Ein Fleck auf der weißen Weste

Rund 450 nicht gezählte Briefwahlunterlagen in Lichtenberg entdeckt

Eigentlich wollten Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Landeswahlleiter Stephan Bröchler bei der Pressekonferenz des Senats ein durchweg positives Resümee auf die Wahl vom vergangenen Sonntag werfen. Nach dem Chaos bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 erregten diesmal kaum Vorkommnisse öffentliches Aufsehen. Kurz vor Beginn der Pressekonferenz traf aber eine Meldung ein, die das Fazit trübte: In Lichtenberg waren etwa 450 Briefwahlunterlagen aufgetaucht, die bei der Auszählung noch nicht berücksichtigt wurden. Der »Spiegel« hatte berichtet, dass durch ein Logistikproblem bei der Poststelle des Bezirks die Stimmen erst am Montag beim Wahlamt eingingen. Landeswahlleiter Bröchler bestätigte den Vorfall auf der Pressekonferenz. Die Größenordnung von 450 Stimmzetteln sei richtig, er könne aber keine genaue Zahl nennen, da nicht klar sei, ob alle Unterlagen vollständig seien. Die Stimmen sollen jetzt bis zum Ende der Woche ausgezählt werden. »Offensichtlich hat es da ein Kommunikationsproblem gegeben«, sagte Bröchler.

Theoretisch könnten die zu spät eingegangenen Stimmen große Auswirkungen auf die Koalitionsbildung haben: SPD und Grüne trennten am Sonntag nur 105 Stimmen, die stärkere Partei kann die Führungsrolle in einem aktuell diskutierten rot-grün-roten Bündnis beanspruchen. Weil die Grünen unter den noch nicht ausgezählten Stimmen aber deutlich überrepräsentiert sein müssten und Lichtenberg nicht als ihre Hochburg gilt, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich die Reihenfolge der Parteien noch verändert. Unsicher ist auch, ob die Stimmen Auswirkungen auf die Direktmandate in Lichtenberg haben. Im Wahlkreis Lichtenberg 3 setzte sich Dennis Haustein (CDU) mit nur zehn Stimmen Vorsprung gegen Claudia Engelmann (Linke) durch. In Lichtenberg gewann Lilia Usik (CDU) mit etwa 150 Stimmen Vorsprung vor Norman Wolf (Linke). Klarheit wird es aber erst im Verlauf der Woche geben. »Das Wichtige ist, dass keine Stimme verloren geht«, sagte Bröchler. Er sah keinen Anlass anzunehmen, dass es noch weitere ähnliche Fehler gegeben hat.

Trotz der verbleibenden Unsicherheit bemühten sich Spranger und Bröchler, ein positives Bild von der Wahlwiederholung zu zeichnen. »Sehr sehr gut« sei die Wahl organisatorisch verlaufen, sagte Spranger. Sie dankte allen Beteiligten – vom Landeswahlleiter und seinen Mitarbeitern bis zu den Hausmeistern in den Wahllokalen. »Alle haben sehr viel geleistet«, so Spranger. Sie lobte die Zusammenarbeit mit den Bezirken und bedankte sich bei Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) für die Möglichkeit, das Erfrischungsgeld, das die Wahlhelfer erhalten, zu erhöhen. »Berlin kann Wahlen, das haben wir unter Beweis gestellt«, sagte Spranger. »Berlin gibt nach außen wieder ein gutes Bild ab.«

»Berlin kann Wahlen« war auch der Satz, den Bröchler seinen Ausführungen voranstellte. Nach dem »Desaster« 2021 habe es jetzt nur kleinere Unstimmigkeiten gegeben. Als Beispiel nannte er ein Wahllokal, dessen Wahlleiter verschlafen hatte. Seine Stellvertreterin sprang ein, sodass sich die Verzögerungen in Grenzen hielten. Neben seinem eigenen Wahllokal in Pankow habe er den Wahlvorgang auch in Mitte und Lichtenberg beobachtet. Auch die internationalen Beobachter hätten keine Fehler entdecken können. Nach Prüfung aller Vorgänge soll am 27. Februar das endgültige Ergebnis bekannt gegeben werden.

Bei der Wiederholungswahl sei man durch die Vorgabe eingeschränkt gewesen, den Wahlgang unter denselben Bedingungen wie 2021 durchzuführen, so Spranger. Für künftige Wahlen will sie den Wahlprozess umstrukturieren. Sie will die Position des Landeswahlleiters stärken. Auch Bröchler selbst wünscht sich mehr Kompetenzen für sich und ein ständiges Wahlamt. Auf Vorschlag des Europarats wird auch diskutiert, durchsichtige Wahlurnen zu nutzen. Die nächste Herausforderung steht bereits vor der Tür: Für den Klima-Volksentscheid am 26. März hat die Briefwahl bereits begonnen.

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