Geübt in Niederlagen

Berlins CDU-Chef Kai Wegner will hoch hinaus. Seine Chancen, Regierender Bürgermeister zu werden, sind eher bescheiden

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.
»Viele Lampen funktionieren nicht. Es ist dunkel. Dadurch wird es auch unsicherer«: Kai Wegner vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin
»Viele Lampen funktionieren nicht. Es ist dunkel. Dadurch wird es auch unsicherer«: Kai Wegner vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin

Alles deutet darauf hin, dass der Sieger der Berliner Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus Kai Wegner heißen könnte. Eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sieht die von ihm geführte Berliner CDU bei 25 Prozent, die SPD der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey käme demnach auf 21 Prozent, die Grünen würden bei 17 Prozent landen. Die Zahlen decken sich weitgehend mit denen anderer Institute.

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner gibt sich dann auch konsequent so, als könnte Franziska Giffey schon mal anfangen, ihr Amtszimmer im Roten Rathaus zu räumen. Als Wahlgewinner werde er nach dem Sonntag sowohl mit der SPD als auch den Grünen verhandeln, wer dem nächsten Senat unter ihm als Regierendem Bürgermeister angehören kann. »Das ist ja gar keine Frage«, sagt Wegner zu »nd«.

Wegner wirkt immer etwas angespannt, überkonzentriert, abgehetzt. So auch an diesem Abend vor wenigen Tagen, beim etwas verspäteten Neujahrsempfang des CDU-Kreisverbands Lichtenberg. Ehrengast Wegner verspätet sich ebenfalls: Termine, Termine, Termine. Als er endlich im Schloss Friedrichsfelde eintrifft, wird fleißig geklatscht und gejubelt. Wegner steigt aufs Podium und spult vor den rund 200 Zuhörern sein Programm ab. 15 Minuten über die »Schmach« der nun zu wiederholenden Berlin-Wahl vom September 2021, das »Silvesterchaos«, die »verrückten« verkehrspolitischen Ideen der Grünen, Berlin als »Hauptstadt des Staus« und natürlich Berlin als »Hauptstadt des Verbrechens«.

Bei Wegner klingt das so, als wäre Berlin in Wirklichkeit Batmans Gotham City. »Wenn man durch einige Wohnquartiere, auch hier in Lichtenberg, geht«, sagt Wegner und fängt dann noch mal von vorn an: »Ich habe es ja selbst erlebt, werde immer wieder angesprochen: ›Herr Wegner es wird immer dreckiger.‹ Dadurch fühlen sich Menschen unsicherer. Viele Lampen funktionieren nicht. Es ist dunkel. Dadurch wird es auch unsicherer.« Wegner will, dass die Lampen funktionieren. Überhaupt soll alles in der Stadt funktionieren, mit ihm als Regierendem Bürgermeister. »Das funktioniert woanders ja auch.«

Im September 2021 – bei Wegners erstem Versuch, das Rote Rathaus zu erobern – kam die CDU auf 18 Prozent, gerade mal 0,4 Prozentpunkte mehr als bei der Abgeordnetenhauswahl fünf Jahre zuvor. Wegner fuhr das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Berliner Union ein. Erste Prognosen sahen die Partei am Abend der »Chaos-Wahl« sogar nur bei 15 Prozent. Es habe der Rückenwind der Bundes-CDU gefehlt, sagte Wegner damals.

Der 50-Jährige ist im Umgang mit Niederlagen geübt. Ausgesprochen gut geübt. Als er sich 2003 – damals stramm konservativer Landeschef der Jungen Union – anschickte, Berliner Generalsekretär der »liberalen Großstadtpartei« CDU zu werden, wurde er auf dem Parteitag ausgebuht. Nach zwei gescheiterten Wahldurchläufen gab der politische Ziehsohn des CDU-Rechtsauslegers Heinrich Lummer auf. Es folgten noch weitere Demütigungen durch seine Partei.

2016 wurde der später doch zum Generalsekretär aufgestiegene Spandauer von der neuen Landeschefin Monika Grütters aus dem Amt geschoben. Ex-General Wegner, mittlerweile bestens mit den mächtigen Kreisverbänden vernetzt, sammelte seine Truppen und holte 2019 zum Gegenschlag aus. Der neue CDU-Landeschef müsse Kai Wegner heißen, erklärte Kai Wegner. Mochte mit Klaus-Rüdiger Landowsky, der zentralen politischen Figur des Berliner Bankenskandals 2001, ein anderer CDU-Strippenzieher frotzeln: »Kai Wegner ist für dieses Amt zu klein.« Nach kurzem Hin und Her stellte Grütters ihr Amt zerknirscht zur Verfügung.

Die zweite Chance – das ist es, was sich Wegner auch von der Wahl an diesem Sonntag verspricht. Dabei ist der Aufstieg der CDU zum Berliner Umfragenkönig zunächst erstaunlich. Seit dem Amtsantritt des rot-grün-roten Giffey-Senats Ende 2021 ist die Union nicht durch größere politische Initiativen aufgefallen. Für den Versuch der Mietendeckel-Kläger, sich als neue Mieterschutzpartei zu inszenieren, erntete die Partei im vergangenen Jahr dagegen vor allem eines: Spott. Als heimlicher Oppositionsführer galt vielen Beobachtern nicht CDU-Landes- und Fraktionschef Kai Wegner, sondern Sebastian Czaja, der Chef der kleinen FDP-Fraktion.

