Gysi unterschreibt »Manifest für den Frieden«

Mitglieder verlangen vor der Parteizentrale die Unterstützung des Vorstands für das »Manifest für den Frieden«

Von der angekündigten Menschenkette vor dem Berliner Karl-Liebknecht-Haus, der Bundeszentrale der Linken, ist am Mittwoch um 8.45 Uhr nichts zu sehen. Nur der aus Sachsen-Anhalt angereiste Rolf Schümer vom dortigen Karl-Liebknecht-Kreis, der den Protest angeschoben hatte, ist pünktlich. Er steht ein paar Schritte vom Eingang entfernt, das Transparent noch in der Tasche. Rita-Sybille Heinrich, Andreas Eichner und Uwe Tippelt vom Karl-Liebknecht-Kreis Brandenburg kämpfen mit dem stockenden Autoverkehr in der Hauptstadt und treffen wie andere erst nach und nach ein. Sechs Männer und drei Frauen sind schließlich dort. Für eine Menschenkette vor der gesamten Fassade des berühmten Eckhauses mit bewegter Geschichte reicht das nicht – aber für eine kleine Aktion.

»Wir repräsentieren 40 000 von 54 000 Parteimitgliedern«, unterstreicht Schümer. Er rechnet dazu hoch, wie viele Genossen schätzungsweise Waffenlieferungen in die Ukraine ablehnen. Diese 40 000 bekennen sich mutmaßlich zum »Manifest für Frieden« der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht und der »Emma«-Herausgeberin Alice Schwarzer und sie haben es vielleicht auch schon unterschrieben. Knapp 450 000 Unterzeichner haben sich bis Mittwoch, Stand: 15 Uhr, auf der Internetplattform change.org eingetragen. Am 25. Februar soll es um 14 Uhr am Brandenburger Tor in Berlin eine Friedenskundgebung geben, für die Wagenknecht und Schwarzer als Rednerinnen angekündigt sind.

Die Basisorganisation »Unsere Straße« aus dem Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich einstimmig hinter die Petition gestellt. Wenn es der Bundesvorstand der Linkspartei wenigstens mehrheitlich machen würde, wäre es für Rolf Schümer schon mal etwas. Am 12. Februar wurde ein Beschluss dazu vertagt. Nun soll der Parteivorstand dieses Thema am Donnerstagabend beraten. Schümer und seine acht Mitstreiter wollen am Mittwochmorgen Druck machen. Christoph Kröpl, Leiter der Bundesgeschäftsstelle, kommt zu ihnen vor die Tür und bietet freundlich an: »Wenn Ihr einen Kaffee wollt, bekommt Ihr einen Kaffee!« Kröpl lässt sich ein Papier mit den konkreten Forderungen geben, damit er sie an den Parteivorstand übermitteln kann. »Ich lasse mich nicht bestechen«, erklärt Uwe Tippelt schmunzelnd. Aber den heißen Kaffee nimmt er doch gern, denn es ist hundekalt. Rita-Sybille Heinrich, Kreisvorsitzende in Oder-Spree, betont: »Wir sind nicht gegen den Parteivorstand. Wir sind gegen die Inaktivität.«

Da der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla hinausposaunt hatte, er habe die Petition unterzeichnet, sollte sich Wagenknecht distanzieren. So lautete eine im Bundesvorstand genannte Vorbedingung für die mögliche Unterstützung. Das hat sie auch getan, indem sie mitteilte, die AfD sei auf der Friedenskundgebung nicht willkommen. Das schreckt jedoch beispielsweise den Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Lars Hünich nicht ab. »Das ist mir ehrlicherweise egal. Ich komme trotzdem«, kündigt er an. »Wer für den Frieden ist, sollte die Parteipolitik bei so einem wichtigen Thema außen vor lassen und die Kräfte bündeln, damit die Situation in der Ukraine nicht noch weiter eskaliert«, sagt Hünich.

Dass er die Petition unterschrieben hat, ist eine Randnotiz. Viel bedeutsamer: Der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Linke) hat es am Dienstag nun auch getan – und der ist neben Sahra Wagenknecht das bekannteste Gesicht der Partei. »Dieses Manifest und die Friedenskundgebung sind in einer Atmosphäre der Kriegshysterie dringend notwendig«, erklärte Gysi. »Nach Beendigung des Kalten Krieges begann der Westen damit, das Völkerrecht zu verletzen. So wie ich entschieden den völkerrechtswidrigen Krieg der Nato gegen Serbien und den völkerrechtswidrigen Krieg der USA und anderer Länder gegen den Irak ablehnte, lehne ich auch den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine ab«, betonte Gysi noch. Und damit das ganz klar ist, fügte der 75-Jährige hinzu, die Aggression sei eindeutig vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgegangen.

So steht es auch unmissverständlich in dem Manifest. »Der Aggressor ist immerhin benannt«, erkennt ein Genosse an, der vor dem Karl-Liebknecht-Haus mit Schümer und seinen Mitstreitern diskutiert. Er sei ja auch gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Aber warum stehe nicht als Forderung in der Petition drin, dass sich die russischen Truppen sofort aus der Ukraine zurückziehen sollen? Darum unterschreibe er das Manifest nicht.

Enttäuscht von Gregor Gysi ist indes Justin König. Der junge Mann ist stellvertretender Landesvorsitzender in Brandenburg. Vor mehr als acht Jahren sei er vor allem wegen Gysi und Wagenknecht überhaupt in die Partei eingetreten, schickt er voraus und formuliert dann: »Was ich an dem Pamphlet kritisiere, ist, dass suggeriert wird, dass Deutschland vermitteln könne. Das ist nicht der Fall. Putin verachtet die Bundesrepublik mit ihren westlichen Prinzipien.« Der Bundesregierung bescheinigt König, genau abzuwägen. Ihr Kriegstreiberei vorzuwerfen, findet er absurd.

An der Fassade des Karl-Liebknecht-Hauses wehen drei Fahnen mit Friedenstauben. Erst seit Ende vergangener Woche hängen sie da und nicht schon seit dem Vorrücken russischer Truppen in die Ukraine vor einem Jahr, wie man denken sollte. Zweimal habe seine Frau nach solchen Fahnen gefragt, erzählt ein Berliner, der zur Mini-Menschenkette erschienen ist. Erst habe es geheißen, die liegen irgendwo im Keller und seien nicht aufzufinden.

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