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Wenn das Leben früh endet
Kinderhospizarbeit: Regelungen der Kassen entsprechen den Bedürfnissen der Familien zu wenig
Lebensverkürzend erkrankt sind deutschlandweit nach Angaben des Bundesverbandes Kinderhospiz mehr als 50 000 Kinder und Jugendliche, in Berlin sind es zwischen 2500 und 3000 Mädchen und Jungen. Ihre medizinischen Diagnosen sind meist sehr seltene Erkrankungen – darunter eine, die abgekürzt NCL genannt wird. Das steht für Neuronale Cerois-Lipofuszinose. Es handelt sich um eine genetisch bedingte Stoffwechselkrankheit, bei der ein bestimmter Stoff im Gehirn nicht richtig abgebaut wird. In der Folge sterben Nervenzellen ab. Das heißt zugleich, dass Fähigkeiten, die gerade erst erlernt wurden, nachlassen oder ganz verschwinden, darunter etwa die, sich zu bewegen, etwas wahrzunehmen, oder das Denkvermögen.
Diese Kinder und ihre Familien benötigen vom Tag der Diagnosestellung an verschiedene Formen von Unterstützung. Zu denen, die das leisten wollen, gehören die ambulanten und stationären Kinderhospize. In jedem Jahr wird am 10. Februar mit dem Tag der Kinderhospizarbeit auf deren Arbeit und die Bedürfnisse und Nöte der Familien aufmerksam gemacht.
Kinderhospizvereine arbeiten ambulant und stationär. Letzteres eher weniger, weil die Kinder meist, auch bis zum letzten Tag ihres Lebens, in der Familie bleiben sollen oder können. Das schreibt sich aber leichter auf, als es getan ist: Die Unterstützung und Pflege bis dahin muss organisiert werden, Arztbesuche sind zu bewältigen, in gesundheitlichen Krisen muss das Kind dann doch ins Krankenhaus, ein Hilfesystem ist aufzubauen.
Die Arbeit der Hospize ist auf die Begleitung und Unterstützung der ganzen Familie ausgerichtet – oft über viele Jahre. Für die Kinderhospizangebote ist das Höchstalter der Erkrankten zwar auf 27 Jahre begrenzt. Dank des medizinischen Fortschritts leben viele Betroffene heute länger als Erkrankte in früheren Jahren. Diese eigentlich erfreuliche Tatsache bringt oft neue bürokratische Komplikationen mit sich: Verschiedene Sozialgesetzbücher greifen je nach Alter, Situation und Erkrankungsschwere. Die Eltern haben in der Regel einen hohen organisatorischen Aufwand zu bewältigen, um die nötige Unterstützung zu bekommen – oder auch weiterhin zu bekommen. Ansprechpartner können sie dann auch bei den lokalen Kinderhospizanbietern finden oder beim Bundesverband Kinderhospiz, der seit 2002 existiert.
Die Umstellung der Unterstützung ab dem 28. Lebensjahr auf das System für Erwachsene kann aus mehreren Gründen schwierig sein: Die jungen Frauen und Männer sind oft nicht in der Lage, ohne Assistenz oder eben Hilfe ihrer Angehörigen das tägliche Leben zu bewältigen. Der Pflegebedarf kann sehr unterschiedlich sein, bis hin zu künstlicher Beatmung. Die Krankheitsschwere nimmt häufig zu. Anfangs können die Kinder vielleicht noch laufen, später ringen sie mit schwersten Behinderungen, berichtet Sabine Sebayang. Die ausgebildete Kinderkrankenschwester ist seit vielen Jahren im Hospizbereich tätig, sie hatte zuvor auch krebskranke Kinder gepflegt. Heute leitet sie beim Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg die Abteilung Humanistische Hospize.
Andererseits gibt es Krankheitsbilder, die in der Erwachsenenmedizin gar nicht bekannt sind. Ein inzwischen 40-Jähriger wird immer noch von einer kinderkardiologischen Abteilung betreut, weil sein seltener Herzfehler den üblichen Kardiologen in der Praxis nicht bekannt ist.
»Der Unterschied zur Arbeit mit krebskranken Kindern besteht auch darin, dass es für unsere Betroffenen keine Heilung gibt. Der Tod, das Sterben, ist immer das Thema«, sagt Sebayang, die ehrenamtlich auch im Vorstand des Bundesverbandes Kinderhospiz arbeitet. Das erschwert es auch, Unterstützung zu finden; eine positive Botschaft bei dieser Gruppe Erkrankter ist weniger gut zu vermitteln. Trotzdem sind die einzelnen Vereine und Einrichtungen auch in Richtung Öffentlichkeit aktiv. Sie müssen das sogar, weil von den Kostenträgern, den gesetzlichen Krankenkassen, nur die unmittelbare Unterstützung der Patienten und ihrer Familien finanziert wird.
Auch das ist an vielen Punkten immer neu Verhandlungssache. Deshalb unterhält auch der Bundesverband einen fast vollständig spendenfinanzierten Fonds für unbürokratische Soforthilfe. Daraus werden zum Beispiel technische Hilfsmittel finanziert, deren reguläre Beantragung über die Kassen mitunter Jahre dauern kann. Zusätzlich werden Spendenkampagnen durchgeführt, um für konkrete Kinder größere Anschaffungen zu realisieren, wie etwa ein Außenlift oder ein entsprechend angepasstes Familienauto.
Gut in Anspruch genommen wird das Oskar-Sorgentelefon. »Das ist für alle da und für alle Themen und Probleme«, erklärt Franziska Kopitzsch, die seit Jahresbeginn Geschäftsführerin des Bundesverbandes ist. Beraten wird auch zu Fragen des Sozialrechts; zwei Anwälte unterstützen den Bundesverband dabei.
Aus der besonderen Situation, dass die erkrankten Kinder in der Regel lange oder fast ihr ganzes Leben in ihren Familien bleiben, ergibt sich der Schwerpunkt der ambulanten Hospizarbeit. Hier sind geschulte Ehrenamtliche im Einsatz, aber nicht pflegerisch tätig. Sie begleiten und unterstützen Eltern, das Kind selbst oder seine Geschwister, je nachdem, was notwendig ist. Für die Familien werden so kurze Erholungszeiten möglich. Die stationären Einrichtungen nehmen die Kinder zum Beispiel auch dann auf, wenn ein Elternteil selbst erkrankt. »Insgesamt geht es darum, die Familien aus der sozialen Isolation zu holen«, betont Kopitzsch. Dazu gehören überdies Angebote für die Geschwister wie Kindertrauergruppen.
Politisch kämpft der Bundesverband unter anderem um den Ausbau von Strukturen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Der Fachkräftemangel bei medizinischen Berufen macht sich auch in diesem Bereich der Versorgung am Lebensende bemerkbar. Abgedeckt ist der Bedarf hier noch nicht einmal für Erwachsene – auf Kinder spezialisierte Teams sind eine Seltenheit. Zu den Forderungen gehört zudem die nach flexibleren Budgets für Kurzzeit- und Verhinderungspflege oder für die Erstattung von Arztkosten bei Einsätzen in stationären Kinderhospizen. Um sich für diese und andere Belange besser einsetzen zu können, eröffnete der Bundesverband in dieser Woche sein Hauptstadtbüro. Bundesweit gibt es nach Angaben des Deutschen Kinderhospizvereins 19 stationäre Kinderhospize und rund 170 ambulante Dienste.
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