Der Wahlforscher Thorsten Faas führt die vergleichsweise guten Werte für die CDU nicht allein auf den Bundestrend zurück: »Das würde nicht erklären, warum die Partei auf der Zielgeraden noch mal zugelegt hat. Kai Wegner hat das auch nicht als Person gerissen.« Weder die Bekanntheits- noch die Beliebtheitswerte des CDU-Spitzenkandidaten seien außergewöhnlich gut, sagt Faas. »Aber der Senat polarisiert. Und die FDP ist über die Ampel-Regierung im Bund irgendwie mit SPD und Grünen verbunden, sodass die CDU als klarste Opposition zum Senat erscheint.«

Wegners Problem bei einem Wahlsieg: Die in Umfragen bei knapp über fünf Prozent gehandelte FDP stünde als Partner wohl bereit. Für eine Mehrheit müssten aber zwangsläufig SPD oder Grüne mit an Bord geholt werden. An diesem Punkt wird es dann schon wieder fast hoffnungslos, nicht zuletzt nach der im Januar von der CDU nach der Berliner Silvesterrandale losgetretenen rassistischen Debatte um »die Herkunft« der Tatverdächtigen.

Die Türen zu den Grünen und ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hat Wegner unlängst selbst zugeschlagen. Auch zu »nd« sagt er: »Bei den ganzen utopischen Vorstellungen der letzten Tage und Wochen von Frau Jarasch in der Verkehrspolitik fehlt mir ein Stück weit die Fantasie, wie wir einen Koalitionsvertrag hinkriegen sollen.« Es sei denn, »die Grünen sagen: Hey, wir gehen mal weg von dieser Verbotsideologie. Aber einfach nur den Leuten das Auto zu verbieten, das kommt mit mir nicht infrage.«

Für die vom linken Parteiflügel dominierten Berliner Grünen käme Wegners CDU wohl genauso wenig infrage. Einem Koalitionsvertrag müsste bei ihnen zudem ein ebenso dominierter Parteitag zustimmen – ein schwer vorstellbarer Vorgang. Grüne und CDU trennen in Berlin anders als in anderen Bundesländern Welten. Da ist die Union der SPD in vielen Politikfeldern deutlich näher. Aber auch hier hat die Hauptstadt-CDU seit 2021 viel Porzellan zerschlagen.

»Das System SPD hat fertig.« Lange zog Wegner mit diesem Slogan durch die Arenen. Es klang stets wie: Die SPD muss weg. Kurz vor der Wiederholungswahl hat er nun damit begonnen, ausgerechnet den geschmähten Sozialdemokraten Kusshändchen zuzuwerfen. »Ich werde mit der SPD sprechen«, sagt Wegner. Und: »Ich will einfach erreichen, dass die SPD in Sondierungen sagt: Hey, war nicht alles gut, und wir brauchen jetzt einen echten Modernisierungskurs. Und wenn da die SPD eine Bereitschaft zeigt, dann kann ich mir das vorstellen.« Niedriger kann man die Latte für eine Zusammenarbeit kaum legen.

Nun gilt als eigentliches Machtzentrum der Berliner SPD aber nicht die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, der man eine gewisse Biegsamkeit nicht absprechen kann, sondern Landes- und Fraktionschef Raed Saleh. Und wenn es etwas gibt, was Wegner und Saleh eint, jenseits der gemeinsamen Herkunft aus Spandau, dann ist es, dass sie sich gegenseitig nicht ausstehen können. Zwar ist Saleh bei Teilen der SPD-Basis keineswegs unumstritten. Aber er hat seine innerparteilichen Truppen ebenso gut aufgestellt wie CDU-Konkurrent Wegner.

Nicht gerade hilfreich dürfte in dieser Hinsicht das Wüten des Berliner CDU-Generalsekretärs Stefan Evers Anfang dieser Woche gewesen sein. Auf Twitter kommentierte der Wegner-Vertraute Äußerungen Salehs über die CDU mit den Worten: »Kurz vor der Wahl bricht bei Raed Saleh das Münchhausen-Syndrom durch – tragisch. So weit weg von der Realität agitiert sonst nur die AfD.« Saleh selbst will den Schlag unter die Gürtellinie auf nd-Nachfrage nicht kommentieren. Wer ihn kennt, der weiß aber: Insbesondere persönliche Attacken vergisst Saleh nicht.

Kai Wegner baut unverdrossen weiter auf einen Wechsel unter seiner Führung. Beim Neujahrsempfang der CDU Lichtenberg sagt er: »So ein Wahlkampf ist schon ganz schön anstrengend. Es ist Winterwahlkampf, es ist kalt draußen. Sieben Tage die Woche, von morgens bis abends, immer konzentriert sein: Das geht schon, ja, das ist anstrengend, gar keine Frage.« Aber er mache »tierisch gerne« Wahlkampf. »Ich freue mich über die vielen Termine und Gespräche, die ich habe. Weil: Die Stimmung ist wirklich gut, die Leute wollen einen Wechsel in der Stadt. Das spürt man.« Allein, ohne eine Mehrheit kann sich Wegner von dem Gespürten auch nichts kaufen.

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