinweise auf die Beteiligung von Polizei- oder Militärangehörigen.

In ihren Schlussfolgerungen warnen die Verfasser der Studie vor der wachsenden Bedeutung von biometrischen Identifizierungssystemen, die zur automatisierten Verfolgung von Migranten eingesetzt werden. Derzeit werden nur Asylsuchende und Visaantragsteller in derartigen Systemen gespeichert. Dieses Jahr will die EU diese Sammlung auf sämtliche Angehörige aus Drittstaaten erweitern. Alle Reisenden müssen dann an den Außengrenzen ihr Gesichtsbild und vier Fingerabdrücke abgeben.

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